Das letzte Märchen. Paul Keller

Das letzte Märchen - Paul  Keller


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müssen und daselbst einen ehrenvollen Ruf an den königlichen Steinbruch von Marilkaporta erhalten, wo er sich in seinen Mußestunden zum Wunderdoktor ausbildete, wegen einiger »Kunstfehler« wanderte er ins Gefängnis, wo er sehr in sich gegangen sein muß, denn er etablierte sich nach seiner Entlassung als Wanderprediger. Darauf spekulierte er in Bergkristallen, was ihm nichts einbrachte, war dann siebzehn Jahre lang Röhrenputzer am Gesundheitssee und darauf Hauslehrer bei einem Bankier. Als ihm die Pädagogik nicht mehr behagte, wandte er sich wieder den freien Künsten zu und erzielte als Feuerfresser und Degenschlucker bedeutende Erfolge. Einer Magenverstimmung wegen gab er auch diese Tätigkeit wieder auf und sang nun sechs Jahre lang ersten Tenor bei einer Begräbnis-Genossenschaftskapelle. Nach dem sechsten Jahre wurde er melancholisch. Er erfand nun eine Bartpomade, von der er sich redlich zu ernähren beabsichtigte. Nach kurzer Zeit fand er indes den Verkehr mit seinen Kunden, die meist sehr energisch ihr Geld von ihm zurückverlangten, zu aufregend und rettete sich mit Verlust der linken Ohrmuschel und der rechten Backenzähne auf ein kleines Theater, wo er tragische Rollen spielte. Da sich aber das Publikum als für seine Kunst unreif erwies, trat er bei einem Schornsteinfeger in Dienst, fiel bereits am zweiten Tage vom Dache, war dann lange Zeit Ehrenbürger eines Hospitals und darauf Staatsrentner. Zu seinem Bedauern ging er auch dieser Würden wieder verlustig, da er genaß, und nachdem er einige Zeit als Hilfsheizer an einem Vulkan fungiert hatte, glaubte er seinen wahren Beruf erkannt zu haben und gründete in Marilkaporta ein Auskunftsbureau, das er »die Lupe« nannte und das über Vermögen, Befähigung und Ruf der Herididasufoturianer, namentlich im negativen Sinne, die detailliertesten Auskünfte erteilte,

      »Sie werden diesem Manne eine gewisse Vielseitigkeit nicht absprechen können« sagte Dr. Nein.

      Da ich ihm recht geben mußte, engagierte ich Herrn Schnaff.

      Unserer nunmehr vollzähligen Redaktion wurde vom Staate ein prächtiger Redaktionspalast zur Verfügung gestellt. Ich allein hatte darin sechs Zimmer zu meinem Gebrauch, außerdem eine Wandelhalle für die lebhafte und eine Wandelhalle für die sentimentale Anregung; die »lebhafte« Halle mit den kostbarsten, farbenfrohesten Gemälden, mit reizenden lauschigen Winkeln, mit Tischlein deck dich und vielen anderen Genüssen, mit denen ich meinen irdischen Kollegen nicht unnötig den Mund wässerig machen will, die »melancholische« eine fensterlose Halle mit rotleuchtenden Pechfackeln, mit einem Sargduft von Firnis und Oleanderbäumen und einem künstlich erzeugten, beständig über den Boden hinstreichenden, kalten Grabeshauch.

      Unser Beratungssaal war so groß, daß der Landtag eines Kleinstaates bequem darin Platz gehabt hätte, samt allem Publikum und allen Presseleuten. Für uns vier Männlein war der Saal zu groß und viel zu prächtig, und es geschah meist, wenn wir eine Sitzung darin abhielten, daß uns dann allen vieren rein gar nichts einfiel. Ich glaube überhaupt, daß die großen, prächtigen Beratungssäle oft eine gedankenfeindliche Tendenz haben. Die Musen haben einen Hang zu proletarischem Liebesleben; sie gebären ihre kräftigsten Kindlein gern in kalten Dachkammern.

      Drei Tage nacheinander hielten wir Sitzungen ab, auf deren Tagesordnung als einziger Punkt die Beratung des Namens stand, den die neue Zeitung führen sollte, vor dem Redaktionspalast stand immer ein militärischer Doppelposten, der die Bajonette aufpflanzte, »wenn die Herren Beratung hatten«. Es ist peinlich, in so großartig gesicherter Arbeitsruhe nichts zustande zu bringen. Gingen wir nach der Sitzung, wenn wir absolut keinen passenden Namen gefunden hatten, nach Hause, präsentierte die Wache, und ließ uns das Volk, das sich vor dem Palaste gesammelt hatte, in achtungsvollem Schweigen passieren, dann war mir immer ganz jämmerlich zumute.

      So rasch als möglich, bog ich in eine stille Nebengasse ein, jedesmal zum großen Verdruß Herrn Schnaffs, der sich durch die militärischen und zivilen Ehrenbezeugungen sehr gehoben fühlte.

      Am zweiten Beratungstage stießen wir auf dieser Flucht auf eine seltsame Behausung. Mitten in der Stadtmauer lag ein großer Felsenwürfel, in den eine Tür führte. Der graue Stein war von Efeu übersponnen, rechts und links standen Pinien, oben auf dem Würfel sprang ein Springbrunnen. Über der Tür war eine kleine, durchgehende Öffnung, in der saß eine gelbäugige Eule.

      »Was ist das?« fragte ich. »Ist das ein Haus?«

      »Ich weiß nicht genau,« sagte Herr von Stimpekrex und wurde rot. »Aber es ist schon möglich.«

      »Natürlich, natürlich wird es ein Haus sein,« meinte Dr. Nein, wobei mir seine Aufregung auffiel.

      »Ach,« machte Herr Schnaff möglichst unbefangen, »ich hab mal gehört, es sei so eine Art Erfrischungshaus. Es heißt »die kühle Eule«. Wissen Sie, weil es kühl darin ist, und weil eine Eule über der Tür ist.«

      »Gehen wir hinein,« entschied ich. Die Herren zögerten, aber ich klopfte an die Tür, die bald von einem häßlichen, verwachsenen Zwerge geöffnet wurde.

      Wir kamen in einen Raum, in dem einige Tische und Bänke waren, etwa nach dem Muster unserer Dorfwirtshäuser.

      Der Zwerg, der ein sehr durchtriebenes Gesicht hatte, begrüßte meine drei Gefährten mit Namen, was diesen ersichtlich unangenehm war, und sagte dann:

      »Weiß schon, was die Herren wollen, weiß schon! Grüne Limonade!«

      Und er öffnete eine Falltür im Fußboden und huschte hinab.

      Ein peinliches Schweigen griff Platz. Am aufgeregtesten war Stimpekrex. Er hüstelte und sagte:

      »Ach ja, ich erinnere mich jetzt, daß ich schon einmal hier war. Daher kennt mich der Kerl. Aber es ist lange her.«

      »Ja,« sagte Schnaff, »ja, ich erinnere mich jetzt für meinen Teil auch.«

      »Ach was,« schnauzte Dr. Nein, »natürlich war ich schon hier; ich wollte es bloß nicht jedem auf die Nase binden.«

      Pause. Um etwas zu sagen, fragte ich:

      »Wie heißt denn das schnurrige Männlein?«

      »Lillebolle,« knurrte Dr. Nein. »Ein durchtriebener Schuft! Und ein verrückter Kerl! Oben auf seinem Dache hat er einen Teich mit einem Springbrunnen angelegt.«

      Da erschien schon der Wirt und stellte uns je einen Humpen auf den Tisch.

      »Grüne Limonade,« grinste er und verschwand wieder in seiner Höhle.

      »Also auf Ihr Wohl, meine Herrenl«

      Keiner tat mir Bescheid. Alle sahen mich gespannt und ängstlich an, während ich trank... trank... mit Wonne trank und bei mir im stillen konstatierte, daß noch nie vorher ein kostbarerer Tropfen »Rüdesheimer« über meine Lippen geflossen sei.

      »Wie – wie finden Sie diese Limonade?« stammelte Herr von Stimpekrex.

      »Ja, wie schmeckt Ihnen diese »grüne« Limonade?« fragte eifrigst Herr Schnaff.

      »Meine Herren,« sagte ich, »ich beteure Ihnen feierlich, daß mir in meinem ganzen Leben noch keine Limonade so gut geschmeckt hat, wie diese »grüne«.«

      Da wurden sie fröhlich und tranken auch. Nur Herr von Stimpekrex blieb ein bißchen ängstlich und meinte nach einiger Zeit:

      »Es würde sich immerhin empfehlen, die Sache als Redaktionsgeheimnis zu betrachten.«

      »Meine Herren,« sagte ich, »es ist selbstverständlich, daß wir uns hier in geheimer, ja höchst geheimer Sitzung befinden, aus der nicht ein Jota verlauten darf.«

      Darauf mußte Lillebolle neue Humpen bringen.

***

      Auch am dritten Sitzungstage konnten wir uns über den Namen der neuen Zeitung nicht einigen und gingen daher in gedrückter Stimmung an der salutierenden Wache und der angesammelten Volksmenge vorbei, die nachträglich an unser tiefsinniges Aussehen allerlei Kombinationen geknüpft hat.

      Ganz zufällig kamen wir wieder an der »kühlen Eule« vorbei. Es schaute zwar keiner mit einem Blicke hinüber, aber die Schritte aller nahmen ein gemäßigteres Tempo an, als wir uns dem Felsenhäuschen näherten. Da blieb ich stehen und sagte:

      »Meine Herren, ich glaube, die große Pracht unseres Beratungssaales


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