Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


Скачать книгу
ohne von ihnen sonderlich Notiz zunehmen. Die armen Leute bearbeiteten mühsam den unfruchtbaren Boden, um da, wo die Flamme das Gestrüpp zerstört hatte, im nächsten Jahre Buchweizen säen zu können, sie schleuderten die Brände stumpfsinnig nach allen Seiten und schienen von dem fürchterlichen Rauche in keiner Weise belästigt zu werden.

      »Vorwärts! Vorwärts!« kommandierte Monsieur Renard. »Das ist nicht auszuhalten; ich will lieber vor dem Feinde stehen als hier. Sie da, Schreiber, wo bleibt denn schließlich das Dorf, he?«

      Der Emdener deutete mit erhobenem Arme nach links. »Da sehen Sie schon die Häuser, Herr Leutnant.«

      Monsieur Renard zog die Lorgnette hervor. »Das da?« rief er. »Beim Himmel, es ist eine Kolonie von Zwergen, die dort hausen muß. Lauter Hundehütten!«

      Doch dann sagte er: »Einerlei, einerlei – wo Menschen leben, da gibt es frisches Wasser, Eier, Butter, Gemüse, das Fleisch bringen wir ja schon mit.«

      Der Ratsschreiber lächelte wieder, aber er sprach kein Wort.

      Eine Gruppe von Hütten, regellos auf das Moor gestreut, trat allmählich immer klarer hervor. Aus Lehm erbaut, mit einem Binsendach versehen, glichen diese Wohnungen den Scheunen und Ställen, welche man heute noch bei besonders armen Landbewohnern trifft. Zwei kleine Fenster hingen windschief in der zerbröckelnden Wand, die Sparren standen zum Dache heraus, die Tür war niedrig und der Schornstein fehlte ganz. In einem Anbau, der unmittelbar an das einzige Gemach der trostlosen, mit grauer Erdfarbe überzogenen Behausung stieß, in einem lichtlosen schmutzigen Winkel grunzte ein Schwein, während einige zerzauste Schafe auf dem umgebenden Moor die wenigen dürren Halme suchten.

      Von Menschen war nichts zu sehen, selbst die Kinder, sonst überall zahlreich vertreten, schienen hier zu fehlen.

      Monsieur Renard ließ seine Leute halten, er wischte sich mit dem Taschentuche den Staub aus der Stirn.

      »Sucht einen Brunnen!« rief er ärgerlich.

      Der Ratsschreiber kletterte von seinem unbequemen Sitz, um sich wenigstens einen Augenblick zu strecken. »Herr Offizier«, sagte er, »Brunnen gibt es hier überhaupt nicht.«

      Der Offizier sah ihn groß an. »Mein Gott«, rief er ganz fassungslos, »was trinken denn die Leute?«

      Der Schreiber deutete auf eine Tonne, die vor dem nächsten Hause in den Boden gegraben war. »Regenwasser!« antwortete er. »Da ist die Zisterne.«

      Ein hölzerner Eimer hing an der Kette vom Querbalken herab und einer der Soldaten ließ ihn fallen um einen Trunk zu schöpfen, aber als das wenige Naß seinen Blicken begegnete, wich er schaudernd zurück. »Das ist doch kein Wasser!« rief er.

      Die Flüssigkeit war braun wie der Erdboden, undurchsichtig und mit allerlei kleinen treibenden Splittern und Halmen vermischt. Es schien unmöglich, diese dicke Suppe zu genießen.

      »Pfui!« rief der Franzose. »Sucht in den Häusern nach Bier oder Milch, Leute!«

      Die Franzosen öffneten sogleich alle Türen und durchforschten jede dieser elenden Hütten, während der Ratsschreiber den Offizieren alle mögliche Auskunft geben mußte.

      Nur einige kranke Personen oder kleinere Kinder wurden angetroffen. Der Fußboden in den Wohnungen bestand aus festgestampftem Lehm, die Möbel aus einem großen Strohlager, einem rohen hölzernen Tische und einigen Stühlen nebst Küchengerät. Keine Vorhänge verhüllten die Fenster, keine Blume blühte, kein Vogel sang – es waren Stätten der äußersten trostlosesten Armut

      »Was essen die Leute?« rief der Franzose, »was treiben sie? Mein Gott, das ist eine Stätte der Verdammnis!«

      Der Ratsschreiber nickte. »Viel besseres wirklich nicht«, gestand er seufzend. »Hier wohnt das ärmste Volk unseres Landes, häufig Gesindel, das schon mit dem Zuchthaus Bekanntschaft machte, verlaufene Strolche aller Art. Andere als nur solche würden aber in einem Moordorfe nicht leben wollen, weil doch der Aufenthalt zu unerträglich ist. Die Leute haben ihren Buchweizen und ihr Schwein – mißrät der erstere und stirbt das letztere, so sieht die Hungersnot zur Tür hinein.«

      Monsieur Renard schüttelte sich. Er ließ die Soldaten wieder antreten und tröstete sie im Hinblick auf das Fehndorf, welches ja bald erreicht sein werde. »Wo doch nur die Bewohner sind?« sagte er kopfschüttelnd. »Es ist alles wie ausgestorben.« »Die Männer haben Sie beim Moorbrennen gesehen«, antwortete der Schreiber, »die Frauen handeln in den Städten mit Besen; ihre kleinen Kinder tragen sie dabei im Tuche, die größeren müssen nebenherlaufen.«

      »Brr! – Ein schreckliches Land, dieser nordwestliche Winkel Germaniens, von dem schon Plinius sagt: die Bewohner sitzen auf feuchten Erdklumpen und haben nichts zu trinken! – Vorwärts, vorwärts, einmal muß ja das grauenhafte Moor ein Ende nehmen!«

      Der Marsch begann aufs neue; die durstigen ermüdeten Soldaten murrten laut und die Sonne schien brennend heiß vom Himmel herab. Buchweizenfelder lagen zur Seite des Weges, andere ebenso trostlose Moorhütten – dann kam endlich der Augenblick, wo Monsieur Renard durch seine Lorgnette vor sich einen etwas erhöhten Gegenstand sah.

      »Sie, Herr, was ist das da? Man könnte es wahrhaftig für eine Mastspitze halten!«

      »Und hätte damit das richtige getroffen, Herr Leutnant. Es ist wirklich eine solche.«

      »Was?«

      »Es ist eine solche, sage ich.«

      Über dem braunen Erdboden erschienen kleine bunte Fähnchen, wie Kinderspielzeug in Reihe und Glied aufgestellt, noch mehr Mastspitzen, endlich rote Ziegeldächer, helle silberne Rauchwölkchen, die sich lustig zum Himmel erhoben. Mit jedem Schritt über das öde Moor erweiterte sich das Panorama da unten, ein Dorf kam zum Vorschein, Fruchtbäume, Gärten, saubere Straßen, Schiffe und endlich ein Kanal.

      Mitten im dürren wüsten Moor, meilenweit von der See, von der Ems entfernt, tief im Herzen des Binnenlandes Schiffe! Das war ein unerwarteter Anblick.

      »Dort wird es wenigstens Lebensmittel geben!« rief Monsieur Renard.

      Der Ratsschreiber sah unruhig hinab auf das kleine blühende Gemeinwesen zu seinen Füßen. Ob die arglosen Fehnbauern ohne Plünderung davonkommen würden?

      Die Soldaten begannen schon zu singen. Da unten harrte ihrer eine reiche Beute.

      Zwischen Obstbäumen lagen Kirche und Schule, dörfliche Läden zeigten ihre bescheidenen Warenvorräte, und aus allen Enden und Winkeln strömte das kleine Völkchen herbei, um die fremden Ankömmlinge zu bewundern.

      Hinter den Scheiben erschienen bleiche Gesichter; der Vogt eilte den gefürchteten Gästen entgegen, um zu hören, weshalb sie kämen – das ganze Dorf versammelte sich auf der einzigen, den Kanal begrenzenden Straße.

      Vor jeder Haustür lag ein Fahrzeug, bald ein größeres Schiff, bald ein Langboot, das nur den kostbaren Schlick des Emswatts hierher brachte auf das unfruchtbare Moor, Torfkähne aller Art, selbst größere Schaluppen, die den Brennstoff einnahmen, um ihn den Städten zuzuführen und dafür Waren oder – Dünger nach Hause zu bringen.

      Alles glänzte in tadelloser Sauberkeit, im Schmucke bunter Blumen und Wimpel. Alles zeigte auf den ersten Blick jenen behäbigen Wohlstand, der genügende äußere Mittel besitzt, um über die nackte Plage des Daseins hinaus seine Umgebung hübsch und bequem einzurichten.

      Monsieur Renard strich sich den Bart. Er ließ den Vogt kommen und seine Leute in Reih und Glied aufziehen, dann erfolgte eine Proklamation des Präfekten Jeannesson, übersetzt vom Ratsschreiber und mit dem furchtbarsten Erschrecken von den Einwohnern vernommen. Die armen Leute glaubten ihren Augen, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen.

      Auf Norderney sollten Schanzen gegen die Engländer erbaut werden und dazu brauchte Seine Majestät der Kaiser sowohl Mannschaften wie Schiffe. Kapitän d‘Ortalan und Leutnant Renard waren beauftragt, beides herbeizuschaffen; sie zogen von einer Fehnkolonie zur andern, um sämtliche Fahrzeuge mit ihrer Bemannung nach Norddeich zu bringen. Die nötige Erde konnte hier genommen werden und dann der Bau vonstatten gehen.

      Als die Hiobspost verlesen war, ließ der Kapitän seine Leute bei den Bauern einquartieren, und nun begann ein


Скачать книгу