Das letzte Märchen. Paul Keller

Das letzte Märchen - Paul  Keller


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werde:

      »Der Herr Chefredakteur darf absolut nichts Alkoholisches genießen.«

      Dieser Paragraph war mir peinlich, aber als mir Herr von Stimpekrex erklärte, in Herididasufoturanien seien alle Leute Abstinenzler, da ein Gesetz bei den schwersten Strafen den Genuß alkoholischer Getränke verbiete, beschloß ich, im Hinblick auf meine Rechnungen und die zwanzig Millionen dem Lande Herididasufoturu des Fünfundsiebzigsten das Opfer zu bringen.

      Hierauf wurde der Kontrakt in zwei Exemplaren von mir und Herrn von Stimpekrex in seiner Eigenschaft als herididasufoturanischer Bevollmächtigter unterzeichnet.

      Nun war ich ohne Sträuben bereit, sofort mit Herrn von Stimpekrex abzureisen. Ich habe einen Kontrakt, dachte ich, und dieser Gedanke nahm mir alle Bedenken. Nun ordnete ich vorher meine Angelegenheiten. Ich schrieb in aller Eile einen Brief an meine Stammtischfreunde im »Blauen Adler«, worin ich ihnen kurz meine plötzliche Abreise ins Ausland anzeigte, und teilte auf einem Zettel meiner Wirtin mit, daß in meiner Schublade drei Tausendmarkscheine lägen. Sie soll meine Rechnungen bezahlen, tausend Mark in den »Blauen Adler« schicken und den Rest für ihre zärtliche Fürsorge behalten. Auch bei der Polizei solle sie mich abmelden. »Verzogen nach Herididasufoturanien!«

      Als ich fertig war, sagte Herr von Stimpekrex: »Und nun gestatten Sie freundlichst, daß ich Ihre Gestalt etwas reduziere. In dieser Länge können Sie in Heridasufoturanien nicht auftreten, so lang sind bei uns nur die Fabrikschlote. Übrigens keine Angst! Nach Ablauf Ihres Jahres stellen wir Sie in Ihrer ganzen Größe wieder her.«

      Er gab mir einen kleinen, freundlichen Schlag auf den Kopf, den ich zu diesem Zweck auf die Schreibtischplatte legen mußte, und augenblicklich saß ich als winzig kleine Puppe in meinem Armsessel.

      Ich war klein, lächerlich klein! Ich saß zwar noch auf meinem Armstuhl, aber unten baumelten keine Beine mehr herab, und oben ragte kein Körper mehr heraus, – es war sehr unheimlich.

      Auch mein Anzug, meine Schuhe, selbst meine stimme waren ganz klein geworden.

      Da war mir plötzlich sehr ängstlich zu Mute, und ich bereute bereits den Handel, der meine Leibeslänge also kläglich verkürzt hatte. Herr von Stimpekrex aber schlug entzückt die Hände zusammen und sagte:

      »Sie sind ein schöner Mann, ein herrlicher Mann! Ich fürchte, unsere Damen werden ganz rasend in Sie verliebt sein.«

      Diese Rede tröstete mich in meinem Gemüte, denn es ist wahr, daß alle kleinen Leute sehr eitel sind.

      Der Leutnant sprang nun von der Schreibtischplatte auf das dicke Eisbärfell, das auf der Diele lag, hinab, und forderte mich auf, auch »hinabzukommen«. Ich kroch auf allen Vieren an den Rand des Stuhlsitzes und lugte hinunter. Es war ein Abgrund! Ein Schwindel faßte mich, und ich würde eher als Mensch von den Kölner Domtürmen als jetzt als Herididasufoturanier von diesem Stuhle gesprungen sein.

      »Mein Herr,« sagte ich, »ich werde in alle Ewigkeit nicht da hinunterspringen, denn es würde mein Tod sein.«

      »Nein, mein Herr,« entgegnete er lächelnd, »es wird Ihnen nicht das mindeste passieren.«

      »Aber, mein Herr,« sagte ich wieder, »Sie müssen einsehen, daß es eine Tollkühnheit wäre. Besorgen Sie einen Luftballon, eine lange Leiter oder wenigstens einen Fallschirm, so will ich es wagen.«

      Da hörte ich meine Wirtin draußen rumoren. Ein schrecklicher Gedanke fiel mich an. Wenn sie hereinkäme! Wenn es ihr einfiele, an den Schreibtisch zu treten und sich in meinen Stuhl zu setzen! Sie wog 213 Pfund! O, dann gute Nacht, du schöne Welt, ihr zwanzig Millionen und fernen Wunderländer, dann wurde ich winziges Männlein mit all meinen Hoffnungen und Talenten unter einem Flanellrock grausam zerquetscht, verschüttet, begraben.

      »Kommen Sie herab, mein Herr!« rief der kleine Leutnant wieder. »Springen Sie dreist herab!«

      Mir schwindelte noch immer, aber dann, als ich den Tritt der Wirtin wieder hörte und an den Flanell des Todes dachte, schloß ich die Augen und tat den tollkühnen Sprung.

      O, es ging gut! Ich schlug mich gar nicht und lachte, als ich auf dem Eisbärfell saß.

      Abermals hörten wir die Wirtin, und da zögerten wir keinen Augenblick mehr. Mit fabelhafter Geschicklichkeit kletterte Herr von Stimpekrex am Fenster hinauf, wirbelte es auf und zog mich mit hinaus aufs Fenstersims.

      Kalt pfiff der Wind die Mauer entlang, und eine große Schneeflocke kam und deckte mir die kleine Hand zu.

      Der »Blaue Adler« drüben war hell erleuchtet, und mein bester Freund trat gerade durch die Tür ins Haus. Er pfiff das wonnige Goethelied: »Nun sind wir versammelt zu löblichem Tun, drum Brüderchen ergo bibamus.« Ich wurde traurig und bekam Durst, als ich dieses Lied hörte. Aber Herr von Stimpekrex überließ mich nicht meinen sentimentalen Gefühlen. Auch er fing an zu pfeifen, leise und wunderbar, und ich ahnte wohl, daß es ein Zauberpfiff war.

      Nach wenigen Minuten kamen zwei Krähen geflogen, die setzten sich neben uns aufs Fenstersims.

      »Aufsitzen!« befahl der kleine Leutnant und zeigte auf die eine Krähe. Ich wandte ein, daß ich ein sehr schlechter Reiter sei und in gar keiner Unfallversicherung wäre; aber das ließ er nicht gelten.

      »Riesengebirge! Station Boberquelle!« befahl er den Arähen, und zwei Minuten später sausten wir durch die Luft.

      Im Eichhörnchennest

      Nein, der Wirt schlief nicht. Der würdige Herr saß einige Schritt von der Tür seines Hauses entfernt, dicht in seinen hellen Winterpelz gehüllt. Meinen Begleiter empfing er mit großem Respekt, indem er sich in einer Riesenverneigung von dem obersten Ast der Eiche auf den untersten stürzte. Als er nach Beendigung dieses Kompliments wieder oben angelangt war, sagte er sehr devot:

      »Ich heiße Euer Gnaden nebst Hochdero Begleiter untertänigst willkommen, muß aber gehorsamst bemerken, daß leider – oder glücklicherweise – ich weiß wirklich nicht, was ich in diesem Falle zu sagen die Ehre habe –«

      »Also was?« unterbrach ihn der Leutnant. »Daß schon Besuch drin ist im Neste, wollen Sie wohl sagen?«

      Herr Eichhorn wiederholte seine Verneigung, wobei er sich jedoch diesmal nur bis in die mittlere Etage hinabstürzte, und sagte dann:

      »Jawohl, Exzellenz, es sind zwei Damen bei mir abgestiegen: eine Fremde und das gnädige Fräulein Elkaguntascha.«

      Bei dem letzten Namen bemächtigte sich des kleinen Leutnants eine fabelhafe« Erregung. Ich sah, daß er zitterte und doch im Gesicht ganz rot war. Ich ahnte etwas.

      »Fräulein Elkaguntascha hier – dort drin? – Hier? O, das ist ja – das ist ja wirklich – nämlich eine entfernte Bekannte, Verehrtester, – schon von den Eltern her – jawohl! – Haben Sie nicht zufällig einen Spiegel zur Hand, Herr Wirt?«

      Er war ganz außer Rand und Band. Herr Eichhorn stürzte sich etwa fünfzig Meter in die Tiefe hinab und erschien bald mit einem Stückchen blanken Eises, in dem sich Herr von Stimpekrex eifrigst bespiegelte.

      »Melden Sie uns den Damen, Herr Wirt! Fragen Sie, ob sie mir und diesem Kavalier die große Gunst erweisen würden, ein Viertelstündchen mit ihnen plaudern zu dürfen.«

      Herr Eichhorn verschwand, und ich stieg indessen von der Krähe. Wartend standen wir auf dem Eichenaste. Das Nest lag wie eine ehrwürdige, poetische Hütte vor uns, von Schnee bedeckt, vom Mondlicht versilbert, liebreich umfaßt von den starken Armen des Eichbaumes.

      Da erschien in der Tür ein weißes Figürchen.

      »Aber mein bester, verehrtester Herr Ftimpekrepf! Wie hier? Daw ift ja grofartig!«

      Eine allerliebste Dame! Nur daß sie das »S« nicht sprechen konnte. Herr von Stimpekrex seiltänzerte über den Eichenast, kniete vor der Dame nieder und küßte ihr mit Inbrunst die Hand. Ich folgte seinem Beispiel, hatte aber bei der ganzen Geschichte eine greuliche Angst, die Balance zu verlieren.

      »Der Chefredakteur unserer neuen Zeitung, Professor Doktor Barragu,«


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