Onnen Visser. Sophie Worishoffer
Frau Antje streichelte das blühende Antlitz ihres Neffen. »Ich will dir Hurtkes Sonntagsstaat herbeiholen«, sagte sie voll neuen Mutes. »Du mußt doch die Sachen erst probieren.«
Ein paar Flaschen Bier und Branntwein, ein großes Brot und ein Schinken kamen auf den Tisch; dann, nachdem alle gesättigt waren, folgte die »Kostümprobe«, wie Onnen es nannte. Mit dem Hute und der seidenen Mantille ging die Sache vortrefflich, aber unter dem Kleide sahen die Wasserstiefel bedenklich lang hervor, während Base Hurtkes kleine Schnallenschuhe nicht ohne Ach und Weh den derberen Füßen ihres Vetters angepaßt werden konnten. Aber auch das würde sich machen lassen – man braucht ja im Wagen keine Schuhe. Onnen fand den Spaß prachtvoll.
Allmählich begann unter diesen Vorberatungen der neue Tag, und die ganze Schmugglergesellschaft siedelte über in den Wagenschuppen, wo einige Stunden Schlaf die müden Glieder zu weiterer Arbeit stärkten; dann, gegen neun Uhr morgens, entwickelte sich hinter verschlossenen Türen ein eigentümliches Schauspiel.
Frau Antje holte vom Krämer die beiden Lederpuppen, in denen der Tee durch das Land geschickt zu werden pflegte, umfangreiche Männergestalten mit Gesichtern und Perücken, die im Sitzen, namentlich bei etwas zweifelhafter Beleuchtung, von lebenden Menschen nicht so leicht unterschieden werden konnten. Man fuhr sie unter den verschiedensten Namen und auf allen Wegen des Landes schon seit langem umher, und wo sie im Dunkel des Abends hinter irgendeinem Torweg verschwanden, da wurde schleunigst eine Hinrichtung vollzogen – der Kopf fiel ab, der Rumpf neigte sich und der ganze Herr Baron oder Präsident schrumpfte zusammen zur bloßen Mumie, während vierzig bis fünfzig Pfund Tee von flinken Händen in ein sicheres Versteck überführt wurden.
An diesem sonnigen Morgen erhielten die ledernen Herren ihre Füllung als Kaufmann Poppinga und Sohn. Heye Wessel, der Riese, stopfte mit den langen Armen so viele Pfunde Tee in die Puppen hinein, wie diese nur zu fassen vermochten, dann bekleidete man sie auf das ausgesuchteste, zog ihnen Handschuhe an, kämmte Bart und Haar und setzte sie in die große alte Kutsche mit dem tiefen Sitz, den die grünen Gardinen beinahe gänzlich verhüllten. Unterdessen hatte Onnen seine Verwandlung bewerkstelligt, etwas Mundvorrat für ihn war auch in den Wagen gebracht, ein Knecht des Wattführers setzte sich auf den Bock und die Fahrt konnte beginnen.
Onnen hielt sein Kleid zierlich in beiden Händen, er hatte das Gesicht tief verschleiert und über die braunen derben Knabenfäuste ein Paar Handschuhe gezogen; der Paß steckte in dem Arbeitsbeutel, ohne welchen damals kein wohlerzogenes junges Mädchen zu denken war.
»Vorwärts!« rief er lustig. »Wir können gerade bei einbrechender Dunkelheit in Emden sein, wie ich hoffe. An der Westerbutfenne bei Düke Mommsen, dem Gastwirt, gebe ich die Ladung ab, da mag sie Hans Houtrouv in Empfang nehmen.«
Der Kapitän nickte. »Aber hüte dich, Junge, laß lieber den Tee im Stiche als deine Freiheit. Ist alles besorgt, so gehst du zum Vetter nach Larrelt und von dort hole ich dich morgen selbst mit der ›Taube‹ ab.«
»Allstunds, Vater! Und nun: Adjes.«
»Behüt Gott! Adjes, Adjes.«
Der schwere Wagen rumpelte aus dem Gehöft hinaus und die Lederpuppen nickten mit den Köpfen. Onnen fühlte sich hinter seinem Schleier keineswegs behaglich; was er dachte, das war in lauter Bitterkeit getaucht. »Möchten wir doch lieber die Franzosen zum Lande hinausprügeln, als daß sie uns sämtlich zu Schelmenstücken zwingen! – Sitzt man da wie ein angezogener Affe auf dem Jahrmarkt!«
Sobald aber eine französische Streifwache nahte, begann das Vergnügen. Der Kutscher hielt, ein bärtiger Zollwächter trat an den Schlag und fragte nach dem Passe. Onnen reichte ihm das Blatt. »Wir haben so große Eile, mein Herr! – Ach bitte, bitte, der arme Vater ist leidend.«
Die Zollbeamten sahen seine schönen Augen, seine Seufzer und das hübsche verschleierte Gesicht, sie warfen nur einen einzigen Blick auf den Namenszug des Präfekten Jeannesson und gaben dann den Paß zurück. »Alles in Ordnung. Reisen Sie glücklich, Mademoiselle!«
Dann wurden Onnens braune Wangen sehr rot, er ärgerte sich wieder und gab den Lederpuppen Nasenstüber, aber es freute ihn doch, daß Meile nach Meile hinter dem Wagen zurückblieb und daß gegen Abend die Türme von Emden im letzten Sonnenglanz vor seinen Blicken erschienen.
Mehr als zweihundert Pfund Tee steckten in den beiden Puppen, das war ein barer Verdienst von 180 Frank; denn die Franzosen erhoben damals eine Steuer von 90 Frank für den Zentner. Onnen wollte bei Düke Mommsen die Ware am gewohnten Orte verbergen und dann mit Hans Houtrouv, dem Krämer, abrechnen.
Der Wagen fuhr durch das Stadttor und ungehindert bis zur Westerbutfenne. Düke Mommsens Gasthof mit dem großen Dreimaster im Schilde und mit der weiten sauberen Toreinfahrt war erreicht, es dunkelte stark und leise stäubend begann ein feiner Regen herabzuträufeln. Onnen wollte eben mit einem Seufzer der Erleichterung fein jüngferlich aus dem Wagen steigen, als vom Hofe her ein Offizier der Zollwache langsam hervortrat und die Hand auf den Schlag legte, um ihn zu öffnen.
»Ich bitte, mein Fräulein! – Den Paß!«
Onnen gab ohne ein Wort das Dokument – jetzt fühlte er, daß ihm das Herz stärker schlug.
Sollte er wirklich im Hafen Schiffbruch leiden?
»Alles gut!« nickte der Offizier. »Wollen die Herrschaften aussteigen?«
In der Tür erschien in diesem Augenblick Düke Mommsen, der Wirt. Er hatte den Wagen des Wattführers erkannt und beeilte sich, die Aufmerksamkeit des Franzosen abzulenken. »Ach«, rief er, »das sind meine kranken Gäste! – Schnell, Lorenz, schnell, fahre auf den Hof, der alte Herr liebt es nicht, wenn ihn die Leute so ansehen.«
»Monsieur Renard«, setzte er hinzu, »wenn es Ihnen gefällig ist! Das Abendessen wartet!«
Der Franzose nickte stumm; er sah immer dem verschwindenden Wagen nach und wollte dann wie zufällig durch den Torweg gehen, aber der Wirt hielt ihn zurück »Monsieur Renard, auf ein Wort!«
»Nun?«
»Haben Sie das junge Mädchen näher angesehen?«
»Weshalb?« fragte stirnrunzelnd der Offizier. »Ich kenne die Dame nicht.«
»Aber sie ist reich, besitzt viele Tausende!«
Der Offizier zuckte die Achseln. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich zum Torweg und ging hinein.
Düke Mommsen lächelte vergnügt. Während der halben Minute, in der er den Franzosen aufgehalten, hatten seine Knechte die beiden Lederpuppen in Sicherheit gebracht, das wußte er.
Monsieur Renard sah zuerst den leeren Wagen, dann das flatternde Kleid des vermeintlichen jungen Mädchens – der Hof lag wie ausgestorben.
Er blieb vollkommen gelassen, aber die Sache erschien ihm verdächtig; zwei Minuten später stand er wieder neben dem Wirt im Gastzimmer.
»Wer sind die Leute, welche soeben kamen, Herr Mommsen?«
»Emdener Bürger«, antwortete dieser. »Ein Herr Poppinga mit Sohn und Tochter, mein werter Monsieur Renard; sie kommen von Norderney.«
Der Franzose nickte. »Ich möchte mit den Herren sprechen«, sagte er in ruhig befehlendem Tone. »Haben Sie die Güte, mich zu melden.«
»Sogleich! Sogleich!«
Er verschwand, um erst einmal Zeit zu gewinnen. »Verfluchte Geschichte! Wem soll ich ihn nun vorstellen? – Onnen, Junge, gib mir den Paß und dann schäle dich aus den Weiberkleidern heraus. Der französische Schuft hat Verdacht geschöpft!«
Er schloß aus Vorsicht die Tür ab, hinter welcher unser Freund verborgen war, und lief dann mit dem von der Präfektur gestempelten Passe zu dem Franzosen zurück. »Die Herren lassen um Entschuldigung bitten«, sagte er, »auch das Fräulein kann Sie heute abend nicht mehr empfangen, aber hier ist der Reisepaß. Das genügt, nicht wahr?«
Der Offizier ergriff das Blatt und hielt es gegen die Lampe. Über sein Gesicht flog ein zufriedenes Lächeln.
»Ich bestehe darauf, die Herren zu sehen«, rief er. »Wo ist das Zimmer derselben?«
»Aber ich begreife nicht«, murmelte Düke