Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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Geständnis. An welchen Ort gedachten Sie den Inhalt dieser Kisten ursprünglich zu bringen?«

      Heye Wessel seufzte. »Ja, du lieber Gott!« zögerte er.

      »Heraus damit! Schnell!«

      »Na, wenn es denn durchaus sein muß – ich wollte ihn in Norden verkaufen!«

      »Natürlich. Und Sie dachten unbemerkt im Schutze der Dunkelheit an Land zu kommen, nicht wahr?«

      »Ja, eben.«

      Der Protokollführer schrieb, daß es knisterte, der Leutnant ging stolz wie ein Spanier in der Kajüte auf und ab.

      »So, das wäre alles«, meinte der Unterpräfekt, »Sie müssen jetzt das Blatt unterzeichnen, Schiffer Wessel. Aber halt, noch eins! Was befindet sich in den Kisten?«

      Jetzt sah Heye Wessel von einem zum andern; sein Gesicht war harmlos wie das eines Kindes. »Was darin ist?« wiederholte er, »ja, wissen es denn die Herren noch nicht? Sand natürlich, sauberer weißer Sand von den Dünen. Die in Norden kaufen ihn zum Putzen und.«

      »Kerl«, rief der Leutnant, »Kerl, wenn du noch ein einziges Wort hinzufügst, drehe ich dir den Hals um!«

      Er sprang mit drei Sätzen hinab in das Boot und riß dem nächsten besten Arbeiter die eisenbeschlagene Schaufel aus der Hand. Ein wuchtiger Hieb spaltete den Deckel der obersten Kiste – es war Sand darin, nichts als Sand.

      »Hölle und Teufel«, schrie der erboste Franzose, »das ist ein neuer Betrug!«

      Und er wühlte und wühlte, bis ihm das Blut unter den Nägeln hervordrang. »Wie ein erzürntes Kaninchen!« dachte Heye Wessel.

      Der Boden der Kiste kam zum Vorschein, aber es war weiter nichts darin als nur Sand. Die Franzosen erkannten jetzt wohl sämtlich den Stand der Dinge; sie flüsterten miteinander und zuckten die Achseln, dann empfahlen sich die fremden Herren so schnell als nur möglich, verfolgt von dem Spottlächeln der Erdarbeiter.

      Unteroffizier Durand löste mit einem Messerschnitt die Bande an den Händen der beiden Schiffer, dann schüttelte er bedeutsam den Kopf. »Allerlei Spuk!« murmelte er. »Es ist mir an Bord der ›Hortense‹ schon lange nicht mehr geheuer.«

      Der Leutnant ballte die Fäuste; er verzieh es dem lächelnden Schiffer nicht, ihn so blamiert zu haben. »Was hindert mich, dich auf dem Fleck niederzuschlagen, du Schuft?« rief er, halberstickt vom heftigsten Ärger.

      Heye Wessel zog gemächlich seine beiden Hände aus den Taschen. »Diese da!« nickte er, »und ich glaube, ein wenig auch die guten Leute, welche uns sehen und hören.«

      Die Erdarbeiter, schon aufgeregt durch das, was eben vor ihren Augen geschehen war, die widerrechtlich und jählings aus allen ihren Verhältnissen herausgerissenen Erdarbeiter riefen Hurra. »Wenn der Franzose dich anfaßt, soll er es bereuen, Heye Wessel! Hurra für Deutschland!«

      Und brausend dröhnte der Klang, hundertstimmig getragen, durch die heitere Sommerluft dahin über das Wasser.

      Des Leutnants Augen blitzten. »Ich vergelte es euch« schwor er in seinem Herzen. »Gebt acht, ich vergelte es euch! Ihr habt mich herausgefordert und die Folgen sollt ihr allein tragen.«

      Äußerlich beherrschte er sich. Die Schaluppe und das Kanonenboot mußten beide noch stundenlang warten, ehe sie wieder in See stechen konnten, dann aber, als es geschah, riefen Hunderte von Stimmen den Franzosen allerlei Spottreden nach.

      »Wollen Sie denn nicht die Kisten mitnehmen, Herr Leutnant? Es ist doch Ihre Beute – ha, ha, ha.«

      »Wartet! Wartet!« murmelte der Offizier. »Meine Stunde schlägt auch noch.«

      4

      Die breiten Gräben hinter der Schanze wurden ausgeschaufelt und dann das Seewasser hineingeleitet; Mann nach Mann schoben sämtliche Inselbewohner ihre Karren mit Klei und Erde vom Ankerplatz herauf bis an die Stelle, wo Befestigungen errichtet wurden, um Deutschlands Freunde zu vertreiben und das geknechtete Land immer ärger in die Willkürherrschaft des Korsen hineinzudrängen.

      Französische Soldaten hielten Wache mit geladenen Gewehren und deutsche Seeleute erbauten Schanzen, deren Kanonen sie selbst und ihre Brüder vernichten sollten.

      Die Abendsonne schien warm herab auf das kleine Norderney, auf die grabenden und Erde fahrenden Männer und auf die einsamen Dünen, deren lange Grashalme im Winde schaukelten.

      Langsam gleitend kroch Aheltje, die Hexe, von einem Zwerggebüsch zum andern. Hinter ihr ging die graue Katze, schleichend wenn sie schlich, stillstehend wenn ihr Fuß anhielt. Die Alte suchte Vogeleier und murmelte vor sich hin, sobald sie ein Nest gefunden hatte.

      »Zwei Eier mußt du mir geben, Vogelmütterchen, die andern laß ich dir. Weiß, wie es tut, seine Kinder zu verlieren, hab‘ fünf blühende Knaben der See opfern müssen – keiner ist zurückgekommen. Ach, ach, welch ein Leben!«

      Die Katze spann, sie suchte die Blicke ihrer Herrin, als wolle sie sagen: »Mich besitzt du ja noch, wir beide haben einander lieb!«

      Aheltje umfaßte mit beiden Armen ihren Liebling. »Es gibt Eierkuchen, Murr, hörst du, Eierkuchen und gebratene Fische!«

      »Miau!«

      »Dich freut‘s auch, was? – Ach, Murr, wenn‘s doch die letzte Mahlzeit wär! Wenn die ›Hexe‹ endlich sterben dürfte!«

      Sie drückte das blasse verkümmerte Gesicht gegen den grauen Pelz und sah traurig hinaus auf das Meer. »Sie werden die ›Zauberin‹ mit der Heugabel fassen und ohne Sarg ins offene Grab werfen, Murr – tief hinunter in den rieselnden weißen Sand, wo der Tote immer weiter versinkt, immer weiter. Kein Kreuz kommt an die Stätte, keine Blume – sie sind so böse gegen ein lahmes krankes Weib, die Menschen!«

      Aheltje weinte vor sich hin. Heute morgen war sie im Dorfe gewesen, um den wenigen Badegästen ihre Seesterne und Seeigel anzubieten, aber rohe Buben hatten ihr einen Hund entgegengehetzt; noch blutete die linke Hand von dem Bisse desselben und das zerfetzte Kleid zeigte neue Risse. Auch Murrs Ohrläppchen hing durchlöchert herab – ach, welch ein böser Tag war doch wieder einmal über die arme Alte gekommen.

      »Einerlei, Murr«, sagte sie mit zuckenden Lippen, »einerlei, wenn mich auch die Menschen hassen, weil ich so unglücklich und so verkrüppelt bin – schlecht machen sollen sie mich darum doch nicht, ich will sie immer lieb haben nach Gottes heiligem Willen! Komm, mein Tier, komm – wir müssen weiter!«

      Der Graue schlich wieder hinter ihr her und die Alte suchte zwischen allen Gebüschen, in den Graspflanzen und Erdlöchern nach Nestern. So kamen die beiden an ein enges Tal, wo hohe überhängende Wände der Umgebung ein gebirgsartiges Aussehen verliehen; auf dem Grunde wuchsen zwerghafte Erlen, während nur ein schmaler beschwerlicher Weg seitwärts hinabführte.

      Wilde Kaninchen lugten aus Erdlöchern hervor und huschten ängstlich in ihre verborgensten Spalten; Heidelerchen erhoben sich zwitschernd zum Himmel; Schwalbenpaare schossen nach allen Richtungen durch die Luft.

      Es war hier in der entlegensten Einsamkeit der Dünen so still, so feierlich wie in einem weiten, von Glanz und Gold erfüllten Dome. Die wilden Bienen sangen das Lied zu Gottes Ehre, leise rauschend flüsterten die Erlenblätter von der Vergänglichkeit alles Irdischen und jenem Frieden, den das gute Gewissen dem Menschen in aller Trübsal, aller Anfechtung sichert.

      Roter Abendschein fiel auf das Weib im Bettlergewande und umhüllte es ganz. Aheltje bog die Erlenbüsche auseinander; sie klopfte mit dem Knöchel der rechten Hand gegen einen harten Körper, daß es hell und metallisch erklang.

      »Es liegt noch da, Murr, hörst du, niemand hat es entdeckt!« —

      Dann machte sie sich wieder in den Zweigen zu schaffen, ihre Hand fuhr hinein und brachte, als sie zurückkam, blitzende Goldstücke mit sich, es war ein seltsamer Anblick, das Weib in Lumpen mit dem reichen Schatze auf dem Schoß, ein seltsamer, unbegreiflicher Anblick!

      Immer mehr, immer mehr. Es glitzerte und funkelte, es spiegelte sich wie tausend Diamanten im Abendsonnenglanz – spielend reckte Murr die Pfoten und fuhr täppisch zu, als wolle er den Reichtum haschen.

      Aus


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