Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg - Ludwig  Ganghofer


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Augen beim Runotter, der sich in dem drängenden Haufen umherschob, bald den einen, bald den andern am Kittel faßte und ernst auf ihn einredete.

      Aber da fruchtete keine verständige Mahnung mehr. In den ratlos furchtsam Gewordenen hatte die Staatsklugheit des Franzikopus Weiß drei vernunftfressende Worte zurückgelassen: das Wort von den Schätzen, mit denen ein gütiger Fürst die Truhen seiner Holden füllt, das Wort von den Exekutierern und den vielen Ochsen, Kühen, Schafen und Ziegen, das Wort von den hohen Ulmen mit den festen Ästen. Je tiefer diese drei Worte sich einbohrten, um so mehr verlor für die Ramsauer der heilige Peter von Berchtesgaden an vertrauenswürdigen Eigenschaften. In gleichem Maße gewann der heilige Zeno von Reichenhall an schutzbietender Kraft.

      Schon mehrmals hatte der Ältestmann umsonst versucht, von diesen schreienden Menschen gehört zu werden. Nun stieg er auf einen Zaunpfosten des Leuthauses. Und weil seine Stimme in dem tobenden Lärm versank, hob er zwischen seinen zitternden Händen den Hängmooser Weidbrief in die Höhe, dieses grau und rot gefleckte Heiligtum des Seppi Ruechsam. Mit gekrümmtem Rücken und eingeknickten Knien stand der greise Mann da droben und wartete geduldig, bis halbe Stille entstand. Dann sprach er: Es wäre mit allen Stimmen der Spruchbaren wider die einzige Stimme des Runotter ein Fürschlag ausgeredet, den alle hören und gutheißen müßten, die zur Ramsau und zum Schwarzeck, zum Tauben- und Hintersee gehören; man soll die vier Toten dem Pfarrherrn vor das Widum legen zu christlichem Begräbnis; man soll vor Nacht alles Vieh von den Ahnen holen und beim Taubensee zusammentreiben; neuer Albmeister ist der Hinterseer Fischbauer, der soll die gesiegelten Rechtsbriefe mit der Truhe des Seppi Ruechsam in Verwahr nehmen und haften dafür mit Leib und Leben, mit Gut und Seligkeit; für jeden Schwerkranken und vor Alter Müden soll man einen halbwüchsigen Buben daheim lassen zu Treuung und Pfleg, bei jedem eine Milchgeiß und das Geflügel, das sich vor Nacht nimmer fangen läßt, einen versteckten Sparpfennig, ausreichendes Brot, dazu noch Mehl und Schmalz und Salz; was sonst in der Ramsau und auf dem Schwarzeck, am Tauben- und Hintersee ein Lebendiges ist, Mannsleut, Weiber und Kinder, mit allem nutzbaren Vieh, mit Geld und beweglichem Gut, mit Wehr und Eisen, mit Sack und Karren, soll bis Mitternacht Zulauf suchen beim Taubensee. »Auf daß wir zur Wahrung von Hab und Leib einen andächtigen Bittgang tun zum heiligen Zeno, der uns ein mächtiger Fürsprech sein wird beim gütigen Herrn im Himmel, bei Jesuchrist und seiner barmherzigen Mutter. Wer dawider ist, daß man den Bittgang macht, der tu seine Faust in die Höh!«

      Eine einzige Faust erhob sich, die des Runotter. Dann streckten sich noch zwei Arme. Von den drei Knechten des Runotter stimmten zwei wie ihr Bauer.

      »So ist beschlossen, daß man’s tut!« Der Ältestmann ließ sich vom Zaunpfosten herunterheben.

      »Leut, Leut, Leut!« rief der Runotter mit hallender Stimme. »Das ist kein andächtiger Bittgang nit! Das ist Landsverrat!«

      Alle hundert Stimmen brüllten gegen den einen. Und Malimmes schrie: »Laß gut sein, Bauer! Steckt der Karren so tief im Dreck, da müßt man im Dutzend helfen. Einer lupft ihn nimmer.«

      Doch Runotter, während ein Schwärm von Buben schon nach allen Seiten auseinanderstob, um das Almvieh heimzuholen, faßte den Ältestmann am Kittel, rüttelte ihn und schrie wie von Sinnen: »Mensch! Was tust denn, Mensch? Bist der Ältest, solltest der Klügste sein und bist der Dümmst. Und hetzest die Leut ins Verderben! Und redest zu Landsverrat und Treubruch!«

      »So?« keuchte der Greis. »Und wie heißt denn, was die Herren tun?«

      »Wenn einer stiehlt, muß da gleich jeder ein Dieb sein? Die Treu verlassen, heißt auf den Mist springen, nit auf guten Boden! Der Fürst tut Unrecht an uns. Ist wahr! Das werden die Herren einsehen —«

      »So? Und bis sie’s einsehen, liegt ein Häufl von uns beim Seppi Ruechsam oder hängt an den Ulmen. Das Leben ist eh noch alles, vpas der Bauer hat.«

      Hundert Stimmen schrien das gleiche.

      »Leut, Leut!« rief Runotter. »So tut doch Vernunft haben um Herrgottschristi willen! Ihr stoßt ja die eignen Häuser in Scherben und versauet das eigne Feld! Wo einer Untreu übt, geht Feuer nieder, daß ihm die Händ verbrennen. Leut, Leut! Habt ihr nit dem Fürsten geschworen —«

      Da kreischte eine Frauenstimme aus dem wühlenden Lärm. »Du hast’s nötig, daß du so für die Herren redest! Denkst nimmer an dein Weib?«

      Über das Gesicht des Runotter fuhr eine kalkige Blässe. Stumm biß er die Zähne übereinander. Dann hob er die Hände und wollte reden. Doch ein wirres, wildes Geschrei, in dem sich Hohn und Grauen mischte, erstickte sein Wort. Einer auf der Straße schrie: »Da kommt des Richtmanns höfische Treu geritten!« Und wieder jene Frauenstimme: »Guck her, du! Guck! Wie’s die Herren treiben! Oder ist das ein Gruß von deinem Weib?«

      Eine Gasse tat sich auf, die Menschen wichen zurück und Runotter sah den reitenden Tod, der ein verschobenes, bresthaftes Körperchen hatte.

      Die Augen des verstörten Mannes irrten.

      War der Tod so ein reicher Herr, daß er eine Fürläuferin besolden konnte? Und zwei Diener, die ihn stützten? Einen in staubgrauer Seide und einen mit blutiger Leinenkappe? Und hinter dem reitenden Tode lief ein Schwärm von Kindern her wie hinter einem Blatterpfeifer mit lockenden Tönen.

      Ein dumpfer Lärm. Doch für Runotter war alles ein kaltes Schweigen. Er bewegte sich wie ein Erwachender. Dann stieß er die Fäuste vor sich hin. »Jula?« Das war ein Laut wie das Röcheln eines sterbenden Tieres. »Wer?«

      Mühsam atmend, erschöpft, mit steinernem Gesicht sah Jula den Vater an. »Da — schau — jetzt komm ich heim — — mit dem Jakob.«

      Er krampfte die Fäuste in ihre Schultern und rüttelte sie, daß ihre niedergerissenen Haare rieselten. »Wer? Wer? Wer?«

      Ihr Gesicht verzerrte sich. »Der Spießknecht, der mich nöten hat wollen.«

      Runotter fuhr sich langsam mit dem Arm über die Stirne, und sein Rücken krümmte sich. Da sah er, daß der kleine Tod im Sattel sich auf die Seite neigte — Lampert und Heiner hatten die Riemen und den Knoten der Schärpe gelöst — und Runotter sprang unter keuchendem Laut auf den Rappen zu und umklammerte mit den Armen die kalte, starre Mißform, die sein Kind gewesen.

      Schreiend und schmähend drängten viele Leute gegen Lampert hin, und bei ihren Flüchen hoben sie die Fäuste. Andre kreischten auf den Runotter ein. Wieder hörte man jene Frauenstimme schrillen; es war die Stimme der Schwarzeckerin, deren seliger Mann so prachtvoll hatte pfeifen können; sie schrie: »Hast allweil die Jula noch! Die mußt zum Gaden schicken! Aber die Herren, weißt, die haben’s gern linder als auf der Alben. Gib der Jula das Bettzeug mit! Da bist ein Treuer.« Runotter, den toten Krüppel umklammernd, sah über die Gesichter hin wie ein Irrsinniger. Und da fragte ihn der Ältestmann: »So, Mensch, was tust denn jetzt?«

      Runotter nickte: »Ich höre schon, ja!«

      »So red! Was tust? Gehst mit zum heiligen Zeno?«

      Und hundert Stimmen schrien es nach: »Gehst mit? Gehst mit?«

      Er sah das vom schwarzen Haar umwuschelte Gesicht seines kalten Buben an. Dann hob er den Kopf, sein Körper streckte sich, und mit langsam gleitenden Augen sah er über das Gewühl der Leute hin.

      Wieder schrien viele Stimmen: »Gehst mit? Gehst mit?«

      Er sagte: »Mein Leben ist müd. Ich steh im Elend da. Aber mich niederhocken in den Dreck? Das tu ich nit. Ich bleib, wo ein sauberes Hausen ist. Geht euren Weg! Ich such den meinen.« Taumelnd, als wäre der leichte Körper auf seinen Armen eine Last zum Erdrücken, machte Runotter ein paar Schritte, blieb stehen und drehte das entfärbte Gesicht. »Malimmes!« Der Soldknecht stand schon neben dem Bauer. »Tu mir aufpassen auf den Herren da! Der hat —« Ein Würgen kam in seine Stimme. »Der hat meinen Buben reiten lassen auf seinem Gaul.«

      Unter dem tobenden Lärm, der entstand, trat Malimmes mit dem blanken Eisen auf Lampert zu. »Flink, Herr! Lang kann ich für Ruh nit bürgen. Die Leut sind als wie von Hornaussen gestochen.«

      Lampert, mit dem Zügel in der Hand, machte rasch einen Schritt vor die


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