Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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gelegten Beschlag unausbleiblich schienen, mußten die hartbetroffenen Menschen noch ihre Vorratskammern öffnen und das Beste, was sich darin vorfand, preisgeben – die französische Willkür trat eben damals zur Befriedigung ihrer Wünsche, ihrer üppigen Genußsucht ganz Deutschland rücksichtslos mit Füßen.

      Kapitän d‘Ortalan und Leutnant Renard begaben sich in das Haus des Predigers, um jedenfalls für sich das bequemste Plätzchen zu erhaschen, aber sie wurden von dem geistlichen Herrn sehr kühl empfangen, nicht in das Familienzimmer geführt und keiner Unterhaltung gewürdigt; man gab Lebensmittel und Wohnung, aber das war alles.

      Bald erschienen auch mehrere Kapitäne und Schiffer, um gegen die angeordnete Maßregel Einspruch zu erheben; sie zeigten ihre Papiere, nach denen eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen waren, sie baten und flehten, aber ganz umsonst, schon am nächsten Tage sollten sämtliche Fahrzeuge, Schiffe und Kähne nach Norddeich unter Segel gehen.

      Wie ein Blitzstrahl hatte die Gewaltmaßregel die Kolonie betroffen. In allen Häusern flossen bittere Tränen, rangen Männer und Frauen dem hereinbrechenden Verhängnis gegenüber die Hände. Mit den Schiffen schwand auch die Möglichkeit der Arbeit, der ehrlichen bürgerlichen Existenz.

      Die Soldaten sangen und jubilierten. Sie hatten die Hirschkeulen gebraten, das junge Gemüse aus den Gärten geraubt, die Früchte von den Sträuchern, Bier und Wein aus den Kellern; sie ließen sich‘s wohl sein, indes ihre unwilligen Wirte voll bitterer Angst die Hände zum Himmel erhoben.

      Kapitän d‘Ortalan runzelte die Stirn. »Mir scheint, daß man den Befehlen Seiner Majestät sehr unwillig nachkommt«, sagte er in scharfem Tone. »Das Volk hegt rebellische Gedanken – wäre es nicht gut, ein Exempel zu statuieren?«

      »Sicherlich!« nickte Monsieur Renard. »Je fester wir die Zügel erfassen, desto leichter wird unsere Aufgabe.«

      Das Dienstmädchen des Predigers erhielt den Befehl, schleunigst den Vogt herbeizuschaffen, und als der Geängstigte kam, da fuhr ihn Kapitän d‘Ortalan sogleich grob an, sprach von schärferen Maßregeln und strenger Handhabung der Gesetze, dann erwähnte er, daß in der Familie Seiner Majestät des Kaisers heute ein Geburtstag gefeiert werde. »Es bedarf zur Verherrlichung des Tages einer Illumination«, schloß er seine Rede, »bei Beginn des abendlichen Dunkels sollen vor jeder Fensterscheibe zwei Lichter brennen, außerdem gebe ich den Soldaten einen Ball, wozu das Dorf die nötigen Musiker sowie Getränke und Speisen zu liefern hat. Alle Frauen und Mädchen müssen in ihren Sonntagskleidern erscheinen.«

      Der Vogt wurde blaß. »Wenn sie nun aber nicht tanzen wollen!« rief er voll heimlicher Furcht.

      Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen des Franzosen. »Dann gebe ich meinen Leuten die Erlaubnis, sich ihre Damen selbst einzuladen«, versetzte er.

      Und der Vogt schwieg. Es half nichts, sich den Gewalthabern entgegenzustemmen, selbst wenn die heiligsten Rechte bedroht waren.

      Von Tür zu Tür huschte die schlimme Botschaft, von einem erschreckten Menschenherzen zum andern; als der Abend herabsank, glühten langsam, einzeln, die befohlenen Flämmchen in den Fenstern auf und warfen spielende rosige Lichter hinüber zum Kanal, in dessen Fluten es wie helle Sterne zu glänzen schien. Haus nach Haus in langer Reihe schmückte sich mit den glitzernden Lichtern, – blassen Antlitzes schlichen die Dorfmusikanten mit Fiedelbogen und Klarinette zum Tanzsaal.

      Gedrängt an den Wänden, ängstlich blickend und stumm saßen Frauen und Mädchen. Von den Männern des Dorfes hatte kein einziger den Tanzplatz betreten, aber alle standen im Hofe des Wirtshauses und in aller Herzen lebte ein trotziger, verwegener Entschluß. Wenn da drinnen eine Ungebühr geschah, sollten die Franzosen an diesem Abend erfahren, wie ihnen im Grunde die Deutschen gesinnt waren.

      Es kam nichts dergleichen. Die lebensfrohen Soldaten dachten nur an das Vergnügen, obwohl dasselbe sonderbar genug ausfiel. Stumm reichte der Wirt das verlangte Getränk, stumm erhob sich die Tänzerin, wenn der Kavalier mit zierlicher Verbeugung nahte – es lag ein Grabesschweigen auf dem ganzen Feste.

      Der Fiedelbogen glitt über die Saiten, bleiche ernste Männergesichter sahen in die Fenster hinein und im Kanal spiegelten sich die Hunderte von Lichtern der anbefohlenen Illumination.

      Es betete während dieser Stunden wohl unbewußt jegliches Herz; nur ein einziger, aber ein glühender, leidenschaftlicher Wunsch lebte in den Herzen aller. Möchte Deutschland frei werden, möchte es das verhaßte Joch des Todfeindes, des dreisten, unleidlichen, doch endlich – endlich abschütteln können.

      Am folgenden Tage gingen alle Schiffe und Kähne der ganzen Kolonie ab nach Norddeich, wo es natürlich damals noch keine von dem flacheren Strande bis zum Fahrwasser hinabführende Brücke gab, sondern wo die Erde zu Wagen an den Deich und mit dem Boote an das Schiff befördert werden mußte.

      Sämtliche Bauern und Seeleute waren zu den erforderlichen Arbeiten einfach gepreßt worden; die Franzosen hatten es mit ihrem Schanzenbau sehr eilig, sie konnten nicht warten; denn in der Nähe von Norderney lagen wieder zwei neue englische Kauffahrteischiffe voll verbotener Waren und der Schleichhandel gewann immer größeren Umfang.

      Es hatte während der letzteren Nächte sogar kleine Scharmützel gegeben; dennoch aber entkamen die Schmuggler, und nun sollte ihnen der Garaus gemacht werden. Was sich zwischen der Insel und dem ostfriesischen Festlande zeigte, das bohrten die Kanonen in den Grund, gleichviel, wen ihre Kugeln trafen.

      Ganz Norderney war in Aufruhr, alle Männer ballten die Fäuste. Lahmgelegt der ehrliche Erwerb, ausgebeutet und ausgeplündert das arme Land, nun auch noch das letzte, der Fischfang unmöglich gemacht – was sollte endlich daraus werden?

      Es gab nichts Gewinnbringendes mehr als nur den Schleichhandel. In Hamburg wurde sogar Marschall Neys Equipage tagtäglich zum Transport eingeschmuggelter Waren benutzt; das hatte jemand in Norderney erzählt und damit dem herrschenden Schmuggel neue Sympathien zugeführt. Die Schiffer verbündeten sich mit den Arbeitern am Lande – jede Karre erhielt einen doppelten Boden und jede Fuhre, welche die Franzosen umsonst verlangten, brachte den gemaßregelten Leuten einen guten Verdienst ins Haus.

      Der Kaffee kostete eine Steuer von zwei Frank das Pfund, da verlohnte es sich schon der Mühe, auch die kleinsten Mengen einzuschwärzen.

      Alle Schaluppen waren für den Schanzenbau in Dienst gestellt, aber an jedem vierten Tage durften die Fischer mit ihren Netzen auf die See hinausfahren, um den nötigen Bedarf für sich und ihre Familien einzufangen oder in Emden und Leer zu verkaufen, wobei dann ein französisches Kanonenboot jede Bewegung überwachte und bei dem geringsten auftauchenden Verdachte seine Soldaten an Bord der Schaluppe schickte, um dort nach versteckten Waren zu fahnden.

      In vielen Häusern zeigte schon jetzt der Hunger sein Schreckensantlitz. Frau Douwe Visser seufzte, wenn sie an den Winter dachte. Sonst konnte man nach beendetem Sommerfang hinübergehen in die Städte und reichlich einkaufen, Kisten und Kasten waren schwer – aber wie würde es in diesem Unglücksjahre werden?

      Dunkle stürmische Nächte folgten auf Tage voll Regen und kalter unruhiger Luft. Das Viereck für den Schanzenbau war abgesteckt und die Arbeit begann. Jede Fischerschaluppe hatte ihre Nummer, nach der Fahrzeug und Besitzer in Dienst gestellt oder auf einen Tag und eine Nacht entlassen wurden – die Franzosen gingen dabei nach dem Alphabet, so daß Klaus Visser und Heye Wessel immer miteinander frei waren, weil eben V und W zwei zusammenstehende Nummern ergaben.

      Die beiden Wattführer brauchten, da sie keine Schiffe besaßen, nur bestimmte Tagesstunden hindurch zu arbeiten, ihre Nächte blieben unbewacht.

      Es war an einem stürmischen rauhen Abend, als auf dem unruhig tobenden Wattenmeer an verschiedenen Stellen Lichter aufblitzten. Die beiden englischen Kauffahrer, bewaffnet und begleitet von einem Kanonenboot, kreuzten zwischen der Insel und dem Lande, während in ziemlicher Entfernung ein französisches Kanonenboot Wache hielt. Der erste Versuch, sich den Söhnen Albions etwas mehr zu nähern, war mit einer dem Schiffe durch die Takelage fahrenden Kugel beantwortet worden, man zog sich daher zurück im Bewußtsein, daß ja die Schanzen demnächst bewaffnet werden und das ganze Gebiet beherrschen würden, aber man beobachtete doch den Feind und auf beiden Seiten schlugen die Herzen voll todesverachtender Kampflust.

      Die


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