Das letzte Märchen. Paul Keller

Das letzte Märchen - Paul  Keller


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haben nie etwas verlockendes, weder im Tierreich, noch im Menschenreich, noch als Tintenbehälter, aber Fässer erwecken das verderbliche Gefühl eines großen Durstes und verführen zur Unmäßigkeit und Verschwendung. Ich saß kaum an meinem Manuskript, so mahnte mich das kleine Fäßlein an ein anderes viel größeres Faß, das drüben im »Blauen Adler« stand, und nach meinem Gefühl einen schöneren Saft enthielt als Tinte. Da ich nun dem großen Faß viel öfter Gesellschaft leistete als dem kleinen, so ereignete es sich, daß ich um jene Zeit weder reich noch berühmt wurde.

      Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß ich Schulden hatte. Viel! Über fünfhundert Taler! Und ich wußte nicht, wovon ich sie bezahlen sollte. Nein, ich wußte es nicht!

      So saß ich an einem Silvesterabend mit bedrücktem Herzen einsam in meiner Schriftstellerstube und betrachtete eine Anzahl Rechnungen, die als vorzeitige Neujahrsboten bei mir eingelaufen waren.

      Der Silvesterabend ist ein sehr ernster Abend, an dem man nicht pokulieren, sondern lieber über die Vergänglichkeit der Zeit und anderer irdischer Dinge nachdenken sollte. Es gibt freilich Leute, die anderer Meinung sind. Das eine aber steht fest für alle: ein Silvesterabend mit Rechnungen hat etwas Schwermütiges. Ich fühlte mich aufs tiefste bedrückt, als ich meinen Namen so oft mit fetten, kalligraphischen Buchstaben vor mir sah und in seiner Nähe die Zahlen herumwimmelten wie freche, aufdringliche Ameisen. Es war ein häßlicher Anblick. Also packte ich die Blätter mit den Ameisen behutsam zusammen, schob sie beiseite, holte tief Atem und beschloß, ein Trauerspiel zu schreiben, nachdem sich zwölf andere Möglichkeiten, meine Finanzen zu verbessern, nach kurzer Prüfung als unmöglich erwiesen hatten. Ich hätte das Trauerspiel auch geschrieben und wäre jetzt wahrscheinlich schon ein sehr berühmter Dramatiker, wenn mir das Tintenfaß abermals einen Streich gespielt hätte.

      Es verwandelte sich nämlich, während ich eifrig über die Exposition meines neuen Stückes nachdachte, vor meinen sehenden Augen in einen Mann.

      Ich erschrak aufs heftigste. Ich bitte, was soll auch ein Mensch, vor dessen Nase sich am Silvesterabend ein Tintenfaß in einen Mann verwandelt, in der Eile anderes machen, als heftig erschrecken?

      Übrigens ein sehr kleiner Mann! Die Wände des Tintenfasses hatten sich in einen kleinen, zierlichen Gehrock, der rote Spund in eine Uhrberlocke verwandelt. Unten zeigten sich zwei graziöse Beinchen, oben saß ein kleiner Kopf mit einem roten, frischen Gesichtchen.

      Ich erholte mich ein wenig und sagte zu dem Fremdling:

      »Gestatten Sie, ich bin über Sie sehr erstaunt!«

      Er lachte.

      »Das glaube ich, aber ich bin schon lange hier, schon so lange, als Sie das Tintenfaß haben, also fünf Wochen!«

      »Freut mich,« sagte ich höflich, »Wenn Sie sich nur inzwischen nicht gelangweilt haben. Womit kann ich Ihnen dienen?«

      »Wenn Sie erlauben, werde ich mich erst ein bißchen setzen,« entgegnete er. »Ich habe fünf Wochen lang gestanden und bin jetzt etwas müde. Bitte keine Umstände, ich sehe da einen sehr bequemen Hocker.«

      Und er setzte sich auf einen Bierkorken, der auf der Schreibtischplatte lag, räusperte sich und begann, nachdem er mir eine kleine Verneigung gemacht hatte, folgende Rede:

      »Zunächst beehre ich mich, Ihnen meinen Namen zu sagen: von Stimpekrex, diplomatischer Agent im Dienst Sr. Majestät des Königs Herididasufoturu des Fünfundsiebzigsten, Reserveleutnant im Leibgarderegiment Sr. Maj., Mitglied der Kommission für Veredlung der Reichsmaulwurfzucht, Doktor verschiedener Rechte, Inhaber der großen Medaille vom Verbotenen Berge und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gesellschaft für Diamantpflasterung, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht.«

      Ich sah den vielseitigen Mann ehrfürchtig an.

      »Es freut mich ... Herr ... Herr Doktor ... oder Herr Legationsrat oder ...«

      »Herr Leutnant, bitte, das ist mir der angenehmste von allen meinen Titeln.«

      »Es freut mich außerordentlich, hochverehrter Herr Leutnant, in dieser armseligen Schriftstellerbude der Ehre eines so seltenen Besuches ...«

      »O, keine Komplimente! Kommen wir lieber gleich zur Sache! Herididasufoturanien, das Land, das mein glorreicher Herr, Herididasufoturu der Fünfundsiebzigste regiert, ist der Größe nach das zweite unter den Zwergkönigreichen Europas und des Mittelmeeres, der Kulturstufe nach aber bei weitem das erste. Wir haben ausgezeichneten Post — und Eisenbahndienst, telegraphieren ohne Draht, waschen mit Chlor, fahren elektrisch und schießen mit Steilfeuergeschützen. Neuerdings hat sich die Regierung sogar entschlossen, eine Zeitung einzuführen.«

      »Wie? Was? Bei solcher Kulturhöhe noch keine Zeitung?«

      »Nein! Sie sind übrigens sehr im Irrtum, wenn Sie meinen, daß Zeitungen mit Kultur etwas zu schaffen haben. Doch gleichviel, der Reichsrat hat die Einführung einer Zeitung beschlossen, und ich bin von unserem Kanzler beauftragt, Ihnen die Stelle eines Chefredakteurs der neu zu gründenden Zeitung zu offerieren.«

      Ich war sehr überrascht, und ich hege die Vermutung, daß die meisten meiner lieben Mitmenschen ebenfalls sehr überrascht sein würden, wenn ihnen unvermutet eine Chefredakteurstelle in Herididasufoturanien angeboten würde.

      »Verzeihung, Herr Leutnant,« stammelte ich, »aber da müßte ich doch vorher genau die Bedingungen kennen.«

      »Selbstverständlich! Wir schließen einen genauen Kontrakt ab, der übrigens nur für ein Jahr gilt. Ein herididasufoturanisches Staatsgesetz verbietet streng, irgend einen Ausländer – und das sind Sie, mein Herr – länger als ein Jahr innerhalb der Grenzen unseres Landes zu dulden. Auch den Angestellten von Siemens und Halske, den Schüler Marconis usw. usw. behielten wir nur ein Jahr. Die Herren sind nur Instrukteure; sind wir eingerichtet, dann übernehmen wir die entsprechenden Betriebe selbst. Überlegen Sie sich die Sache; alle Ihre Wünsche sollen nach Möglichkeit erfüllt werden, denn ich halte Sie, nachdem ich Sie fünf Wochen lang beobachtet habe, als für unsere Zwecke sehr geeignet.«

      Ich verfiel in tiefes Nachdenken. Der Zauber der Erscheinung packte mich, das ferne Wunderland tauchte vor meiner Seele auf, die Sehnsucht kam, nach jenem rätselhaften Gestade zu wandern, und so sagte ich mit bebender Stimme:

      »Ja, ich will die Stelle annehmen! Mir ist bange, ich verhehle es Ihnen nicht, aber ich komme mit dem besten Willen zu Ihnen, und ich habe die Hoffnung, es wird mir bei Ihnen gutgehen.«

      Er sah mich freundlich an:

      »Ich habe mich in Ihnen nicht getäuscht! Nur Leute mit jungem Herzen können wir brauchen, und junges Herz hat Mut und faßt schnell Vertrauen. Das Vertrauen wird Sie nicht täuschen! Um mich Ihnen gleich in einer Kleinigkeit freundlich zu erweisen, erbiete ich mich, Ihre Schulden zu bezahlen.«

      Ich kam in Verlegenheit.

      »Sie sind sehr gütig, Herr Leutnant, es ... es ist ja in der Tat peinlich für mich, ins Ausland zu reisen, ohne... ohne meine Verbindlichkeiten zu regeln, aber... aber es sind viel... und dann, es ist mir peinlich ...«

      »Ach, keine Idee! Ich gebe Ihnen einfach einen Vorschuß! Wollen Sie?«

      Ich nickte verschämt mit dem Kopfe, und ein maßloses Vertrauen zu dem kleinen Herrn erfüllte meine Seele, denn es ist doch klar, daß ein Wesen, das so ganz von selbst Vorschuß anbietet, nur ein sehr edles Wesen sein kann.

      »Bitte, hier sind zehntausend Mark,« sagte Herr von Stimpekrex, »mehr habe ich leider nicht deutsches Geld bei mir. Zu kurz werden Sie übrigens nicht kommen, denn wir zahlen Ihnen zehn oder, wenn Ihnen das angenehmer ist, zwanzig Millionen Mark Honorar für das Jahr, bei gänzlich freier Station, Beleuchtung und Beheizung.«

      Ich war ganz erschrocken, denn so etwas war mir in meinem Schriftstellerleben noch nicht vorgekommen. Meine Bestürzung war so groß, daß ich, als Herr von Stimpekrex mich wiederholt fragte, ob ich denn zehn oder zwanzig Millionen Gehalt haben wollte, mich in der Aufregung für zwanzig entschied.

      Hierauf schlossen wir einen Kontrakt ab, wozu wir ein auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches und des neuen Urhebergesetzes vom


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