Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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die nur in der Einbildung existieren, aber man bleibt stumm.

      Leichte Schritte näherten sich dem Hause, Andreas Fokke riß die Tür auf und wollte den Befehl zum Einspannen schon geben, als er plötzlich die Arme sinken ließ. »Du bist es, Onnen? – Was willst du denn hier, Junge?«

      Der Kapitän fuhr auf. »Wie kamst du hierher, Onnen? Habe ich dir nicht ausdrücklich verboten, das Haus in dieser Nacht zu verlassen?«

      Der Knabe senkte den Kopf. »Bitte, lieber Vater, verzeihe mir. Ich konnte nicht ruhig in meinem sicheren Bette liegen, während der Tod nach dir die Hände ausstreckt. Laß mich mitgehen und an deiner Seite bleiben!«

      »Nein! Tausendmal nein! Du sollst mit dem nächsten —«

      »Nun, da seid ihr beisammen!« rief es von der Tür her. »Alles sicher, nirgend die verfluchten französischen Galgengesichter zu entdecken! Vorwärts, Kameraden! Mylords, ich grüße euch und habe auch mein bestes Faß nicht geschont, um euch einen Tropfen mitzubringen! Very well, Sir! All right!«

      Und nachdem er in dieser Weise den Söhnen Albions seinen ganzen Vorrat englischer Worte ausgekramt hatte, reichte Jakob Brahms die wohlgefüllte Geneverflasche von einem zum anderen; Fokke und Lars Meinders zogen die Pferde hervor, reges Leben herrschte überall, und in diesem Treiben gelang es dem Kapitän nicht mehr, mit Erfolg den Bitten seines Sohnes zu widerstehen.

      »So bleib denn!« sagte er. »Dieser Zug ist der letzte, darum mag dir der Ungehorsam hingehen.«

      Ein Wagen nach dem andern wurde hinausgeschoben. Das Wetter hätte nicht günstiger gedacht werden können, und so schien es, als wolle das launenhafte Glück die Fahrt über das Watt ganz besonders begünstigen. Eine stattliche Anzahl von Pfunden lag auf den Wagen und versprach, da der unerhörte, den Wert übersteigende Zoll von zwei Frank für das Pfund erhoben wurde, einen reichlichen klingenden Gewinn. Zwei englische Kriegsschiffe bewachten das offene Fahrwasser, wobei ein Kanonenschuß von der Batterie eines derselben als Signal eines etwaigen Überfalles verabredet worden war. Solange alles ruhig blieb, befanden sich keine französischen Kanonenboote in der Nähe.

      Sie glaubten es wenigstens.

      Jakob Brahms und Andreas Fokke eröffneten den Zug, dann folgten die acht beladenen Wagen, deren Führer neben den Pferden gingen, und zuletzt mehrere Engländer. Sämtliche Männer rauchten kurze Pfeifen, Brahms erzählte, in welcher Weise er die Zollwächter unschädlich gemacht, und so bildete sich nach und nach in den Seelen aller jene ruhige Stimmung, die gerade infolge durchlittener Aufregungen so unendlich wohltuend wirkt – nur als einer der englischen Soldaten ein Lied anstimmen wollte, da hielt ihn der Kapitän zurück.

      »Man muß das Schicksal nicht herausfordern, mein Junge. Der Löffel bricht zwischen Hand und Mund.«

      »Still! Still!« rief Uve Mensinga. »Wer spricht gern von dem Schlage, welcher ihn im nächsten Augenblick treffen kann!«

      »Ja, ja, es ist ein eigen Ding zu wissen, daß man die Todesstrafe verwirkt hat!«

      Die englischen Soldaten lachten. Sie hatten bei Trafalgar mitgefochten und sehnten sich sehr, einmal ihre Kräfte mit denen der Franzosen zu messen, sei es selbst auf festem Boden, wie hier.

      »Laßt sie kommen!« rief einer. »Meine Klinge ist durstig genug!«

      »Still! Still! Man soll den Teufel nicht an die Wand malen.«

      Hinter den Schmugglern erloschen die Lichter von Baltrum, während die des festen Landes noch nicht auftauchen wollten. Der Zug befand sich etwa in der Mitte des Watts, als ein Hund, den Andreas Fokke mitgenommen hatte, eine große gelbe Dogge, plötzlich stehenblieb und leise zu knurren begann.

      Wie auf Verabredung wurden bei sämtlichen Wagen die Pferde angehalten. Blasse Gesichter sahen einander an, es lief auch den Mutigsten kalt durch alle Adern.

      Der Hund zog die Luft ein, er knurrte leise, machte aber keine Miene, sich irgendeinem nahenden Feinde entgegenzuwerfen.

      »Pikaß!« flüsterte Fokke. »Komm, Pikaß, was hast du?«

      Der Hund nahm von ihm keine Notiz, er behielt offenbar einen fernen Gegenstand fortwährend fest im Auge.

      Der Kapitän zog das Nachtglas hervor; er suchte längere Zeit und reichte dann dem neben ihm stehenden Heye Wessel das Instrument. »Wahrhaftig, mir ist es, als sähe ich da drüben einen unförmlichen Klumpen, einen dunklen Gegenstand«, flüsterte er. »Sieh hin, Wessel, was mag es nur sein?«

      Der Angeredete nahm hastig das Glas. »Ich kann nichts entdecken«, antwortete er dann. »Und nun schweigt auch der Hund.«

      »Laßt uns getrost vorwärtsgehen – es mag sich ja ein Seehund hierher verirrt haben oder es kommt jemand über das Watt, um nach Baltrum zu gehen. Vielleicht der alte Fischkäufer aus Dornumersiel.«

      »Der wurde allerdings heute abend erwartet!«

      »Seht ihr wohl! – Hallo, Hidde Emken, bist du da?«

      »Laßt das Rufen«, warnte der Kapitän, »du weißt nicht, wer dich hört!«

      »Ja, und es kann auch Hidde Emken ganz unmöglich sein, denn mein Hund kennt ihn genau!«

      »Such, Pikaß! such!«

      Das Tier blieb ruhig, es hatte längst aufgehört zu knurren. Andreas Fokke wandte sich zum Weitermarsch. »Es ist nichts«, entschied er. »Aber du bist heute abend gar nicht derselbe, Klaus Visser! Wie kommt das? Hast du irgendeinen Verdacht, Mann?«

      »Durchaus nicht. Ich finde nur, daß man jedes Geräusch vermeiden müßte.«

      »Vorwärts! Vorwärts!« rief Jakob Brahms. »Sollen wir am Ende gar den hellen Morgen über uns hereinbrechen lassen?«

      Diese Ermahnung half. Der ganze Zug setzte sich wieder in Bewegung. Pikaß trabte neben seinem Herrn, ohne unruhig zu erscheinen – so rasch es der widerstandslose Boden erlaubte, bewegten sich die schweren Wagen vorwärts, und von sämtlichen Teilnehmern der kleinen Unternehmung war nur der Kapitän nicht ganz zu seiner früheren Sicherheit zurückgekehrt. Jeden Augenblick sah er durch das Nachtfernrohr.

      »Es ist eine Sünde gegen deine Mutter, Onnen, daß ich dir überhaupt gestattete, uns zu begleiten! Was gäbe ich nicht willig hin, um diese Torheit zurückkaufen zu können.«

      »Fürchtest du denn einen Verrat, Vater?«

      Der Kapitän zuckte die Achseln. »Ich erwarte ihn nicht gerade, aber – ein dunkler Gegenstand, weder Watt noch Wolke, war‘s doch, den ich da hinten sah.«

      Der Knabe erschrak. »Dann kehre um, Vater, ich bitte dich, kehre um! Auch die beiden anderen werden dir folgen und zuerst ihr Leben retten wollen!«

      Ehe der Kapitän zu antworten vermochte, schoß Pikaß plötzlich den Männern voraus ins Dunkel und begann heftig zu bellen. Ein leichter Schrei wurde ausgestoßen, es klang wie »Sapristi!« – dann war wieder alles still.

      »Franzosen!« raunte der Kapitän. »Ich dachte es!«

      Onnen umklammerte seinen Arm. »Vater, ich flehe dich an, geh nach Baltrum zurück! Um Gotteswillen, tue es, tue es!«

      Klaus Visser schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr, Kind. Sollte ich meine Kameraden zur Stunde der Gefahr im Stiche lassen? – Aber vielleicht war es eine Sünde, um des Mammons willen deine arme Mutter so sehr zu kränken!«

      Während dieser eiligen, leise geflüsterten Unterhaltung schwieg der Hund wie zuvor, auch Menschenstimmen erklangen nicht weiter, wohl aber zog sich eine Kette dunkler Gestalten quer über den Weg und das, was vorhin als ein formloses Etwas erschienen war, trat jetzt in größerer Nähe scharf hervor – ein französisches Kanonenboot, das erst die nächste Hochflut wieder flott machen würde.

      »Zurück!« flüsterte Heye Wessel. »Wir müssen die Waren samt Wagen und Pferden im Stiche lassen, um nur das nackte Leben zu retten!«

      Die übrigen stimmten bei, hinter dem letzten Wagen ordneten sich die Schmuggler und begannen einer nach dem andern rückwärts zu schleichen, aber schon sehr bald mußten sie eine schreckliche Entdeckung machen. Auch von Baltrum her nahte eine Abteilung Franzosen –


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