Onnen Visser. Sophie Worishoffer
eine Unruhe, die sich von Person zu Person fortpflanzte. Zwei Männer trugen eine Bahre, sie schienen den Weg rechts ab zum Dorfe nehmen zu wollen und widersprachen, als einige der Leute auf die vor dem Feuer Versammelten hindeuteten.
Die Franzosen hatten alles gesehen; ohne Zaudern trieben sie die beiden Fischer mit Kolbenstößen vor sich her bis zum Scheiterhaufen. Was da auf der Bahre lag, das sollte dem allgemeinen Schicksal des Verbrennens nicht entgehen.
Ein kecker Griff riß das Segeltuch herab – dann taumelte der Franzose, als habe ihn eine unsichtbare Faust gepackt »Diable!« rief er stammelnd.
Durch die Menge ging ein Schrei des Entsetzens.
Auf der Bahre lag die Leiche eines vierzehnjährigen Knaben, entstellt und von schrecklichem Aussehen, mit durchschossener Brust. An der linken Seite klaffte eine tiefe Wunde, der Arm hing lose und zerschmettert herab.
»Kornelius Raß!« ging es von Mund zu Mund. »Ach, die arme Mutter!«
Und nun hatte auch das blasse unglückselige Weib die Bahre gesehen. Ihre Arme hoben sich langsam zum Himmel empor, sie sprach keine Silbe, das Entsetzen schien ihre Zunge gelähmt zu haben.
Hellauf loderten die Flammen, der Wind fuhr hinein und fachte sie an, ein Funkenregen hob sich spielend in die Luft, knisternd stäubte weiße Asche.
Im weiten Halbkreis standen die Fischer und Schiffer, alle stumm, ihre kurzen Pfeifen jetzt in den Händen haltend. Da lag das schuldlose Kind mit der französischen Kugel im Herzen, purpurn überstrahlt von den Gluten, die Hab und Gut der Einwohner fraßen – es war, als verklagten die erhobenen Arme der beraubten Mutter jenen Gewaltherrscher, dem die Welt erschaffen schien zum Spielball seiner maßlosen Laune.
Immer mehr näherte sich Wiebke Raß der Bahre, dann ließ sie sich auf ihre Knie nieder und legte die Hand auf des Knaben Wunde – leise, wie schützend, voll zärtlicher Sorgfalt. Über ihre Lippen kam ein Wimmern, das furchtbarer, erschütternder klang, als selbst der lauteste Verzweiflungsschrei.
Niemand dachte mehr an die brennenden Sachen, in aller Augen glänzten Tränen, alle Herzen fühlten mit der unglücklichen Mutter den Jammer dieser Stunde, selbst die Franzosen schienen ergriffen.
»Es soll eine Untersuchung eingeleitet werden«, sagte schaudernd der Oberst. »Bringt die Leiche fort, Leute – schnell, schnell!«
Ein paar Fischer näherten sich der armen Frau, sie führten sie mit sanfter Gewalt von der Bahre nach Hause. Hier half kein Trösten, kein Zureden, das Übermaß des Schmerzes mußte sich Bahn brechen, bevor die Wunde langsam zu heilen vermochte.
Noch flüsterten die Leute, noch standen die einzelnen Gruppen händeringend beisammen, da nahte vom Dorfe her eine halbgelähmte Greisin, die einen flachen Korb mit Putzartikeln herbeitrug, bescheidene Bänder und Tücher, Kinderschürzen, Kragen, ein paar Fingerhüte, Nähnadeln und Scheren. Sie sah immer nach allen Seiten, und als ihre Blicke das Feuer trafen, da stand sie erschreckend still – ein Schrei von den Lippen der armen Alten lenkte die Aufmerksamkeit der französischen Zollwächter auf ihren Korb.
»Halloh!« rief einer, »englische Ware – her damit!« Die Alte schüttelte den Kopf. »Ich kann es ja doch nicht! Mein ein und mein alles – erst gestern abend ist mir mein einziges Bett genommen worden! Lieber Gott, was soll ich unglückliche Frau anfangen?«
»Her damit! Her damit!« schrie der Franzose.
Die alte Frau schien in Verzweiflung zu fallen. »Helft mir doch, Landsleute«, rief sie mit bebender Stimme. »Da in dem Korbe stecken zwanzig Taler – all mein Vermögen! – wenn mir‘s geraubt wird, muß ich betteln gehn!«
»Diable m‘emporte! (Hol mich der Teufel!) was zetert die Hexe?«
Der Franzose näherte sich mit gezücktem Säbel der schreienden Frau und würde sie vielleicht im selben Augenblick verwundet haben, wenn nicht Kapitän Visser zwischen beide gesprungen wäre. Seine sehnige Gestalt war hoch aufgerichtet, sein Auge blitzte, er schob mit unwiderstehlicher Gewalt den Soldaten beiseite und nahm zugleich den Korb der alten Frau, um ihn mittels eines einzigen Ruckes auf den Scheiterhaufen zu schleudern.
Funken und Flammen schlugen hoch empor – die arme Händlerin schrie laut auf.
»Sei ruhig, Folke Eils«, tröstete der Kapitän, »du mußt eben der Gewalt weichen wie wir alle. Mit deinem bunten Kram kannst du jetzt nicht handeln, denn die Franzosen würden ihn für englische Ware ansehen, gleichviel woher du die Sachen genommen hättest; aber deine zwanzig Taler will ich dir wiedergeben und außerdem wird Mutter Douwe auch ein Bett für dich in deine Hütte schaffen. Komm jeden Tag und iß mit uns, was Gott beschert, es soll dir von Herzen vergönnt sein.«
Die Alte schluchzte halb vor Freude, halb vor Angst. Ringsumher erhob sich ein Murmeln des Beifalls, nur Oberst Jouffrin, der Kommandeur der französischen Soldaten, schien die Sache sehr übel aufgenommen zu haben. Er strich wütend den schwarzen Schnurrbart und pflanzte sich gerade vor den ihn um Kopfeslänge überragenden Kapitän auf.
»Kewalt?« schrie er. »Aben Sie sagen: Kewalt?«
»Ja!« antwortete mit festem Tone der Seemann. »Das habe ich gesagt, Herr Oberst. Es ist ein Akt der Gewalt, nicht des Rechtes, armen Leuten ihr Eigentum zu nehmen und es zu verbrennen. Wünschen Sie sonst noch etwas!«
»Rebell!« schrie der Franzose. »Chien!«
Er griff an den Degen, zögerte aber doch, ihn zu ziehen. Dichter und dichter hatten sich die Fischer um den Kapitän geschart, sie murrten, sie ballten die Fäuste – noch einen einzigen Schritt weiter und der Tumult wäre ausgebrochen.
Oberst Jouffrin sah es und trieb es klugerweise nicht weiter. Sich abwendend, sprach er einige Worte mit seinem Adjutanten, der darauf den Leuten befahl, jetzt sogleich auseinanderzugehen. »Dieser Platz ist fernerhin nur dann zu betreten«, hieß es, »wenn irgendeine Proklamation erfolgen soll. Ungerufen darf niemand kommen.«
Die Fischer entfernten sich langsam, einer nach dem andern bot dem Kapitän treuherzig die Hand. »Wenn du es nur nicht noch büßen mußt, Visser! Der Franzose sah dich so giftig an.« Der Seemann lachte. »Sie wissen, daß meine ›Taube‹ in ihrem Schnabel allerlei Waren nach Norderney trägt, mein Junge, und sie ärgern sich, daß sie ihnen niemals zu Schuß kommt.«
»Beschrei dein gutes Glück doch lieber nicht, Visser!«
»Pah, die ›Taube‹ wird noch in den nächsten Tagen nach Baltrum fliegen und dort allerlei aufpicken, was hier in den Häusern fehlt – Zucker, Tabak und Kaffee.«
Sie nickten einander zu, mühsam durch den tiefen Sand watend. Gepflasterte Straßen hat Norderney bekanntlich auch heute noch nicht, damals aber fehlten selbst die Bürgersteige aus Ziegelsteinen, die kleinen Gärten und Rasenflecke, während Pferde und Esel, Kühe, Schweine und Hühner nach Belieben herumliefen, um sich im Dorfe oder auf den Dünen das unentbehrlichste Futter zusammen zu scharren.
Als der Kapitän mit seinem Sohne nach Hause kam, saß die alte Folke Eils schon da, um sich nach Herzenslust auszuweinen, es nahten aber von der ändern Seite her noch sonstige Gäste, der Oberst Jouffrin in eigener Person, begleitet von fünf Soldaten, die ohne Gruß oder Frage in das Zimmer gingen und jedes Stück vorn Platze rückten, jeden Gegenstand herabwarfen, umkehrten oder auseinandernahmen.
Sie drängten sich alle zugleich in den engen Raum; dabei wurde hier eine Fensterscheibe zerstoßen, dort der Spiegel oder die Tür des Glasschrankes. Binnen wenigen Minuten glich das saubere Zimmer einem Schutthaufen, selbst Hund und Katze hatten Fußtritte erhalten, die blühenden Topfgewächse waren zerrissen und geknickt.
Der Kapitän beherrschte mit den Augen seine Frau und seinen Sohn. Oberst Jouffrin sollte nicht die Genugtuung haben, ein Glied der kleinen Familie verhaften zu dürfen, er wollte ihn vielmehr in den Augen der Soldaten empfindlich demütigen.
»Da, Folke Eils«, sagte er, ruhig der alten Frau eine Handvoll Taler reichend, »da sind die zwanzig. Und das Bett bringt dir mein Junge herüber.«
»Gewiß!« rief Onnen. »Komm her, Mutter Eils, da hast du, was meine Sparbüchse vermag. Nun weine nicht mehr!«
Der Oberst und seine Leute