Old Surehand III. Karl May

Old Surehand III - Karl May


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als hundertmal den Tod verdient, auch selbst dann, wenn nur seine Thaten als »Indianertöter« in Betracht gezogen werden. Und wenn Ihr sagt, daß dies uns nichts angehe, so ist doch erwiesen, daß er Euch und uns wiederholt nach dem Leben getrachtet und auch jetzt wieder mit dem Tode bedroht hat. Was soll nun ein Jurist dazu sagen, daß Ihr Euch förmlich Mühe gebt, ihn der verdienten Strafe zu entziehen? Es ist mir ganz unmöglich, mich in die Gründe Eures Verhaltens hineinzudenken; ich kann Euch einfach nicht begreifen!«

      »Bin ich Jurist, Mr. Treskow?« antwortete ich.

      »Ich glaube nicht.«

      »Oder gar Kriminalist?«

      »Wahrscheinlich nicht.«

      »Also! Es ist trotzdem gar nicht meine Absicht, ihn der wohlverdienten Strafe zu entziehen, nur will ich weder der Richter noch gar der Henker sein. Ich bin fest überzeugt, daß schon längst der verhängnisvolle, weiße Stab über seinem Haupte schwebt, um von einer ganz andern, mächtigern und höhern Hand gebrochen zu werden. Es hält mich ein Etwas in mir, dem ich nicht widerstehen kann, davon ab, dem gerechten Walten Gottes vorzugreifen, und wenn Ihr dieses mein Verhalten nicht verstehen könnt, so werdet Ihr doch wenigstens nicht bestreiten, daß es im Innern, in der Seele, im Herzen des Menschen Gesetze giebt, welche unübertretbarer, unerbittlicher und mächtiger als alle Eure geschriebenen Paragraphen sind.«

      »Mag sein! Ich bin in dieser Beziehung nun einmal nicht so zartfühlend wie Ihr. Nur muß ich Euch auf die Präcedenzien aufmerksam machen, welche aus Eurem Gehorsam gegen diese geheimnisvollen und mir unverständlichen innerlichen Gesetze hervorgehen!«

      »Wieso hervorgehen? Nennt mir einen solchen Fall!«

      »Ihr habt Old Wabble begnadigt. Was thun wir nun mit dem Häuptling der Osagen, seinem Mitschuldigen? Soll der etwa auch ohne alle Strafe freigelassen werden?«

      »Wenn es auf mich ankommt, ja.«

      »Dann hole der Kuckuck alle eure sogenannten Gesetze der Savanne, die ihr nicht gelten laßt, obgleich ihr ihnen eine so beispiellose Strenge nachrühmt!«

      »Ich bin erst in fünfter, sechster Stelle Westmann, in erster aber Christ. Die Osagen sind von den Weißen betrogen worden; sie haben sich durch den geplanten Ueberfall schadlos halten wollen; sie sind nach ihren Anschauungen vollständig berechtigt dazu. Sollen wir Schahko Matto nun für die bloße Absicht bestrafen, die noch gar nicht ausgeführt worden ist?«

      »Gut, sehen wir von diesem Ueberfalle ab! Er hat uns aber nach dem Leben getrachtet, uns fangen und töten wollen!«

      »Hat er diese Absicht ausgeführt?«

      »Allerdings nicht; aber Ihr werdet wissen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar ist!«

      »Hm, der Jurist, wie er im Buche steht!«

      »Dazu bin ich berechtigt und verpflichtet, und ich bitte Euch, Euch auf denselben Standpunkt mit mir zu stellen!«

      »Schön, das will ich thun! Also angenommen, daß schon der Versuch eines Verbrechens strafbar sei, ist die Absicht des Häuptlings der Osagen, die Farmen zu überfallen und uns zu töten, schon in das Stadium des Versuches getreten?«

      Er zögerte mit der Antwort und brummte dann:

      »Absicht – — Absicht – — Versuch – — – vielleicht wenigstens der sogenannte entfernte Versuch – — – hm, auch dieser nicht! Laßt mich doch mit solchen Haarspaltereien in Ruhe, Mr. Shatterhand!«

      »Ah, Euer Standpunkt beginnt, zu wackeln! Sagt klar und bestimmt heraus: Ist die bloße Absicht strafbar?«

      »Moralisch, ja, aber gerichtlich nicht.«

      »Well! Ist also Schahko Matto zu bestrafen?«

      Er wand sich hin und her und rief zornig aus:

      »Ihr seid der schlimmste Advokat, mit dem es ein Richter zu thun haben kann! Ich mag von der Sache gar nichts mehr wissen!«

      »Nur langsam, langsam, Mr. Treskow! Ich bin strenger, als Ihr glaubt. Wenn wir auch die Absicht nicht bestrafen können, so bin ich doch dafür, daß wir Präventivmaßregeln ergreifen, welche der Strafe geschwisterlich ähnlich sind.«

      »Das läßt sich freilich hören! Was schlagt Ihr vor?«

      »Jetzt noch nichts. ich bin nicht der einzige, der da zu sprechen hat!«

      »Sehr richtig!« stimmte da Dick Hammerdull schnell bei.

      »Irgend eine Belohnung muß der Rote bekommen; das versteht sich doch ganz von selbst! Meinst du nicht auch, Pitt Holbers, altes Coon?«

      »Hm, wenn du denkst, daß er einen tüchtigen Klapps verdient hat, so sollst du recht haben, lieber Dick,« antwortete der Lange.

      »So laßt uns beraten, was wir mit ihm thun!« schlug Treskow vor, indem er, seine strengste Miene zeigend, sich niedersetzte.

      Hochinteressant war das Spiel der Gesichtszüge, mit welchem Schahko Matto unsern Meinungsaustausch verfolgt hatte. Es war ihm kein Wort entgangen, und so wußte er, in welcher Weise ich mich seiner angenommen hatte. Sein erst so finster blickendes Auge ruhte jetzt mit einem ganz andern, fast freundlichen Ausdrucke auf mir; es war klar, daß er Dankbarkeit gegen mich empfand. Mir konnte das freilich gleich sein, denn persönliche Gefühle hatten mich nicht geleitet, als ich seinetwegen mit Treskow in Konflikt geraten war. Als dieser uns jetzt in so ernstem Tone zur Beratung aufforderte, brach der Häuptling der Osagen sein Schweigen, indem er sich an mich wendete:

      »Wird, nachdem die Bleichgesichter gesprochen haben, Old Shatterhand vielleicht bereit sein, auch mich zu hören?«

      »Sprich!« forderte ich ihn auf.

      »Ich habe Worte vernommen, welche ich nicht verstehen kann, weil sie mir fremd sind; um so deutlicher aber hörte ich, daß Old Shatterhand für mich gewesen ist, während das andere Bleichgesicht gegen mich war. Da Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zu dem Streite geschwiegen hat, denke ich, daß er seinem Freunde und Bruder recht giebt. Beide sind zwar die Feinde der Osagen, aber alle roten und weißen Männer wissen, wie gerecht diese beiden berühmten Krieger denken und wie gerecht sie handeln, und so fordere ich sie auf, auch heut gerecht zu sein!«

      Weil er jetzt eine Pause eintreten ließ und mich ansah, als ob er eine Antwort von mir erwarte, erklärte ich ihm:

      »Der Häuptling der Osagen täuscht sich nicht in uns; er hat keine Ungerechtigkeit von uns zu erwarten. Ich mache ihn vor allen Dingen darauf aufmerksam, daß wir nicht Feinde der Osagen sind. Wir wünschen, mit allen roten und allen weißen Menschen in Frieden zu leben; wenn uns aber jemand in den Weg tritt, uns wohl gar nach dem Leben trachtet, sollen wir uns da nicht wehren? Und wenn wir dies thun und ihn besiegen, hat dieser Mann dann das Recht, zu behaupten, daß wir seine Feinde seien?«

      »Mit diesem Manne hat Old Shatterhand wahrscheinlich mich gemeint. Wer aber ist es, der mit Recht von sich sagen kann, er sei angegriffen worden? Schahko Matto, der Häuptling der Osagen, möchte fragen, wozu die Bleichgesichter Richter und Gerichte haben?«

      »Kurz gesagt, um Recht zu sprechen, um Gerechtigkeit zu üben.«

      »Wird dieses Recht gesprochen, diese Gerechtigkeit geübt?«

      »Ja.«

      »Glaubt Old Shatterhand, was er da sagt?«

      »Ja. Zwar sind die Richter auch nur Menschen, welche sich irren können, und darum – — —«

      »Uff, uff!« fiel er mir schnell in die Rede – — »darum irren sich diese Richter stets dann, wenn es sich darum handelt, gegen die roten Männer gerecht zu sein! Old Shatterhand und Winnetou haben an tausend Lagerfeuern gesessen und zehnmal tausendmal die Klagen gehört, welche der rote gegen den weißen Mann zu erheben hat; ich will weder eine einzige dieser Klagen wiederholen, noch ihnen eine neue hinzufügen; aber ich bin der Häuptling meines Stammes und darf also davon sprechen, was das Volk der Osagen gelitten und auch jetzt wieder von neuem erfahren hat. Wie oft schon sind wir von den Bleichgesichtern betrogen worden, ohne einen Richter zu finden, der sich unsers guten Rechts erbarmte! Vor jetzt kaum einem Mond ist wieder ein großer Betrug an uns begangen worden, und als wir Gerechtigkeit verlangten,


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