Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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sollen, die alten Frauen ihren Kaffee und Tee.«

      Während dieser Unterhaltung war Lars Meinders bis zur Bootstreppe gerudert, hatte das Fahrzeug lose an einem Pfeiler befestigt und stieg nun die Treppe hinan, aber dermaßen ungeschickt, daß ihn der Wachtposten sogleich bemerkte.

      »Qui vive?« rief er aufhorchend in das Dunkel hinein.

      Lars Meinders erkünstelte einen halbunterdrückten Schreckensschrei, er polterte die Stufen hinab und plumpste in das Boot, als wolle er schleunigst flüchten.

      Der Franzose, beutegierig wie alle diese angeworbenen, durchweg moralisch verkommenen Zollbeamten – der Franzose lief sogleich in die offene Falle des schlauen Wattführers hinein.

      »Hierher!« schrie er. »Hierher! Hilfe!«

      Eine Sekunde später sah Lars Meinders den Soldaten, welcher am Fahrdamm Wache hielt, schnellen Laufes herbeieilen; über sein ehrliches rotes Gesicht flog jenes stille Lachen, das ihm eigen war, er steckte zwei Finger in den Mund – ein langgezogener Pfiff gellte durch die Luft.

      »Das war das Zeichen!« raunte Uve Mensinga.

      »Schnell! Lars Meinders ist nicht der Mann, uns irre zu führen.«

      Sie nahmen die Kisten wieder auf und Onnen schlüpfte als der erste den Fahrdamm hinan. »Alles leer!«

      Wie schwarze Gespenster glitten die Schmuggler hinüber zum Dorfe, sechsmal nacheinander, ungehindert, im Fluge – dann waren alle Teekisten geborgen.

      Der Wattführer hatte ihnen den Weg freigemacht, jetzt wußten sie es.

      Während die Beamten das Zollboot vom Pflock lösten und sich anschickten, jenes andere Fahrzeug von der »Taube« abzuschneiden, entkamen die wirklichen Pascher ungehindert über den Deich in ein grünes Gärtchen, dessen Hecken ihnen genügende und sichere Verstecke boten. Im Schutze des hohen Walles blühten hier bescheidene Blumen, wuchsen Stachelbeeren und Flieder, sogar ein paar knorrige verkümmerte Apfelbäume, denen aber der salzige Wind die Kronen verdorrt hatte, wie überall am Nordseestrande.

      Tief in der Mitte des bäuerlichen Besitzes lag ein niederes strohbedecktes Haus, dem jetzt die Schmuggler ihre Schritte zulenkten.

      »Meine Schwester muß schon aufgestanden sein«, sagte flüsternd der Kapitän. »Es brennt Licht in der großen Stube.«

      Sie schlichen auf dem schmalen Pfade zwischen dem Hause und der Stachelbeerhecke vorsichtig zum Fenster und Klaus Visser sah hinein. »Na! Na!« raunte er, »was ist denn das?«

      Drinnen in der »Döns«, der geräumigen einzigen Stube des Bauernhauses, saß eine ältliche Frau und stützte den Kopf in beide Hände. Die Ellbogen vor sich auf den Tisch gestemmt, sah sie unverwandt ins Leere, während große Tränen, eine nach der anderen, über ihre bleichen Wangen herabrollten.

      Außer dieser Frau befand sich niemand im Zimmer.

      »Da ist etwas Schlimmes geschehen«, murmelte der Kapitän. »Ich will einmal anklopfen – dann folgt mir nach, Kameraden.«

      Er ging um das Haus herum und bald sahen die übrigen, daß er Einlaß begehrt haben mußte, denn die weinende Frau fuhr plötzlich auf und schien zu erschrecken – sie öffnete die Tür wie jemand, der ein großes Glück erwartet, und ließ dann, als der Kapitän eintrat, mutlos die Arme sinken.

      Er sprach mit ihr. Die Draußenstehenden sahen ihn die Fäuste ballen. »Herrgott, Herrgott, das ist zu arg!«

      Sie alle hatten es verstanden, er winkte ihnen auch schon, und eilends, voll schlimmer Erwartung betraten sie das Haus. Frau Antje, die Herrin desselben, verhüllte das Fenster – sie weinte jetzt noch ärger als vorher.

      »Tante Antje«, rief Onnen, »was fehlt dir? Wo ist Onkel Martin?«

      Aber nur ein Schluchzen antwortete ihm. »Kinder«, sagte der Kapitän, »die Franzosen haben eine neue infame Schurkerei verübt! Das junge Volk soll zum Kriegsdienst ausgehoben werden, wie ihr wißt. Mancher hat sich beizeiten auf- und davongemacht – na und da stecken sie nun die Väter dieser Flüchtlinge einfach ins Gefängnis, als Geiseln für die Söhne. Schwager Martin Hansen ist gestern mit noch mehreren anderen aus Hilgenriedersiel abgeführt nach Norden.«

      Frau Antje weinte bitterlich. »Mein Sohn ein Flüchtling«, schluchzte sie, »und mein Mann ein Gefangener! – Was soll nun aus Haus und Hof, aus dem Geschäft und den kleinen Kindern werden?«

      Uve Mensinga näherte sich der unglücklichen Frau. »Was das Geschäft betrifft, so seid außer Sorge, Frau Antje«, sagte er, »der Lars Meinders und ich wollen schon Martin Hansens Dienst als Wattführer mit übernehmen und euch den Lohn getreulich abliefern. Die Pferde versorgt dieser oder jener aus dem Dorfe – und Fische bringen wir euch reichlich ins Haus. Getrost, Frau! Wenn die Not am größten, dann ist die Hilfe am nächsten. Der Korse stößt sich schon irgendwo ein Loch in den Kopf, so daß das Land wieder frei wird vom Übel.«

      Er bot treuherzig der Weinenden die Hand und auch Klaus Visser bemühte sich, sie zu trösten, »Laß es gut sein, Antje, ich bin ja kein armer Mann, kann wohl dir und deinen Kindern über die böse Zeit hinweghelfen. Der Martin wird es leicht ertragen, da so ein paar Wochen oder Monate im Loch zu sitzen, er ist ja ein starker, kräftiger Mann.«

      Die arme Frau trocknete ihre rinnenden Tränen. »Ich danke euch, Uve Mensinga«, sagte sie seufzend, »und auch dir, Bruder Klaus. Gott möge unser unglückliches Land beschützen! – Wißt ihr schon, was man sich Neues erzählt?«

      »Nun?« rief der Kapitän. »Heraus damit!«

      »Der Korse marschiert nach Rußland, dafür braucht er so viele Soldaten. Ach, sie sagen ja, daß er sich die ganze Welt untertänig machen will!«

      »Holl Pust! (Halte auf!)« lächelte der Kapitän. »Gott stüert de Bööm, dat se nich in‘n Heben wast!« (Gott wehrt es den Bäumen, in den Himmel hineinzuwachsen.)

      Die vermeintliche Schreckensnachricht schien den Fischern eine heimliche Hoffnung einzuflößen. Nach Rußland! Das konnte ja kein gutes Ende nehmen!

      Aber es blieb jetzt für Vermutungen und Pläne keinerlei Zeit übrig; man mußte die Teekisten nach Emden schaffen, ohne einer einzigen der zahllosen umherstreifenden Zollpatrouillen in die Hände zu fallen, und da war guter Rat teuer, bis endlich Onnen einen Ausweg gefunden zu haben glaubte.

      »Ich weiß, wie wir es machen!« rief er.

      »Nun?« fragte der Kapitän, »und das wäre?«

      »Die alte Kutsche, mit der Onkel Hansen seine wasserscheuen Badegäste über das Watt fährt, muß heraus und —«

      »Prachtvoll!« unterbrach Klaus Visser, »wir setzen die beiden großen Lederpuppen, von oben bis unten mit Tee gefüllt, hinein. Zufällig sind die Dinger hier bei dem Krämer Hildebrandt in Hilgenriedersiel.«

      »Und einen Paß habe ich auch«, meinte Heye Wessel. »Schwerenot, es kommt einem doch gut zustatten, wenn man mit den Schreibern auf der Präfektur zusammen zur Schule gegangen ist und für Geld und ein freundliches Wort so einen gestempelten Papierfetzen erhält, so oft man es wünscht.«

      Er zog einen zusammengefalteten Bogen aus der Brieftasche und las den Inhalt vor: »Reisepaß von Emden nach Norderney und auf dem Landwege zurück, für Herrn Kaufmann Poppinga nebst Sohn und Tochter!‹ – Alle Wetter, woher nehmen wir die Tochter! Meine Amke macht sonst die Fahrt mit dem alten Hansen und dreht sich und wispert wie eine richtige Dame, aber die sitzt ja jetzt zu Hause auf Norderney!«

      »Schadet nicht!« rief Onnen. »Was Eure Amke kann, das bringe ich auch fertig, Heye Wessel! – Die Base Hurtke – oder Johanna, wie sie lieber hört! – muß mir ihre Sonntagskleider leihen und fort geht es als Fräulein Poppinga nach Emden.«

      Der alte Seebär lächelte. »Das hübsche glatte Gesicht dazu hast du Schlingel, bist auch durchtrieben genug für ein lustiges Schelmenstück, aber so lang aufgeschossen sind die Mädels doch selten. Wo sollen wir‘s abschneiden, am Kopf oder an den Füßen? he?«

      »Laßt alles an seinem Platz, Gevatter, ich bleibe im Wagen sitzen und tue ganz ängstlich. Ach, ach – Bruder und Vater sind so


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