Old Surehand III. Karl May

Old Surehand III - Karl May


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war er so klug gewesen, das abenteuerliche Leben aufzugeben und sich zunächst versuchsweise anderwärts und vor zwei Jahren endgültig hier am Salmon-River ein festes Heim zu gründen.

      Was mir am meisten an ihm gefiel, das war sein heiteres, festes Gottvertrauen, welches ihn überallhin begleitet hatte und nie von ihm gewichen war. Ebenso freute es mich von ihm, daß er nicht die hier landläufige Ansicht über die indianische Rasse hatte. Er brachte zahlreiche Beispiele von roten Männern, deren Charakter und Lebensführung jedem Weißen hätte als Muster dienen können. Und als Treskow dennoch behauptete, daß die Indianer unfähig zur Civilisation und zum Christentume seien, wurde er zornig und richtete die allerdings schwerwiegende Frage an ihn:

      »Was versteht Ihr denn eigentlich unter Civilisation und Christentum? Kennt Ihr beide so genau, wie es den Anschein hat, so sagt mir doch einmal, was sie dem roten Manne gebracht haben! »An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen«, steht in der heiligen Schrift. Nun zeigt mir gefälligst die Früchte, welche die Indsmen von den so sehr civilisierten und christlichen weißen Gebern geschenkt bekommen haben! Geht mir mit einer Civilisation, die sich nur von Länderraub ernährt und nur im Blute watet! Wir wollen da gar nicht etwa nur von der roten Rasse reden, o nein. Schaut in alle Erdteile, mögen sie heißen, wie sie wollen! Wird da nicht überall und allerwärts grad von den Civilisiertesten der Civilisierten ein fortgesetzter Raub, ein gewaltthätiger Länderdiebstahl ausgeführt, durch welchen Reiche gestürzt, Nationen vernichtet und Millionen und Abermillionen von Menschen um ihre angestammten Rechte betrogen werden? Wenn Ihr ein guter Mensch Seid, und der wollt Ihr doch gewiß wohl sein, so dürft Ihr Euer Urteil nicht nach der Ansicht der Eroberer richten, sondern nach den Meinungen und Gefühlen der Besiegten, der Unterdrückten, Unterjochten. Und wenn Ihr mir da entgegnet, daß es Eroberer und Gründer von neuen Reichen gegeben habe, so lange die Erde Menschen trägt, so antworte ich: Das waren Macedonier, Griechen, Römer, Perser, Mongolen, Hunnen, also Heiden, die keinen Christus kannten, welcher als zweites, höchstes Gebot von uns verlangt: »Du sollst deinen Nebenmenschen lieben wie dich selbst!« Haben diese Heiden ihre blutigen Schwerter als mordgierige Menschenschnitter über den Erdkreis getragen, so giebt es für uns Christen eine ganz andere Art der Eroberung. »Ich bringe Euch den Frieden; ich lasse Euch meinen Frieden!« hat der Weltheiland gesagt; nun tragt als Christen diesen Frieden hin in alle Lande und hin zu allen Völkern! Steckt, wie Petrus, Eure Schwerter in die Scheide; Eure einzige Waffe soll nur die Liebe sein, und auf Eurem Banner darf man nur das Wort Versöhnung lesen. Wie es einen Menschen gab, welcher die erste Mordwaffe erfand, so wird es dereinst, so wahr ein Himmel über uns ist, auch einen Menschen geben, der die letzte Waffe zwischen seinen Fäusten zerbricht. Wie lange aber soll es währen, bis dies geschieht? Den Befehl dazu hat Christus schon vor nun fast zweitausend Jahren gegeben; sollen noch Jahrtausende verstreichen, ehe er in Erfüllung geht? Ich wiederhole es noch einmal: Sprecht mir ja nicht von Eurer Civilisation und von Eurem Christentum, so lange noch ein Tropfen Menschenblut durch Stahl und Eisen, durch Pulver und Blei vergossen wird!«

      Der wackere Farmer lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schwieg. Niemand wagte es, auch nur eine Silbe der Entgegnung vorzubringen. Der erste, welcher die eingetretene Stille unterbrach, war mein sonst so zurückhaltender Winnetou. Er griff nach der Hand Harbours, um sie herzlich zu drücken, und sagte:

      »Mein weißer Bruder hat genau die Worte gesprochen, welche in meiner Seele zu lesen sind. Seine Rede war wie die Rede eines wahren Priesters der Christen. Aus welcher Quelle hat er die Gedanken geschöpft, welche leider die Gedanken nur weniger Bleichgesichter sind? Ich bitte ihn, mir dies zu sagen!«

      »Dieser Quell entsprang dem Herzen nicht eines weißen sondern eines roten Mannes, welcher allerdings ein Priester und Verkündiger des wahren Christentums war. Von allen weißen Lehrern und Rednern, die ich hörte, kann sich kein einziger mit ihm vergleichen. Ich traf ihn zum erstenmale jenseits der Mogollon-Berge am Rio Puerco. Die Navajos hatten mich gefangen genommen und für den Marterpfahl bestimmt; da erschien er unter ihnen und ergoß eine so gewaltige Rede über sie, daß sie mich freigaben, als seine letzten Worte noch kaum verklungen waren. Er war ein großer Geist und auch am Körper ein wahrer Goliath, der sich selbst vor dem grauen Bär nicht fürchtete.«

      »Uff! Das ist kein anderer Mann als Ikwehtsi‘pa gewesen!«

      »Nein. Der Häuptling der Apatschen wird sich irren. Er wurde von den Navajos Sikis-sas genannt.«

      »Das ist ganz derselbe Name. Er war ein Moqui, und die zwei Namen bedeuten in beiden Sprachen ganz dasselbe, nämlich »Großer Freund«. Von den Weißen in Neu-Mexiko und andern spanisch sprechenden Leuten wurde er Padre Diterico genannt.«

      »Das stimmt; das stimmt! Also Winnetou hat ihn auch gekannt?«

      »Ich habe ihn gesehen und ihn sprechen hören, als ich noch ein kleiner Knabe war. Seine Seele gehörte dem großen, guten Manitou, sein Herz der unterdrückten Menschheit und sein Arm jedem weißen oder roten Manne, der sich in Gefahr befand oder sonst der Hilfe bedurfte. Seine Augen strahlten nur Liebe; seinem Worte konnte kein Mensch widerstehen, und alle seine Gedanken waren nur darauf gerichtet, Glück und Heil um sich her zu verbreiten. Er war Christ geworden und hatte zwei Schwestern, die er auch zu Christinnen machte. Der gütige Manitou hatte diesen Schwestern große Schönheit verliehen, und viele, viele Krieger setzten ihr Leben daran, sich ihre Liebe zu erringen, doch war das stets vergeblich. Die ältere wurde Tehua[20] und die jüngere Tokbela[21] genannt. Sie waren einst, ohne daß jemand wußte, wohin, mit ihrem Bruder verschwunden, und kein Mensch hat sie jemals wieder gesehen.«

      »Kein Mensch, wirklich keiner?« fragte der Farmer.

      »Keiner!« antwortete Winnetou. »Mit dem »Himmel« und der »Sonne« gingen die Hoffnungen der roten Krieger verloren, und in Ikwehtsi‘pa ist dem Christentum ein Prediger verschwunden, wie es von einem Meere bis zum andern keinen je gegeben hat. Er war ein Freund und Bruder, ein treuer Berater von Intschu tschuna, meinem Vater. Dieser hatte ihn tief in sein Herz geschlossen und hätte viel, sehr viel darum gegeben und gewiß gern sein Leben dafür gewagt, zu erfahren, was für ein Unfall die drei Geschwister hinweggerafft hat, denn nichts anderes als ein Unglück kann schuld daran sein, daß sie verschwunden und nicht wiedergekehrt sind.«

      Der Farmer war den Worten Winnetous mit großer, ja mit auffälliger Aufmerksamkeit gefolgt; jetzt fragte er:

      »Wenn der frühere Häuptling der Apatschen so große Opfer dafür gebracht hätte, würde auch der jetzige dazu bereit sein?«

      »Ja, ich bin bereit im Namen und im Geiste meines Vaters zu handeln, dessen Seele den »Großen Freund« liebte.«

      »So ist es ein wunderbarer, glücklicher Zufall, welcher Euch heut zu mir führte. Ich bin nämlich im stande, Euch Auskunft zu erteilen.«

      Um die große Wirkung dieser Worte zu bezeichnen, brauche ich nur zu sagen, daß Winnetou, dieses Muster von Ruhe und Beherrschung aller seiner Regungen, von seinem Stuhle nicht etwa aufstand, sondern gradezu aufschnellte, wie von einer Spannfeder emporgetrieben, und wie atemlos ausrief:

      »Auskunft geben? Ueber Ikwehtsi‘pa, über Padre Diterico, den wir alle verloren glaubten? Ist das wahr? Ist das möglich? Das kann nur auf einem Irrtum, einer Täuschung beruhen!«

      »Es ist keine Täuschung, sondern Wirklichkeit. Ich kann sichere Auskunft erteilen; aber leider ist es keine so erfreuliche, wie ich wohl wünschte. Er lebt nicht mehr.«

      »Uff! Er ist tot?«

      »Ja.«

      »Und seine Schwestern?«

      »Von denen weiß ich nichts.«

      »Wirklich nichts?«

      »Nein, gar nichts. Auch von ihm weiß ich nichts von allem, was zwischen seinem Verschwinden und seinem Tode geschehen ist; ich kann nicht einmal sagen, wie er ermordet wurde und wer sein Mörder ist.«

      Da gab sich Winnetou einen Ruck, daß sein hinten lang herabfallendes, prächtiges Haar nach vorn über seine Achseln flog und ihm wie ein Schleier das Gesicht bedeckte.

      »Uff, uff!« ertönte es aus diesem Schleier heraus. »Ermordet ist er worden, ermordet! Ein Mörder hat uns um das kostbare


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<p>20</p>

Sonne.

<p>21</p>

Himmel, beides Moquisprache.