Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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ehe endlich der Franzose gebunden und geknebelt, mit einem Tuche über den Augen dalag, jetzt außerstande, auch nur noch einen Finger zu bewegen.

      Heye Wessel riß die Kapuze ab, er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, dann winkte er den anderen; es war ja immerhin besser, wenn die Franzosen auch ihre Stimmen nicht erkannten. Sie entfernten sich etwa zwanzig Schritte vom Kampfplatze und standen nun still, um zu beraten.

      »Also der Hund, der Witt, hat unser Versteck ausgespürt!«

      »Wir können nun die Ladung nicht dahin bringen.«

      »Das steht fest, aber – wo lassen wir sie?«

      »Nach Hilgenriedersiel!« entschied der Kapitän.

      »Zu wem?« fragte hastig ein anderer.

      »Zu meiner Schwester, die gleich hinter dem Deiche wohnt. Wir müssen es wagen, oder einfach die Ladung im Stich lassen. Der Witt soll nicht triumphieren, soll nicht sagen, daß er uns überlistet habe.«

      Darin waren alle einig, und dennoch schüttelten sie die Köpfe. So im Dunkeln zu Fuß über das Watt, durch das seichte Meer zwischen der Insel und dem Festlande? – Ein schauriger Gedanke.

      »Wieviel Uhr ist es?« fragte der Kapitän.

      »Etwa zwölf. Gegen drei kommt die Flut.«

      »Wir haben also Zeit genug. Die Schaluppe kann uns später in Hilgenriedersiel wieder an Bord nehmen.«

      »Es bleibt nur dies Mittel übrig«, meinte auch Heye Wessel. »Auf! Zwei von uns sind Wattführer – die finden den Weg auch im Dunkeln.«

      Niemand antwortete, und so eilte die ganze kleine Gesellschaft zur Schaluppe zurück. Die beiden an Bord gebliebenen Schmuggler wurden verständigt und dann aus einem Versteck im untersten Schiffsraume vier kleine Räder hervorgeholt. Das Boot verwandelte sich in einen Wagen, es wurde im Fluge beladen und außerdem den Männern auf den Rücken geschnallt, was sie irgend tragen konnten.

      »Vorwärts – es muß sein!«

      »Onnen, du könntest nach Hause gehen«, meinte tief atmend der Kapitän.

      Der Knabe erschrak. »Nur mit dir, Vater; wo du bleibst, da bleibe auch ich!«

      Und so willigte Klaus Visser denn kopfschüttelnd ein, das Boot wurde bespannt, die beiden Wattführer gingen mit den gegen das Land geschlossenen Laternen voran, ihnen folgten, einer hinter dem anderen, alle übrigen.

      »In anderthalb bis zwei Stunden können wir drüben sein«, sagte der Kapitän.

      Niemand antwortete; die Gefahr des Unternehmens lähmte alle Herzen. Nur ein Gedanke beherrschte die Leute: »Wenn wir vom Wege abkämen!«

      Dünne Birkenstämme bezeichneten die Furt; rechts und links brauste das Meer, bläulich schimmerten im ungewissen Licht die einzelnen Rinnen und Lachen, deren trübe Fluten unter den Füßen der Männer hoch aufspritzten. Man war vor einem wenigstens sicher, vor jeder Begegnung nämlich, daher brauchte kein Stillschweigen zu herrschen. Weder Freund noch Feind würde sich hinauswagen in die grauenvolle Einöde, den feuchten Grund des Meeres, das einige Stunden später rollend und brandend zurückkam, um alles zu verschlingen, was seine wilden Wogen fanden und erwürgten. Unter den Füßen kroch es und flog, huschte nach allen Seiten; jede kleinste Erhöhung war bedeckt mit lebenden Wesen, die einander bekämpften. Große Mantel- und Silbermöwen, Austernfischer, Kampfhähne, Gänsesäger, Brandenten und Lummen bevölkerten das Watt, um auf demselben ihre Nahrung zu suchen; sie saßen in ganzen Scharen beieinander, flogen ab und zu, kreischten und flüchteten, wo sich ihnen die Menschen näherten.

      »Halb zwei Uhr vorüber. – Wo sind wir, Uve Mensinga? Du mußt es wissen.«

      Der Wattführer nickte. »Haben bald die Hälfte des Weges, Kapitän Visser! – Mehr nach links, Leute – drüben läuft die tiefe Rille.« Sie wechselten ab mit Schieben und Tragen; von allen Stirnen floß der Schweiß. Schien es nicht ringsumher dunkler zu werden anstatt heller?

      »Westwind!« sagte Heye Wessel. »Es gibt Regen!«

      »Ob die Teekisten dicht halten?«

      »Sind alle gut verzinkt. Die ersten Tropfen fallen schon.« Langsam zog eine schwarze Wolke am Horizont herauf, dichter und immer dichter rieselte in schweren Schauern der Regen herab. Binnen weniger Minuten schien alles ringsumher in Wasser verwandelt, es glitzerte und leuchtete, es plätscherte unter den Tritten der Männer.

      »Nach links, nach links!« ermahnte Uve Mensinga und auch der zweite Wattführer schob mit kräftigem Ruck den Karren in diese Richtung hinüber. »Siehst du die Stämme, Uve?« fragte er etwas unruhig.

      »Ich denke, daß nun gleich wieder einer kommen muß!«

      Aber im selben Augenblick brach über seine Lippen ein Schreckensruf. »Das breite Loch!« rief er. »Zurück! Zurück! Wir sind aus der Furt herausgekommen!«

      Es brauste in den Lüften wie ferner Donner, die See brandete und der Regen floß in Strömen. Das helle Lachen der Möwe klang schaurig durch all den Graus – dicht um die Köpfe der Männer strich mit schwerem Flügelschlage die große Raubmöwe, als wolle sie sich jetzt schon der Beute versichern.

      Und Mensinga schob den Wachstuchhut tiefer in die Stirn.

      »Ich muß zurückgehen und die Furt untersuchen«, sagte er.

      »Aber bleib um Gottes willen nicht lange. Noch eine Stunde, dann ist die Flut an dieser Stelle.«

      »Wir können in vierzig Minuten drüben sein! Das breite Loch liegt, wie ihr wißt, hinter zwei Dritteln des Weges.«

      »Ja! Ja! – An diese Nacht will ich denken, solange ich lebe!« —

      Dicht nebeneinander, mit pochenden Herzen standen die Schmuggler. Wasser ringsumher, bewegtes, wellenschlagendes Wasser, das schon ihre Füße netzte. Wenn jetzt eine Springflut kam, was dann? Es war der sichere Untergang für alle; sie wußten es.

      Wo nur der Wattführer bleibt? Er könnte wohl schon zurück sein!

      »Uve!« rief halblaut eine Stimme.

      Keine Antwort; nur die Möwe lachte und der Sturm brauste.

      »Uve Mensinga, wo bist du? – Gib doch Bescheid!«

      Das Licht der Laterne blitzte auf; mit todbleichem Antlitz stand der Wattführer vor seinen Genossen. »Wir müssen ganz vom Wege abgekommen sein – ich bin außerstande, einen der Birkenstämme zu finden.«

      Sekundenlang schwiegen alle, das Entsetzliche wirkte lähmend, dann aber sprachen sämtliche Stimmen zugleich:

      »Vorwärts, vorwärts, das breite Loch lassen wir rechts liegen!«

      »Wir dürfen nicht länger zögern, uns bleiben bis zum Eintritt der Flut nur noch fünfzig Minuten.«

      »Aber dann steigt der Boden allmählich an. Wir haben noch eine volle Stunde, und das genügt.«

      Wieder schoben vereinte Kräfte das Boot. Eine neue Gefahr tauchte langsam aber sicher aus dem Dunkel herauf; auch der Deich von Hilgenriedersiel hatte eine Wache französischer Zollbeamten. Nur um diesen letzteren in die Hände zu fallen, sollte der furchtbare Weg über das gefahrdrohende Watt zurückgelegt sein? – Das wäre entsetzlich.

      »Kennst du dich gar nicht mehr aus, Uve? Und auch du nicht, Lars Meinders?«

      Der letztere nickte. »Wir sind in der Furt«, sagte er, »aber zu weit rechts.«

      »Hurra!« rief in diesem Augenblick Onnens Stimme, »hier ist eine Birke.«

      Die beiden Führer eilten zu ihm. »Links hinüber!« riefen sie. »Jetzt geht noch alles gut!«

      Ein sonderbar gurgelndes Geräusch ließ die Männer aufhorchen. Breit und schaumbedeckt rollte eine Welle vor ihre Füße, um im gleichen Augenblick wieder zurückzutreten und zu verschwinden. Das war keine Rinne, keine Vertiefung – so flutete nur das ansteigende Meer, so hob und senkte sich in gemessenen Pausen die Riesenbrust – da, da, es kam wieder – ja, es war das Meer, die Flut. »Eilt euch, eilt euch, so sehr ihr euer Leben liebt!«

      Das


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