Winnetou 3. Karl May
Also vorwärts!«
Es schien mir nicht wahrscheinlich, daß wir versprengt würden, doch war es klug und vorsichtig gehandelt, sich auf alle Fälle sicher zu stellen.
Wir brachen auf.
Jetzt war es bereits so dunkel, daß wir gefahrlos in aufrechter Stellung über die Bahn gehen konnten. Dann wandten wir uns links und schritten, das Messer im Falle einer feindlichen Bewegung zum Stoße bereit haltend, längs des Dammes dahin. Das Auge gewöhnt sich in der Prairie sehr bald an die Dunkelheit; wir hätten auf einige Schritte Entfernung hin jeden Indianer erkannt. An der Leiche des getöteten Weißen vorüber gelangten wir an den Platz, wo vorhin die Pferde gehalten hatten. Sie standen noch da.
»Ihr rechts und ich links!« raunte Sam und schlich von mir weg.
Ich wandte mich in einem Bogen um die Pferde herum und gelangte an einen von Gesträuch freien Platz, auf welchem die dunklen Gestalten der Indianer lagen. Sie hatten kein Feuer angezündet und verhielten sich so still, daß ich das Knistern eines Käfers in den Grasbüscheln zu hören vermochte. Etwas abseits von ihnen sah ich drei Gestalten sitzen, die Einzigen, die ein Gespräch zu führen schienen. Ich beschlich sie so vorsichtig wie möglich.
Als ich mich kaum noch sechs Schritte hinter ihrem Rücken befand, erkannte ich zu meinem Erstaunen in dem einen von ihnen einen Weißen. Was hatte dieser mit den Indsmen zu schaffen? Ein Gefangener war er nicht; das lag klar auf der Hand. Vielleicht war er einer jener Savannenklepper, welche es bald mit den Roten und bald mit den Weißen halten, je nachdem es ihre räuberischen Absichten erfordern. Er konnte allerdings auch einer jener Jäger sein, welche, von den Indianern gefangen genommen, sich ihr Leben dadurch retten, daß sie ein rotes Mädchen zur Squaw nehmen und nun fortan zu dem Stamme gehören. Dann aber wäre seine Kleidung, deren Bestandteile und Schnitt ich trotz der Dunkelheit ziemlich genau zu erkennen vermochte, eine mehr indianische gewesen.
Die beiden Anderen waren Häuptlinge, wie ich an den Rabenfedern erkannte, welche sie sich auf dem hoch aufgetürmten Schopfe befestigt hatten. Es schien also, als seien die Krieger von zwei verschiedenen Stämmen oder Dörfern zu dem beabsichtigten Unternehmen zusammengetreten.
Die Drei saßen am Rande des freien Platzes hart an einem Busche, welcher es mir ermöglichte, mich ihnen so zu nähern, daß ich vielleicht einige Worte ihres Gespräches erlauschen konnte. Ich schob mich zu ihnen hinan und lag bald in so unmittelbarer Nähe hinter ihnen, daß ich sie mit der Hand erreichen konnte.
Es schien eine Pause in ihrer Unterhaltung eingetreten zu sein. Das Schweigen währte wohl einige Minuten, dann fragte der eine Häuptling den Jäger in dem aus fremden und indianischen Worten gemischten Idiom, dessen sich der Indsman bedient, wenn er mit einem Weißen spricht:
»Und mein weißer Bruder weiß ganz genau, daß just mit dem nächsten Feuerroß das viele Gold kommen wird?«
»Ich weiß es,« antwortete der Gefragte.
»Wer hat es ihm gesagt?«
»Einer der Männer, welche bei dem Stalle des Feuerrosses wohnen.«
»Das Gold kommt aus dem Lande der Waikur?«
»Ja.«
»Und es soll zum Vater der Bleichgesichter gehen, der Dollars daraus machen will?«
»So ist es!«
»Der Vater der Bleichgesichter wird nicht so viel von dem Golde erhalten, daß er sich einen Half-Dollar daraus machen kann! Werden viele Männer auf dem Feuerrosse reiten?«
»Das weiß ich nicht; aber es mögen ihrer noch so viele sein, mein roter Bruder wird sie mit seinen tapfern Kriegern alle besiegen.«
»Die Krieger der Ogellallah werden viele Skalpe heimbringen, und ihre Frauen und Mädchen werden den Tanz der Freude tanzen. Werden die Reiter des Feuerrosses vieles bei sich haben, was die roten Männer brauchen können? Kleider, Waffen, Callico?«
»Das alles werden sie bei sich haben und noch viel mehr. Aber werden die roten Männer ihrem weißen Bruder auch geben, was er verlangt hat?«
»Mein weißer Bruder wird erhalten alles Gold und Silber, welches das Feuerroß mit sich führt. Wir brauchen es nicht, denn in unsern Bergen sind so viele Nuggets, als wir nur haben wollen. Ka-wo-mien, der Häuptling der Ogellallah« – und dabei zeigte er mit dem Finger auf sich selbst – »lernte einst ein kluges, tapferes Bleichgesicht kennen, welches sagte, das Gold sei nichts als › deadly dust‹, geschaffen von dem bösen Geiste der Erde, um die Menschen zu Dieben und Mördern zu machen.«
»Dieses Bleichgesicht war ein großer Narr. Wie war sein Name?«
»Er war kein Narr, sondern ein sehr kluger und tapferer Krieger. Die Kinder der Ogellallah waren droben an den Wassern des Broad-fork versammelt, um sich die Skalpe einer Anzahl von Trappern zu holen, welche in ihrem Gebiete viele Biber gefangen hatten. Bei den Fallenstellern war ein weißer Mann, den sie für närrisch hielten, weil er Pflanzen und Käfer suchte und bloß gekommen war, um sich die Savanne anzusehen. Aber in seinem Kopfe wohnte die Weisheit und in seinem Arme die Stärke; seine Büchse fehlte nie, und sein Messer fürchtete sich nicht vor dem grauen Bären des Felsengebirges. Er wollte ihnen Klugheit geben gegen die roten Männer, sie aber verlachten ihn. Darum wurden sie alle getötet, und ihre Schädelhäute zieren noch heute die Wigwams der Ogellallah. Er hatte seine weißen Brüder nicht verlassen wollen und tötete viele rote Männer; aber ihrer waren so viele, daß sie ihn niederrissen, obgleich er stand wie die Eiche des Waldes, die alles zerschmettert, wenn sie fällt unter der Axt des Woodmannes. Er wurde gefangen genommen und nach den Dörfern der Ogellallah geführt. Sie töteten ihn nicht, denn er war ein mutiger Krieger, und manches Mädchen des roten Volkes wollte als Squaw mit ihm in seine Hütte gehen. Ma-ti-ru, der größte Häuptling der Ogellallah, wollte ihm das Wigwam seiner Tochter geben, oder er sollte sterben; er aber verschmähte die Blume der Prairie, raubte das Pferd des Häuptlings, stahl sich seine Waffen wieder, tötete mehrere Krieger und entkam.«
»Wie lange ist dies her?«
»Die Sonne hat seitdem vier Winter besiegt.«
»Und wie hieß er?«
»Seine Faust war wie die Tatze des Bären; er hat mit der bloßen Hand die Schädel vieler roten Männer und auch einiger Bleichgesichter zerschmettert; und daher nannten ihn die weißen Jäger Old Shatterhand.«
Es war wirklich eines meiner früheren Abenteuer, welches Ka-wo-mien erzählte. Jetzt erst erkannte ich ihn und auch den neben ihm sitzenden Ma-ti-ru, die mich einst gefangen genommen hatten. Der Erzähler hatte die Wahrheit berichtet, nur mußte ich ihm im Stillen den Vorwurf machen, daß er sich in Beziehung auf meine Person einer zu großen Ausschmückung bediente.
»Old Shatterhand? Den kenne ich!« antwortete der Weiße. »Er befand sich einst in dem Hide-spotEin gegen die Angriffe der Indianer und weißen Banden von den Jägertrupps angelegtes Versteck, in welchem sie sich und ihre Jagdbeute zu verbergen pflegen von Old Firehand, als ich dasselbe mit einigen wackeren Männern angriff, um uns ihre Ottern- und Biberfelle zu holen. Ich entkam damals mit noch zwei Mann und möchte wünschen, dem Halunken einmal zu begegnen. Er sollte sein Kapital mit reichlichen Zinsen zurück erhalten!«
Jetzt erkannte ich auch ihn. Er war der Anführer jener Bushheaders, die uns droben am Süd-Saskatschawan überfallen hatten, von uns aber so empfangen worden waren, daß nur diese Drei entkamen. Er war einer jener Prairieräuber, welche man mehr zu fürchten hat, als die wildesten Indianer, da sie die schlimmen Eigenschaften beider Rassen in doppeltem Maße in sich vereinigen.
Ma-ti-ru, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, erhob seine Hand.
»Wehe ihm, wenn er wieder in die Hände der roten Männer fällt! Er würde an den Marterpfahl gebunden, und Ma-ti-ru nähme ihm jede einzelne Muskel von den Knochen. Er hat die Krieger der Ogellallah getötet, das beste Pferd des Häuptlings geraubt und das Herz der schönsten Tochter der Savanne von sich gestoßen!«
Hätten die drei Männer gewußt, daß der, gegen den sie solche Drohungen ausstießen, kaum drei Spannen weit hinter ihnen lag!
»Die roten Männer werden ihn niemals wieder sehen, denn er ist weit über das Wasser nach dem Lande