Das letzte Märchen. Paul Keller

Das letzte Märchen - Paul  Keller


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die Sehnsucht der besten Menschen seit Jahrtausenden wandert. Die Gärten blühten, und über ihren Kronen und dunklen Rosen zogen einsame große Vögel ihre stillen Kreise in der leuchtenden Luft. O, du Herrlichkeit der diamantenblinkenden Fenster, du süße Heimlichkeit der kleinen Türme und seltsamen Erker! Sieh, wie die schweren Wunderblumen sich von den Galerien ranken, und hör' das Lied, ... jenes Lied! Süße Märchenstimmen singen und silberne Trompeten schallen darein.

      Ich sah das, ich hörte das, und ich fiel auf die Knie und streckte die Hände aus:

      »Du goldene Stadt, du Kinderheimat, du heiliges, ewiges Jerusalem meines Märchenglaubens sei mir gegrüßt!«

      Tränen traten mir in die Augen, der rote Himmel schien darin, und durch diese verklärten Tränen schaute ich in mein gelobtes Land.

      Das bange, selige Herz hörte auf die Musik, die vom Berge tönte, und ich wußte auf einmal, es war ein Heimatlied, ein lange vergessenes, ein Lied, das ich hörte, noch ehe ich reden konnte, das Lied, das das Lächeln auf mein Gesicht zauberte, über das die Mutter an meiner Wiege staunte, das Lied, von dem ich mit meinen feinsten Sinnen einen einzelnen, weltfernen Ton, einen seltsamen Akkord aus großer, großer Weite manchmal vernahm, wenn ich als einsamer Mann auf der Welt dort oben träumte.

      Oh, – ich war schon einmal hier, durch diese goldenen Tore bin ich schon einmal gegangen, in jenen Palästen habe ich schon einmal gewohnt.

      Ich weiß nicht mehr, wann das war, ich weiß nur, daß ich bitterlich weinen mußte, weinen, daß ich so lange fortsein, mich so weit verirren konnte, weinen mußte, weil mir das Herz sonst gestorben wäre vor Glück.

      Ich wandte mich nach meinem Begleiter um und hob die Hände zu ihm auf:

      »Ich flehe Euch alle an, die Ihr hier in dieser goldenen Stadt wohnt, laßt mich keine Zeitung schreiben, laßt mich als der letzte, ärmste Eurer Kinder mit bunten Kieseln spielen auf Euren Straßen.«

      Er sah mich traurig an und schüttelte den Kopf. Dann wies er auf mein Gepäck und sagte: »Du bist zu alt!«

      Da sank ich mit dem Gesicht auf meinen grauen, ledernen Koffer und rührte mich nicht mehr.

      Marilkaporta

      Ich habe vergessen, wie wir angekommen sind, auch, wie es war, als wir ausstiegen, und was ich etwa mit den beiden Frauen gesprochen habe. Es war über mich gekommen wie ein Rausch von schwerem Wein, der das Herz überfüllt, und bei aller Seligkeit den Tod nahe sein läßt.

      Aber ich weiß, wie wir auf dem steilen Bergweg nach der goldenen Stadt hinaufgekommen sind. Als ich die goldene Stadt zuerst sah, sah ich sie durch Tränen. Tränen machen die Augen jung; so sah ich die Stadt zuerst wie ein Kind. Aber dann sah mir die Kinderseele wieder aus meinen alten Augen. – –

      Die Frauen saßen auf reichverzierten Tragstühlen, die von je vier Männern getragen wurden. Mein Begleiter und ich ritten auf weißen Füchsen. Diener gingen neben den Tieren her und führten sie am Zaume. Viel Leute kamen den Berg herab; sie waren alle in Festtagskleidern. Die Frauen trugen weiße Kleider und rote Schleier mit Silbersteinen. Die Männer hatten lange Seidenröcke an und trugen Zwergmützen von braunem Sammet, daran waren goldene Münzen. Ein Festzug kam mit flatternden Fahnen, und vorweg ging ein Schalmeienchor. Schöne Mädchen hielten uns blühende Girlanden über den Weg. Am Eingang des Waldes stand ein Greis, der ging mit uns und gab uns tausend Schritte weit das Ehrengeleit. Dann kam ein starker Mann, der ging abermals tausend Schritte weit mit uns, bis er von einem schönen Jüngling abgewechselt wurde, der uns auch tausend Schritte weit begleitete. Zum guten Ende kam ein Kind, das führte uns ans goldene Tor der Stadt.

      Ich verstand das wohl: Immer jünger mußt du werden, wenn du nach der heiligen Stadt kommen willst.

      Das Tor war geschlossen, und das Kind, das sich an seinen goldenen Pfosten gelehnt hatte, schaute uns an mit seinen großen, träumenden Augen. Da erschrak ich tief im Herzen und meinte, das müsse wohl meine kleine, weiße, rosengekränzte Kinderseele sein, die mich ans goldne Tor der Märchenstadt geführt hatte. Ich eilte hin und hob das Kind an meine Brust und küßte es in heißer, heiliger Liebe.

      Da sprang das Tor auf. Ein alter Mann, der einen Talar trug, kam unter dem Torbogen auf mich zu und sah mir aufmerksam und forschend in die Augen. Dann wurde sein Gesicht freundlich, er erhob die rechte Hand und sagte: »Sei gegrüßt und tritt ein!«

      Ich senkte die Augen und trat ein. Die Straßen, durch die wir zogen, waren schmal, krumm und winklig. Die ganze Stadt war voll geheimnisvoller Ecken und verschwiegener Gäßchen. Manchmal trat ein alter Mann gespenstisch aus einem Winkel, manchmal saß ein schönes Mädchen träumend an einem Brunnenrand.

      An der Straße lagen viel vornehme, schweigende Paläste und dazwischen kleinere Häuser, die nicht vornehm waren, die desto lauter, lustiger, beweglicher schienen, je kleiner sie waren. Es gab viel hohe, bunte Giebel, viel Söller und kleine Treppchen, viel wunderliches Holzgeschnitz und seltsame Zierat, viel Dachluken und bunte Simse, auch viel altes, graues Mauerwerk mit grünem Efeu. Ich liebe das alles.

      Auf dem Marktplatz war eine große Menge Volkes versammelt.

      Als wir ankamen, bildete sich eine Gasse, und es entstand eine tiefe Stille. Ich fühlte, wie sich die Augen aller auf uns richteten.

      Über die breite Treppe eines prächtigen Hauses kam in feierlichem Zuge der Rat der Stadt.

      Ein herrlich liebes Kind mit einem Rosenkranz im Haar trat auf uns zu. Ich stieg ab und trat neben Angelika. Das Kind trug einen blauen Kelch in der Hand und sprach zu uns:

      »Über unseren Häuptern habt Ihr gewohnt, Über unserem Himmel liegt Eure Heimat. Das Licht der Sonne lag auf Euren Haaren, Und Eure Augen schauten in die Sterne.

      Groß wie die Bäume unserer Wälder waret Ihr, Und Eure Häuser sind wie unsre Berge. Sturm und Stille wohnt in Euren Seelen, Und in Euren Herzen tragt ihr Eis und Feuer.

      All unsre Märchen künden Eure Größe, All unsre Sagen schildern Eure Güter. Und unsre Lieder singen Eure Schönheit, Und unsere Sehnsucht strebt nach Eurem Lichte.

      Da Ihr nun niederstiegt in unsre Lande, Seid uns gegrüßt, seid uns gegrüßt in Freuden! Seid in Frieden gegrüßt, und gebt uns Frieden! Seid uns in Treue willkommen, und bleibt uns treu!

      Heilig ist dieser Kelch, sein Trank ist heilig. Heilig auch der, der dieses Kelches genaß. Nimmer wird ihm bei uns ein Leid widerfahren. Nehmt unsren heiligen Kelch und trinket daraus!«

      Das Kind reichte uns den Kelch, und wir tranken daraus. Da scholl aus tausend Kehlen ein fröhlicher Heilruf. Ich wandte mich um und rief über den Platz hin:

      »Bürger von Marilkaporta! Mir fehlen in diesem feierlichen Augenblick die Worte, um Euch gebührend zu danken. Das eine sage ich: wir zwei sind glückselig, daß wir bei Euch sein dürfen und das andere: wir zwei werden Euch treu sein bis zur letzten Stunde!«

      Und abermals erscholl tausendstimmiger Heilruf. Darauf trat der Oberste aus dem Rat der Stadt auf uns zu. Er trug ein prächtiges Buch in der Hand und forderte uns freundlich auf, unsere Namen dahineinzuschreiben. Als er die Blätter wandte, sah ich viel bekannte Namen in diesem goldenen Buch von Marilkaporta.

      Dichter und Künstler, die junge Seelen hatten, waren in dem Buch verewigt, Handwerker mit grober Schrift, Kindernamen mit steifen Buchstaben und vielen Fehlern; aber auch ernste Gelehrte und kluge Staatsmänner standen darin. Zur guten Vakanzzeit einer Träumerstunde waren auch sie einmal nach Marilkaporta gewandert.

      Ich staunte über die vielen Namen, da lächelte das Oberhaupt der Stadt und sprach:

      »Das ist nur ein ganz kleiner Teil von unserem goldenen Buch! wenn Sie das Ganze sähen, würden Sie meinen, es sei ein Adreßbuch der Welt. Nur die Geizigen, die keine Zeit haben, sind nicht darin, die Nüchternen, die den weg nicht wissen, und die Lieblosen, die unser Priester am Tore zurückweist.«

      Mir war beklommen zu Mut, und ich fragte mit leiser Stimme:

      »Verzeiht eine Frage, Magnifizenz, war auch ich schon einmal hier?«

      Er


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