Der Sternsteinhof. Ludwig Anzengruber

Der Sternsteinhof - Ludwig  Anzengruber


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sich, paarmal nach seinem Sohne zurückblickend, es berührte ihn wie immer gar nicht so unangenehm, wenn er sich diesem überlegen zeigen konnte.

      Toni ging durch den Hausflur in den Garten. Er ließ sich in der Rebenlaube nieder. Er stützte den Kopf mit der Linken, den Ellbogen hatte er auf das eine Knie aufgestemmt, auf dem anderen lag flach seine Rechte; so saß er nachdenklich eine geraume Weile, dann seufzte er auf: »So kann‘s nit fortgeh‘n.«

      Der Garten hatte ein Seitenpförtchen, von welchem ein ausgetretener Weg, auf dem Kamme des Hügels, über die Wiesengründe führte. Wer diesem schmalen Steig, der sich mählich bergab verlor, folgte, hatte das Dorf im Rücken. Toni schlenderte bedächtig auf selbem dahin, oft blieb er stehen und sah nach der letzten Hütte da unten in Zwischenbühel.

      Plötzlich riß es ihn herum, und er beugte den Oberleib vor und streckte den Hals. Helene war auf die Straße getreten. Kein Zwinkern der Augen, kein Zucken der Mundwinkel wie damals, als er über die Wiese nach dem Bache hinunterstieg, zeigte sich jetzt in dem Gesichte des Burschen, nur die äußerste Spannung war darin zu lesen, mit welcher er von der Höhe aus jede Bewegung der Dirne beobachtete.

      Helene trug einen kleinen Buckelkorb, sie stand eine Weile und blickte um sich, dann ging sie unten an dem Ufer des Baches in der gleichen Richtung fort, wie Toni oben am Kamme des Hügels.

      Gewiß, sie ging dürres Astwerk oder Tannenzapfen auflesen in dem kleinen Nadelholzbestande, welcher der Gemeinde gehörig war und der »tote Wald« hieß; es war das ein kümmerliches Gehölze, nahe dem Rande des Baches, der es bei Hochwasser überflutete und Sand und Gerolle zwischen den Stämmen ließ, aber ganz war es dem Verderben geweiht, seit der Borkenkäfer dort zu hausen begann; kahl ragten die schlanken Schäfte empor, morsch brachen sie in sich zusammen, nur wenige gesunde Bäumchen fristeten noch für unbestimmte Dauer ihr Sein. Der tote Wald war aufgegeben. Selbst des Leseholzes wegen gab es keinen Streit, nur die Allerärmsten des Ortes schickten ab und zu ihre Kinder, um von dem Geäste heimzuholen, was einem nicht unter dem Griffe zermürbte.

      Daß ihn die Dirne gesehen habe und ihm nun geflissentlich über den Weg laufe, das galt dem Burschen für ausgemacht, doch empfand er diesmal keine freudige Genugtuung darüber, er fühlte sich vielmehr bange und beklommen, einen Augenblick wünschte er sogar, sie möchte nicht gekommen sein, doch weil sie es war, achtete er bald auf nichts mehr, als mit der Gestalt, die flink auf der Straße da unten sich fortbewegte, gleichen Schritt zu halten.

      Nahe, wo der Steig endete, führte er hinter den Büschen knapp am Rande des Baches dahin; dort blieb der Bursche einen Augenblick stehen, mit verhaltenem Atem und ohne Regung, damit er nicht unversehens an einen Zweig des Strauches rühre, der ihn deckte. Nur durch das schmale Bett des Wassers getrennt, ihm gerade gegenüber, saß die Dirne auf einem Erdaufwurf, der Schuh mochte sie wohl gedrückt haben, sie hatte ihn ausgezogen und schüttelte ihn, dann zog sie ihn wieder an, streckte den Fuß zierlich vor und lockerte ihr Strumpfband, darauf erhob sie sich und schritt rasch in den Tann, hinter dessen schlanken Stämmen sie verschwand. Toni legte die kurze Strecke Weges bis an den Bach zurück, lief über den Baumstamm, der da statt einer Brücke diente, und sah nahe im toten Walde Helene erwartend stehen. Er ging entschlossen auf sie zu.

      Sie ließ ihn auf drei Schritte herankommen, dann warf sie mit dem einen Arme den Korb von der Schulter zur Erde und streckte den anderen gegen ihn aus. »Das muß einmal ein End‘ haben,« rief sie.

      »Das mein‘ ich auch,« sagte der Bursche und nickte dazu ernst mit dem Kopfe.

      »Ganz offen gesteh‘ ich‘s,« fuhr sie fort, »heut hab‘ ich dich wohl von der Höhen daherkommen g‘seh‘n und es d‘rauf ang‘legt, daß ich mit dir zusamm‘treff, weil mir dein Nachlaufen durch ‚n Ort und ewig‘ Angaffen in der Kirchen hitzt schon einmal z‘dumm wird! Hilft‘s bei dir nit, wenn mer, was dich angeht, kurz und bündig in ein‘m Sprüchel sagt, brauchst du zum Verstehen ‚leicht ein‘ Predigt oder ein‘ Litanei?«

      »Red‘ dich aus, red‘ dich nur aus,« sagte Toni, indem er vor sich zu Boden sah.

      »Du bild‘st dir wohl ein, du wärst gar ein besond‘rer und alle anderen g‘ring‘ gegen dich? Freilich, du bist der einzige Sohn vom reichen Bauer af‘m Sternsteinhof und selber einmal der Herr d‘rauf, halt ja, das bist du, aber deßtweg‘n brauchst d‘ doch mich nit für ein schlecht‘s Mensch z‘halten!« Sie hatte unterdem von den nahestehenden Bäumen dürre Äste abgebrochen und neben den Korb hingeworfen, jetzt schwang sie eine dünne Gerte in der Hand und führte damit einen Lufthieb gegen den Burschen. »Halt‘st mich ‚leicht nit dafür?«

      »Wie kam‘ ich auf den Gedanken?« sagte er kleinlaut, ohne den Blick vom Boden zu erheben.

      »Bist noch nit d‘rauf ‚kommen, so helf ich dir d‘rauft Was willst mit all‘ dein‘m Nachlaufen und Aufdringlichkeiten bezwecken, als daß ich den Burschen, der‘s ehrlich mit mir meint, fahren lassen sollt‘, dir z‘lieb‘, der‘s nit in Ehren meint, nit in Ehren meinen kann, noch darf?!«

      Toni blickte auf. »Wieso nit könnt‘ und nit dürft‘?«

      »Dumme Frag‘,« zürnte die Dirne. »Nimm du mich nur nit für gleicherweis so dumm und ehrvergessen, daß ich dir ein G‘hör schenken und dabei übersehen könnt‘, wie groß und breit der Sternsteinhof zwischen uns zweien liegt, von wo ich niemal Hoffnung hab‘ aus einer Fensterrahm‘ auf Zwischenbühel herunterz‘schauen. Jetzt weißt mein‘ Meinung, und von heut‘, bitt‘ ich mir aus, bleib‘ von mein‘ Weg‘n und schau‘ in der Kirchen, wohin z‘schauen hast, wenn dich d‘Frommheit h‘neinführt, nach‘m Altar und nach der Kanzel, aber nit nach‘n Weiberbänken; mein‘tweg ‚n auch dahin, aber nach einer andern.«

      »Bist fertig? So hör‘ auch mich an. Ob ich geg‘n andere stolz bin, kommt da nit in Frag‘, du hast dich in derer Hinsicht g‘wiß nit über mich zu beklagen; wär‘ ich nur halb so übelnehmerisch wie du, so laufet ich jetzt wohl schon heimzu, übrigens g‘schieht‘s weder aus Demütigkeit noch tu‘ ich mir ein‘ Zwang an, daß ich dir standhalt‘, es is mir nur d‘rum, daß ich dich seh‘ und hör‘, und hast kein‘ freundlich G‘sicht und kein gut‘ Wort für mich, so nimm ich auch mit ein‘ finstern und mit unb‘schaffene vorlieb, und dafür, daß ich dich gern hab‘, kann ich just so wenig wie der Herrgottlmacher, möcht‘ also nit, du nähmst mir‘s übler auf und lägest mir‘s anders aus wie dem.« Helene hob die runden Schultern.

      »‘s tät deiner Ehr‘ nit ‚n geringsten Abbruch, wann d‘ dich mitleidig bezeigest zu mir.«

      Helen‘ runzelte die Brauen. »Du Narr, du, setz‘ dir keine Dummheiten in‘ Kopf, so fehlt dir gleich nix!«

      »Hast schon recht, wenn du‘s ein‘ Dummheit nennst und ein‘ allmächtige dazu! Alles, was du dagegen vorgebracht hast und mehr noch, hab‘ ich mir selber g‘sagt, mich z‘Anfang g‘nug dawider g‘sperrt und g‘spreizt und doch hat‘s mich unterkriegt, daß ich mich jetzt nimmer ausweiß. Leni, mein Seel‘ und Gott, auf dein‘ Red‘ vorhin, daß der Sternsteinhof zwischen uns zwei‘n stund‘, hätt‘ mir einer sagen können, derselbe wär‘ niedergebrennt bis af‘n Grund, mir wär‘s nit nah‘gangen.«

      Die Dirne lachte laut auf. »Das kannst ja erprob‘n. Zünd‘ ihn an!«

      »Das is ein sündhaft‘ Reden. In Vatershaus wird doch keiner Feuer anlegen.«

      »No, mein‘ nur nit, daß ich dich dazu anstiften möcht‘! Ich wollt‘ dir nur weisen, daß‘s schließlich doch allweil af mein frühers Sagen h‘nauslauft und jed‘s weitere Reden zwischen uns überflüssig is. Hätt‘st du dein‘ Hof eben nit, könnt mer dir a ehrlich Absicht zutrauen, so bist du aber der Toni vom Sternsteinhof, und die Dirn‘, die sich mit dir einlaßt, vergibt sich von vorhinein.«

      »Als ob ich‘s – wie ich bin – nit ehrlich meinen könnt‘! Af‘m Sternsteinhof bleibt‘s nit allweil so b‘stellt wie jetzt, kann auch ein‘ Veränderung eintreten.« —

      »Wenn dein Vater sterbet, meinst?« Die Dirne sah ihm bei der Frage scharf in die Augen.

      Er wandte sich ab. »Ich wünsch‘ ihm den Tod


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