Der Sternsteinhof. Ludwig Anzengruber
daherreden magst, wo du doch schon für dein‘ Teil ein‘ Bub‘n hast, auf den d‘ stolz sein kannst! Der Toni vom Sternsteinhof, wie reich er is, stellt sein‘ Tag nix vor als ein‘ Bauern, geg‘n den is wohl der Kleebinder Muckerl ein ganz anderer. Dazu is der hochmütige Sternsteinler – wann d‘ ihn dir je von der Näh‘ betracht‘ hast, mußt mir recht geben – weitaus nit der Schönste und Stärkste, und er kann doch wahrlich nit, wie der Muckerl, was ihm an Kräftigkeit und Hübschheit fehlt, ausgleichen durch sein‘ Künstlichkeit und sein‘ Bravheit und sein‘ Gutheit.«
»Schau, was du all‘s über ihn weißt,« lachte Helen‘, »schier werd‘ ich mit dir eifern müssen, es hat völlig ‚a Anschein, ols ob d‘ in mein Muckerl verliebt wärst.« Sepherl wandte ihr errötendes Gesicht ab. »Geh‘ zu, sei nit törig.«
»Brauchst ja nit rot z‘werden, wenn es nit wahr ist,« neckte Helene. Es machte ihr Spaß, da sie sich den unbestreitbaren Besitz des Burschen von Sepherl geneidet dachte, diese durch lose Reden zu ärgern. Sie schlug ihr derb auf die Achsel. »Na, trutz‘ nit! Wann dir gar so um ihn is, kannst ihn ja hab‘n. Gib mir ein gut Wort, so laß‘ ich‘n dir.«
»Hast du auch nur ein‘ Laut von mir g‘hört, der dir das Recht gibt, ein‘ solche Red‘ wider mich z‘führ‘n?« zürnte Sepherl. »Daß der Muckerl kein‘ andere will wie dich, und selbst wenn er eine möchten tät, mich schon af d‘Allerletzt, das weißt, und weil du ‚s weißt, so laß‘ dir auch sagen, daß dich solch‘ unb‘sinnt Schwätzen nur selber verunehrt und ich mich für dein G‘spött noch allweil z‘gut halt‘!«
»Bist du aber empfindlich,« sagte Helene, über die Achsel nach ihr blickend. »Wann der Bub‘ mein is, so werd‘ ich mir doch über das Meine ein‘ Spaß erlauben dürfen? Und sag‘ ich scherzweis, ich tät‘ dir ‚n gönnen, so darf das doch dich nit beleidigen, die ‚n für so ein‘ Ausbund halt‘! Das im G‘spaß, im Ernst aber – is er, wie er is, ich bin auch, wie ich bin – vermocht‘ ihn ein‘ andere nur an‘ klein‘ Finger z‘fassen, kannst mir glauben, daß ich ‚n ihr schon nit mehr streitig machet!«
Ja, so durfte die Zinshofer Helen‘ wohl reden. Sepherl nickte zustimmend. »Wär‘ auch ein Einfall, sich mit dir z‘messen, der Muckerl tät‘ dazu nur lachen. Aber schau‘, da is er und steht noch allweil geduldsam auf der Brucken.«
Er stand wirklich noch da. Viel Wasser war, während er hier wartete, den Bach hinabgeflossen, und er fragte sich, wieviel wohl noch da unter der Brücke werde hinweglaufen müssen, bis sich schicken wird, was er wünscht und hofft.
Er stand, daß der Bach gegen ihn floß, sah nur das währende Zudrängen und Herankommen und achtete nicht auf das gischtende, wallende, rastlose Gerinne, das hinter seinem Rücken, was er gebracht hatte, Scheit oder Halm, auch mit sich fortführte.
Früh am nächsten Morgen fand sich Helene auf dem Sternsteinhof ein.
»Je, was machst du da?« fragte die alte Schaffnerin, als sie ihrer ansichtig wurde.
»Denk‘,« sagte die Dirne, indem sie nach ihrem rechten Ohrläppchen wies, »ein Ohrring is mir verloren gegangen. Hab‘ ich ihn nit da heroben bei euch verstreut?«
»Hab nix g‘seh‘n.«
»Sollt‘ er dir gleichwohl unterkommen —«
»«Will schon darauf achten.«
Über den Hof kam ein untersetzter, stämmiger Bursch auf die beiden zugeschritten.
»Da kommt unser Bauerssohn,« flüsterte die Alte, die Dirne mit dem Ellbogen anstoßend.
Helene betrachtete den Herantretenden. Er hatte krauses, schwarzes Haar, eine gerade, ziemlich fleischige Nase und braune helleuchtende Augen. Sie erwartete nach dem, was Sepherl über ihn gesagt hatte, keinen Gruß, aber sie grüßte auch nicht.
»Wen hast denn da bei dir, Kathel?« fragte er.
»‘s is die Zinshoferische von da unten,« sagte die Alte, mit einer beiläufigen Handbewegung nach dem Fuße des Hügels, welche dartun sollte, wie wenig für hier oben das da unten zu bedeuten habe. »Die Matzner-Sepherl hat‘s gestern mit heraufgebracht, und da hab‘ ich ihr große Augen machen gelehrt. Über lauter Aufschaun hat‘s gar ein‘ Ohrring verloren, ohne daß sie es gemerkt hätt‘. Gelt ja, du?« Sie legte ihre knöchernen Finger auf die runde Schulter der Dirne.
»Wahr ist‘s,« sagte Helene, »schön habt ihr‘s da heroben.« Sie sagte das aber in einem Tone gleichmütiger Anerkennung, wie wenn sie gestern gerade nicht gar zu Ungewöhnliches gesehen hätte und als ob sie etwa mehr absonderlichkeitshalber, als aus sonst irgend einem Grund in der armseligsten Hütte da unten wohne.
»Na, wenn dir‘s gefallen hat,« sagte der Bursche, »kannst ja öfter kommen.«
»Bist gutmütig,« lachte die Dirne, »denkst, mit den Augen tragt euch kein‘s was hinweg, und gönnt ein‘m ‚s Anschau‘n.«
»Bist du so interessiert?« schmunzelte der Bursche. »Wer weiß, ‚s eine oder ‚s andere könnt‘st du ein‘m leicht wohl abbetteln.«
»Meinst?« entgegnete sie, ihm voll in die Augen sehend. »Wenn ich‘s drauf antragen möcht‘, könnt ‚s ja sein; aber auf‘s Betteln verleg‘ ich mich eben nit, ich b‘sinn‘ mich noch oft, ob ich nimm, was mer mir antragt.« Sie wandte sich an die Schaffnerin. »Also sei so gut, wegen ‚m Ohrringel. Sollt‘st ‚s zufällig doch finden, so leg‘ mir‘s af d‘ Seit‘. Es wär‘ mir leid, fänd‘ sich‘s nit, s‘ eine nützt mir nix ohne ‚s andere, und obendrein ist ‚s ein G‘schenk. Schau‘, so sehen‘s aus.« Sie bog den Hals und reckte den Kopf hinüber, daß die Alte im linken Ohrläppchen den Ring betrachten konnte, dann kehrte sie sich ab. »B‘hüt Gott miteinander!«
Der Bursche tat einen leisen Pfiff. »Die ist bissel hoffahrtig, scheint mir.«
»Mir schon auch,« meinte die alte Kathel.
»Aber gleichwohl sauber, das muß ich schon sagen.«
»Sie ist ‚n Kleebinder Muckerl sein Schatz.«
»‘m Holzmandel-Macher?«
»‘m selb‘n.«
»So.«
Als Helene in der Hütte unten anlangte, keifte die alte Zinshoferin: »Wo streichst du denn schon herum in aller Früh?«
»Af‘n Hof oben war ich. Ich muß gestern dort ein Ohrring verstreut hab‘n, —«
»Pah, du Gans, schau‘ ein andermal doch lieber vorerst ordentlich im Haus nach, eh‘ d‘ nach allen Enden auslaufst. Dein‘ Ohrring liegt in der Tischlad‘, grad vorhin hab‘ ich‘s g‘seh‘n.«
»Jesses, nein, was ich für ein verlorenes Ding bin! Freilich da ist‘s. Na, da bin ich froh. Hätt‘ mir ‚n Gang und die Angst darum ersparen können.«
Sie tat einen scheuen Blick nach der Mutter und lächelte, als diese ihr den Rücken kehrte, vor sich hin.
Es war nach dem Mittagessen, als der Toni vom Sternsteinhof, nachdem er in der Küche seine Pfeife in Brand gesetzt, in‘s Freie trat und langsam quer über die große Wiese hinab zu gehen begann; einem anderen hätte es übel bekommen können, das liebe Gras so in den Boden zu treten, wer aber wollte es ihm wehren, dem künftigen Eigner? Nicht einmal der gegenwärtige, sein Vater, hätte ihn darüber vor den Leuten grob anlassen mögen, und einen »Rüppler« hinterher unter vier Augen scheute der Bursche um so weniger, als es dabei bisher noch immer – und um ganz anderer Streiche willen – ganz glimpflich abgelaufen war. Der Alte tat sich allerdings auf seine Strenge etwas zugute, aber wenn ihm im Tun und Lassen seines »Einzigen«, auf den er stolz war, etwas mißfiel, so begnügte er sich, seine Überlegenheit dadurch zu zeigen, daß er mit lautem Geschrei und Poltern das Unvernünftige, Unschicksame oder Unwirtschaftliche des Geplanten, Geschehenen oder Unterbliebenen aufwies, bis ihm der Atem oder der Faden der Rede ausging, der Junge hatte dabei nur demütig zuzuhören, und das war er gern zufrieden.
Toni hatte etwa zwei Dritteile des Weges, hinab zum Rande des Baches,