Das letzte Märchen. Paul Keller
vor, unsere abgebrochene Sitzung in der »kühlen Eule« fortzusetzen.«
Ich hatte die Genugtuung, daß sich alle Herren meiner Redaktion opferwillig mit dieser Fortsetzung unserer Beratungen einverstanden erklärten.
Lillebolle, der unschöne, aber allzeit dienstbereite Zwerg erschien und stellte mächtige Humpen grüner Limonade vor uns hin. Nachdem wir uns alle etwas betrunken hatten, begannen wir die Beratung, Lillebolle zog sich allemal schleunigst nach seiner Höhle zurück, störte also nicht.
»Meine Herren,« sagte Dr. Nein, »ein passender Name für unsere Zeitung wird uns wahrscheinlich in dem nächsten Säkulum nicht einfallen, also schlage ich vor, wir heißen die Zeitung: »Die Zeitung«.
Wir begriffen diese Worte nicht gleich. Schnaff kam zuerst hinter ihren Sinn.
»Ach, die Zeitung soll »Die Zeitung« heißen?«
»Jawohl!« sagte Dr. Nein. »Denn erstens, es kann niemand behaupten, daß der Name »Zeitung« für eine Zeitung nicht passe: zweitens, es ist ein leichtfaßlicher und leichtbehaltbarer Name; drittens, er enthält kein bestimmtes Programm, was immer unbequem und unkünstlerisch ist; viertens, er ist diesem ersten aller derartigen Unternehmen wie auf den Leib geschrieben, da es die Urzeitung, die Zeitung aller Zeitungen sein wird; fünftens, etwas Besseres wissen wir nicht.«
Die Wucht dieser Gründe, namentlich aber des letzten, bestimmte uns, Dr. Neins Vorschlag einstimmig anzunehmen, worauf wir unsere Humpen leerten, um mit einer neuen Blume »Die Zeitung« leben zu lassen. Darauf traten wir gleich in die Beratung der ersten Nummer ein. Ich als Chef der Redaktion hatte vor, zuerst das Wort zu ergreifen, sah aber bald ein, daß das durchaus nicht in der Absicht der übrigen Redakteure lag. Herr Schnaff begann zuerst zu reden.
Er meinte, die erste Nummer müsse phänomenal gestaltet werden. Sie müsse wertvoller sein, als alle elf anderen Nummern zusammen genommen. Denn von der ersten Nummer hänge der Abonnentenfang ab. Es sei mit den Zeitungen so wie mit den Schaubuden auf den Jahrmärkten: lediglich auf das Portal komme es an. Was in der Bude selbst sei, könne dem Besitzer ganz gleichgültig sein, denn das liege doch jenseits der Kasse.
»Prospekt, meine Herren, Prospekt! Das ist die ganze Hauptsache!«
Nach dieser Rede hieß Dr. Nein Herrn Schnaff einen »Schmiersack« und verband sich mit uns anderen beiden zu der soliden, wenn auch rückständigen Geschäftspraxis, in der ersten Nummer keineswegs mehr zu versprechen, als wir in den folgenden halten könnten. Herr Schnaff faltete ob solcher Geschäftsignoranz betrübt die Hände über seinem dünnen Bauche, ergriff aber gleich wieder das Wort.
Zunächst müsse ein fulminanter Bericht über die Neujahrs-Gratulationscour bei Hofe steigen, sagte er. Das mache einen sehr anständigen, patriotischen Eindruck und sei das Interessanteste für arm und reich. Er sei erbötig, diesen Bericht selbst zu schreiben. Er sei zwar nicht bei dem Feste gewesen, aber eben darum sehr unbefangen, und er habe sich seinerzeit in der gräflichen Familie gewisse Formen allerfeinsten Tones angewöhnt, die er nun verwerten wolle. Sodann schlage er eine politische Rundschau vor, die am besten auch er selbst –
Bei dieser Stelle goß Dr. Nein Herrn Schnaff einen Humpen Limonade ins Gesicht.
»Halten Sie das Maul, Sie Esel! Wollen Sie ewig reden?« schrie der jähzornige Mann, zitternd vor Wut.
Herr Schnaff nieste.
»Oder ist in Ihrem verbrannten Hilfsheizergehirn, in Ihrem verunglückten Schornsteinfegerschädel je eine blasse Ahnung von Politik gewesen?«
Herr Schnaff nieste sehr heftig.
»Meint so ein invalider Spitalgreis, wir werden uns solchen Blödsinn anhören? In einer ernsten Sitzung? Wir werden ihn über Politik reden lassen?«
Herr Schnaff machte einen Versuch zu reden, schnappte aber nur erfolglos mit dem Munde, denn er hatte sich verschluckt.
»Hat die Welt je schon so einm Frechling gesehen, hat die Welt – hat die Welt – ooh, meine Herren, wenn ich jetzt im Parlament wäre, würde ich sehr grob werden – sehr grob!«
Mit feuerrotem Gesicht setzte sich Dr.Nein. Schnaff hatte sich inzwischen so weit erholt, daß er wieder reden konnte.
»Mir ist – Limo – Limonade in die Na – Nase gekommen. EZ ist gar nicht schön von Ihnen – Herr Kolle – denn die politische Rundschau würde ich – uoohaahziehuuah –«
»Die politische Rundschau muß ein Politiker schreiben,« sagte Herr von Stimpekrex. »Als politischer Redakteur bin ich eingetreten, und ich würde natürlich nicht dulden, daß mir jemand in mein Ressort pfusche. Die politische Rundschau muß ein Mann schreiben, der das Vertrauen des Hofes hat.«
Dr. Nein fuhr auf.
»Nein, der das Vertrauen des Volkes hat!«
»Wir wollen keine Philisterpolitik!«
»Wir brauchen kein Höflingsgegirr!«
»Die Weisheit sitzt auf keiner schmierigen Kannegießerbank!«
»Aber sie fährt auch nicht spazieren auf den Schleppen der Hofdamen.«
»Mein Herr, ich zweifle an Ihrer Königstreue!«
»Mein Herr, ich zweifle an Ihrer Liebe zum Volk!«
»Uoahziehuuh!«
»Gestatten Sie!«
Ich hatte mich erhoben. Alle sahen mich erstaunt an.
»Meine Herren, es hat keinen Zweck, über solche Dinge zu streiten. Die entscheidet allein der Chef, und der Chef bin ich!«
»Uuaahziehuuh! Burr! Schschsch! Pff! Kff! Psch!«
»Was Sie sagen!«
»Der Chef sind Sie?«
»Jawohl! Und ich ersuche Sie sehr, meine Herren, das doch ja nie zu vergessen. Wir wollen uns bemühen, unsere Beratungen ohne alle Aufregung und alle Apostrophe zu halten; auch bitte ich Sie freundlichst, sich stets bei mir zum Worte zu melden, ehe Sie bei unseren Konferenzen zu reden anfangen.«
Eine kleine Pause entstand. Herr von Stimpekrez war blaß geworden.
»Und was würden Sie tun, Herr Chefredakteur, wenn ich mich diesen Anordnungen nicht fügte?«
»Dann würde das Ihre Entlassung aus der Redaktion bedeuten, verehrter Herr Leutnant.«
Er sah mich an und ich blickte ihm freundlich, aber fest in die Augen.
»Und wenn ich nicht ginge? wenn es mir auch nicht nahegelegt würde, zu gehen? Was dann?«
»Dann ginge ich!«
»Aah – dann gingen Sie? Zurück auf die Erde?«
»Ohne das Geld – ja! In der nächsten Stunde! Ohne Zaudern und ohne Bedauern!«
»Sie dürfen versichert sein, daß ich mich Ihnen gern und willig fügen werde!«
»Ich auch!« rief Dr. Nein. »Das ist selbstverständlich! Ordnung muß sein! Ich kann bloß nicht leiden, wenn hier ein solcher – ein solcher Ton einreißt!«
Schnaff putzte sich energisch die Nase.
»Also könnte ich ja jetzt – – ja jetzt fortfahren! Die politische Rundschau –«
»Er hat ja gar nicht das Wort!«
»Nein, das Kamel hat es nicht!«
»Er schimpft, Herr Chef, er apostrophiert nicht!«
»Aber er hat doch nicht ohne das Wort zu reden zum Schockdonnerwetter, er hat doch das Maul zu halten, wenn er –«
»Silentium!«
»Ich bin kein Kamel! Die politische Rundschau –«
»Donnerschlag, er spricht schon wieder –«
»Aber meine Herren –«
»So mög er doch die Klappe zumachen –«
»Die