Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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der Knabe, »du wirst doch unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr an —«

      »Pst! Ein Mann, ein Wort, Onnen. Sollten mich meine Freunde für feige halten?«

      »Für vernünftig und besonnen, Vater! Du kannst nicht daran denken, dein Leben auf das Spiel setzen zu wollen.«

      »Schweig!« befahl der Kapitän. »Das sind Dinge, von denen ein Knabe wie du noch nichts versteht. Ich werde schon die nötige Vorsicht im Auge behalten.«

      Sie kamen nach Hause und trafen Frau Douwe bereits in voller Verzweiflung. Das Gerücht eilt schnell – es war eher angelangt als sie selbst. Die arme Frau sah ihre Lieben schon von französischen Kugeln zerrissen und weinte bitterlich.

      Als der Kapitän eintrat, warf sie sich ihm schluchzend zu Füßen und umklammerte seine Knie. »Vater! Vater! gib mir dein Wort, nie wieder schmuggeln zu wollen, oder ich sterbe vor Furcht – sage mir, daß die Fahrt nach Neßmersiel unterbleiben soll!«

      Sie weinte so heftig, ihr Flehen hätte ein Herz von Stein erschüttern können; leise, bittende Worte stammelnd, beugte sie das graue Haupt fast bis zu den Füßen ihres Mannes und beschwor ihn, Erbarmen zu üben.

      Eine Wolke flog über die Stirn des Kapitäns; er hob die Weinende auf und streichelte gutmütig das blasse Gesicht.

      »Ich kann nicht, Mutter, bei Gott, ich kann nicht. Die Franzosen werden übrigens keinen erschießen, es sei denn, sie hätten ihn! Kümmere du dich um gar nichts, hörst du; ich bin am Sonntag unversehrt wieder hier und habe in ein paar Stunden mehr verdient, als mir der Fischfang in Jahr und Tag einbringt.«

      Jetzt mischte sich Onnen in das Gespräch. »Du meinst doch ›wir‹, nicht wahr Vater? Wo du bist, dahin gehe auch ich.«

      Frau Douwe schrie laut auf. »Um Gotteswillen, Klaus, das darfst du dem Jungen nicht erlauben!«

      »Auf keinen Fall!« bestätigte der Kapitän. »Onnen bleibt hier.«

      Unser Freund kannte diesen Ton. Für den Augenblick war nichts zu machen, das wußte er und schwieg weislich.

      Ein Schatten verdunkelte draußen die Fenster, dann öffnete sich die Tür und Heye Wessel trat in das Zimmer. Er sah von einem zum andern; die Mütze in der Hand und das kluge Gesicht glänzend vor Aufregung, so stand er da.

      »Klaus Visser«, sagte er, bei seiner Rede immer mit dem Kopfe nickend, »Klaus Visser, wie ist es, gibst du nach?«

      Der Kapitän reckte seine hohe Gestalt. »Nein!« antwortete er mit festem Tone. »Tausendmal nein!«

      Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Riesen. »Ich auch nicht«, rief er. »Sollen uns die Hunde für Feiglinge halten? Wagen sie sich heran, dann brechen wir ihnen als ehrliche Ostfriesen die Hälse.«

      »Genau was ich denke, Heye Wessel. Du bist also mit von der Partie? Ich kann mich auf dich verlassen?«

      »Wie auf deine Augen, Visser. Ein Schuft, wer sein Wort bricht!«

      »Siehst du, Mutter, so denken alle – sollte da dein Mann zurückstehen?«

      Aber die alte Frau weinte, als müsse ihr das Herz brechen. Sie schüttelte nur den Kopf; über die zuckenden Lippen kam kein Laut.

      In Neßmersiel klang Musik durch die einzige am Kanal gelegene Dorfstraße. Es wurde eins der vielen, in damaliger Zeit noch üblichen Gelage gefeiert, das Knechtsbier, bei dem die jungen Leute zuerst einen Umzug durch das Dorf vornahmen und dann im Kruge zum Schmaus zusammentrafen.

      Derartige »Biere« gab es bei sehr vielen Gelegenheiten, z.B. der Ernte und der Beendigung des Dreschens; auf den Fehnen (Kanaldörfern) meistens nach Schluß der Torfgewinnung, die den Bauern Geld ins Haus gebracht hatte, die Knechte und Mägde aber von der sauersten Arbeit ihres Daseins auf Monate hinaus erlöste.

      Sie wollten nun nach harter Plage einmal bei Spiel und Tanz das Leben genießen. Alle Knechte des Dorfes hatten sich im Wirtshaus versammelt; Blumen und Bänder nickten von den Hüten, Spielleute gingen voran, der jüngste Bursche trug einen ungeheuren, ganz leeren Sack auf der Schulter und schon vor dem nächsten Bauernhause hielt der lustige Zug.

      Als die lustige Schar den Rundgang durch das Dorf beendet hatte, wurde der gefüllte Schnappsack in das hellerleuchtete Wirtshaus getragen und dort die eingeheimsten Schätze überzählt. Auf dem Tanzplatz, der großen Lehmdiele, versammelten sich die Mägde, eine gewaltige Tafel wurde gedeckt und der Schmaus konnte beginnen.

      Mettwurst, gebratene Kartoffeln und Warmbier bildeten die ganze Herrlichkeit, aber der Frohsinn würzte das Mahl, als enthalte es die kostbarsten Gerichte. Im Hintergrunde flammte auf dem Backsteinherd das mächtige Torffeuer, ganze Haufen von Eierschalen lagen umher und zeigten, wieviel Bier vertilgt wurde; lustig fiedelten und bliesen die Dorfmusikanten, denen immer etliche von den erbeuteten Talern in die Hände fielen, hin und her mit großen Krügen eilte Jakob Brahms, der geschäftige Wirt, dem es gelungen war, das Knechtsbier gerade auf diesen Tag zu verlegen.

      Er selbst zeigte die größte Freigebigkeit. Das Bier und die Kartoffeln wurden ihm bezahlt, aber den Branntwein schenkte er umsonst – sogar die beiden französischen Zollwächter, welche im Hause ihr Quartier hatten, wurden ganz unmerklich in das Fest mit hineingezogen und erhielten besonders reichliche Mengen Branntwein, während denen, die draußen auf dem Deiche Posten standen, ihr Anteil hinausgebracht wurde.

      »Sie sind ja auch Menschen«, sagte in gutmütigem Tone der Wirt, »was können die armen Jungen dafür, daß uns ihr Kaiser mit Krieg überzieht?«

      »Nichts!« rief der Altknecht, indem er eine ungeheure Wurst auf die Gabel spießte. »Gar nichts! – da, Jakob Brahms, bringt den Franzosen auch einen Bissen!«

      Der Wirt übermittelte das stattliche Geschenk den Empfängern und dann, als die Tafel aufgehoben war, ließ er den Tanz beginnen. Je mehr die allgemeine Fröhlichkeit überging in den Rausch, das tolle Treiben, desto leichteres Spiel hatte er selbst.

      Einer der beiden Franzosen, ein junger hübscher Pariser, war artig genug, die wohlgerundete Frau Wirtin zum Tanze zu führen, das sicherte ihm die Gunst der ganzen Gesellschaft. Er sprudelte über vor lauter guter Laune, konnte tanzen wie nie ein Knecht von Neßmersiel gewalzt und Polka getanzt hatte, er sprach das Deutsch so urkomisch, daß sich die jungen Leute vor Lachen ausschütten wollten. Monsieur Guillaume – »Gilm« nannten ihn die übrigen – war der Held des Abends.

      Ganz anders verhielt sich‘s mit seinem Genossen. Während der Pariser den Genever beinahe wie Wasser trank und am lautesten schwatzte und lachte, saß Bertrand, der andere Zollwächter, in einer Ecke und stützte den Kopf. Er hatte noch das erste Glas unberührt neben sich stehen, und als ihn Jakob Brahms aufforderte, doch an der allgemeinen Fröhlichkeit teilzunehmen, da wandte er sich ab.

      »Ich mag nicht tanzen, Herr Wirt. Nix Vergnügen!«

      »Aber warum denn nicht, Lothringer? Sie sind doch ein halber Deutscher, gehören ebensoviel zu uns wie zu den Franzosen, daher lassen Sie sich‘s wohl sein; trinken Sie und lachen mit den anderen.«

      Bertrand schüttelte den Kopf. »Ab gehabt großen Kummer«, seufzte er.

      Jakob Brahms setzte sich zu ihm. »Erzähle mir das, mein Junge«, flüsterte er vertraulich, »heraus damit! Hast du Schulden?«

      Eine fahle Blässe überzog die Wangen des jungen Menschen. »Aben ich keine Schulden«, antwortete er, »nix ich, aber alte Mutter, das bringt mir Kummer. Mag ich nicht sehen tanzen und trinken!«

      Jakob Brahms schien zu überlegen, in seinen Augen begann ein heimliches Funkeln und Glänzen.

      »Lothringer«, flüsterte er, »schreibt dir deine Mutter, daß sie sich in Not befinde? Bittet sie dich um Geld?«

      »Sie wohl wissen, ich nix haben! – Ach Gott, ach Gott, alles umsonst. Lassen ich anwerben mich pour la douane, geben alte Mutter Geld – aber sterben Vieh, große Mißernte haben in Weinstock, – nun alte Frau gepfändet werden, hinaus, fort, ganz arm. Pauvre femme!«

      Jakob Brahms rückte immer näher. »Trinke doch erst einmal, mein Junge! Der Branntwein wird nicht schlechter, weil deine Frau Mutter in Ungelegenheiten gekommen ist. Wie


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