Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer
gütiger Herr Fürst soll mir verstatten, daß ich um Bluts willen den Namen verschwieg. Ich hab’s nit mögen zu einem schiechen Handel kommen lassen. Und hab Befehl gegeben: ›Hofleut! Durch!‹ Und die Ramsauer hinter uns her, mit Fluchworten und Unflat, mit Holztremmeln und Steinbrocken. Einen Fußknecht und einen Buben haben sie uns totgeschmissen. Jeder von uns hat einen blutigen Wisch abgekriegt.« Marimpfel zeigte die verbundene Faust. »Und derweil wir uns gewehrt haben unsres Leibs und Lebens, sind die Küh zum Teufel. Ein paar aus dem Meuterhaufen sind liegenblieben. Ist schon wahr, Herr, wie die angestochenen Keiler haben wir uns stellen müssen. Aber sechse gegen dritthalb Hundert! Die Ramsauer hätten uns all erschlagen, wär nit durch Gottes gütige Fürsicht der Reichenhaller mit seinen Reitern des Wegs gekommen.«
»Wer?« fragte der Fürst erstaunt.
»Der Propst vom heiligen Zeno. Vor seiner Trumpeten sind die Ramsauer durch. Und Herr Otmar hat uns christlich gesegnet und hat uns in Gütigkeit viel Stärkung und Verbandzeug bieten lassen aus seinem Karren.«
»Oh?« Herr Pienzenauer erhob sich. Bei aller Erregung, die man ihm ansehen konnte, lächelte er seltsam. »Die armen Chorherren von Hall? Und schenken so reich? Da wird man ein höfliches Dankschreiben verfassen müssen.« Er blieb vor Marimpfel stehen. »Hast du die Wahrheit gesprochen?«
Der Spießknecht streckte sich. »Bei meinem Eid und Leben, Herr!«
Fürst Peter nickte. »Man wird deinen Sold erhöhen. Jetzt geh und laß dich pflegen! — Vogt! Man soll die Chorherren zum Kapitel rufen. Gleich!« Als Herr Pienzenauer mit dem Amtmann allein war, ging er schweigend durch die Stube.
Die rote Sonne war erloschen. Das Fenster leuchtete noch als heller Fleck, doch in allen Winkeln des großen Raumes saß schon die graue Dämmerung.
Dem Amtmann begann dieses lange Schweigen höchst unbehaglich zu werden. »Herr —«
Da blieb der Fürst vor ihm stehen, mit den Fäusten hinter dem Rücken. »Mag das jetzt sein, wie es will. Die Ochsen sind erledigt. Jetzt sind andre Dinge da. Ein Dorf in Aufruhr. Unrecht und Mord — so oder so. Und hat sich auf der Salzburger Synode nicht ein Fuchs in ein Schäflein verwandelt, so wird noch Übleres nachkommen. Da muß man vorbeugen. Noch heut in der Nacht. Aber das verstehst du nicht, mein guter Ruppert! Du verstehst nur, daß man jetzt bestrafen und die Exekutierer schicken muß. Und da kann ich dir leider nicht unrecht geben. Ich muß die böse Suppe auslöffeln, die du mir eingebröselt hast.«
Someiner verfärbte sich. »Ich hab mich streng nach dem Wort Euer Gnaden ans Recht gehalten.«
Der Fürst schien in Zorn zu geraten. Doch er sagte ruhig: »Ans Recht? Mag sein. Aber mein Wort? Willst du mich unter die siebzehn einreihen, die nach deiner Meinung statt der siegelwidrigen Kühe auf dem Hängmoos fressen sollten? Hab ich dir nicht auch gesagt, du sollst verständig handeln? Sieben Tote! Ist das Verstand? Sieben Menschen um einen Schüppel Gras! Und alle Folgen dazu! Und so flink hast du das gemacht, daß die junge, gesunde Vernunft, die sich dagegen wehrte, deinen Streich nimmer hindern konnte!«
»Freilich, jetzt«, stammelte der Amtmann, »wo ein unberechenbares Unglück geschehen ist, jetzt kann man leicht —«
Herr Pienzenauer hob den Kopf. »Ruppert, du bist ein unfähiger Mensch! Jetzt hast du es bewiesen. Vermutet hab ich es schon lange. Und weil ich dich im Amte ließ, bin ich heute dein Mitschuldiger. Du hast drei Monate Zeit, um deinen Sohn in die Geschäfte einzuführen. Dann genieße die nötige Ruhe. Deine Bezüge werden dir belassen. Gott befohlen!«
Ein rasch bimmelnder Hall. Auf dem Dach des Stiftes läutete die Kapitelglocke. Und da wußte man im Umkreis einer Stunde, daß Gefahr im Lande war, die schleunigen Rat verlangte.
Als Ruppert Someiner mit schwachen Knien über die von Dämmerung umwobene Treppe hinunterstieg, befiel ihn plötzlich die wunderliche Erinnerung, daß er als Knabe einen großen Apfel auf glühender Ofenplatte gebraten hatte. Der Apfel tanzte und sang sehr hübsch, doch plötzlich, mit starkem Knall, zerplatzte er. Und da machte der kleine Ruppert die überraschende Entdeckung, daß der Apfel große, hohle Samengehäuse hatte, in denen keine Spur von einem Kern zu entdecken war.
Seit mehr als vierzig Jahren hatte Someiner nicht mehr an diesen Apfel denken müssen. Warum gerade jetzt? Die Logik dieser absonderlichen Gehirnblase blieb für Ruppert Someiner unenträtselt, weil sich ihm das Bild des leeren Apfels zu schnell verwandelte in vorwurfsvolle Erbitterung über die Ungerechtigkeit der Menschen, insonderheit der Fürsten.
Als er den Hof durchschritt, keuchte einer in schwarzem Mantel an ihm vorbei. War das nicht der Ramsauer Pfarrherr?
In der farbigen Dämmerung begannen die Glocken auf drei Türmen den Abendsegen zu läuten. Die schön und sanft ineinanderfließenden Töne schwammen als wundersames Friedenslied durch die leuchtende Luft.
Someiner fand sein Haus wie ausgestorben. Das Amt war geschlossen; der Schreiber Pießböcker hatte Hut und Stock seines Vorgesetzten und die Schlüssel hinaufgetragen in die Wohnstube. Obwohl es schon dunkelte, brannte noch eine Kerze. Und der Abendtisch war nicht gedeckt. Und niemand kam, um die Bitterkeit diese gekränkten Mannes mitzufühlen und ihn zu trösten. Den dumpfen Stimmenklang und die hin und her eilenden Tritte über der Decke droben hörte er nicht, vernahm auch nicht das ruhelose Mahnwort des Pendels im alten Uhrkasten: »Bau! — Bau! — Bau!«
Gebeugten Hauptes saß er im Zwielicht des Erkers. Und dicke Zähren tröpfelten ihm über die kalkweiße Nase herunter. Ruppert Someiner war dabei des Glaubens, daß er, als der einzige Weise auf Erden, bittere Tränen vergösse über den Irrsinn des Lebens, in dem, was heiliges Recht war, sich in eine ebenso grausige wie lächerliche Torheit verwandeln konnte.
In Wahrheit war die Sache so, daß Herr Someiner heulte, weil er an die schwindende Ehrerbietung seiner Frau, an den unkindlichen, feindseligen Widerstand seines Sohnes und an seine nahe Schande vor den Menschen denken mußte.
Drei Monate?
»Gab’s auf der Welt eine Ungerechtigkeit, so groß, daß man sie in drei Monaten nicht widerlegen und durch ungebeugte Tüchtigkeit ad absurdum führen konnte?«
Bei diesem Gedanken faßte Herr Someiner den mannhaften Entschluß, von seiner Amtsentsetzung zu schweigen, solange Herr Peter Pienzenauer nicht reden würde.
Auf der glühenden Ofenplatte seines Kummers briet der kleine Ruppert abermals einen großen Apfel ohne Kern.
7
Über dem Runotterhofe hing die laue Sommernacht mit funkelnden Sternen. Das Rauschen der Ache war wie ein gleichmäßiger Murmelsang im Schweigen der Dunkelheit. Aus den Ställen tönte zuweilen das Klirren einer Kette und der murrende Laut eines Rindes. Sonst kein Zeichen von Leben in der Nacht. Die angrenzenden Höfe lagen wie ausgestorben, und vom nahen Leuthaus klang nicht wie sonst das Schreien und Singen trunkener Knechte.
Doch aus Reiter Ferne — von dem nach Reichenhall ziehenden Tal des Schwarzenbaches — war immer wieder ein mattes, wirres, wunderliches Geräusch zu hören. Das klang, wie wenn man Erbsen in einer blechernen Schüssel rüttelt. Es war der ferne Lärm des ›andächtigen Bittganges‹, den alle wegfähigen Mannsleute, Weiber und Kinder von der Ramsau, vom Schwarzeck, vom Tauben- und Hintersee zum heiligen Zeno unternahmen, mit Wehr und Eisen, mit Geld und Vieh, mit Karren und Sack.
Immer leiser, immer ferner klang dieser wunderliche Lärm.
Der regungslose Wächter, der vor dem Hagtor des Runotterhofes auf einem Grasbuckel saß, mit dem Bidenhänder über den Knien, mußte immer schärfer lauschen, um noch einen matten Hall dieses erlöschenden Lärms zu vernehmen. So oft er das leise Gerüttel der Erbsen in der Blechschüssel hörte, war in ihm die Frage: Ist die Mutter mitgezogen, oder hat sie bleiben müssen, und hat man auch bei ihr einen halbwüchsigen Buben zurückgelassen mit einem versteckten Sparpfennig, mit einer milchenden Geiß, mit einer legenden Henne, mit Mehl und Schmalz und Salz?
Lautlos kam ein Mensch von der Straße heraufgesprungen, man sah von ihm in der Dunkelheit nur einen Schimmer des weißen Wundverbandes, der um den Kopf gewickelt