Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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Summe. Höre einmal, Bertrand, mein guter Freund, was würdest du sagen, wenn dir jemand noch in dieser selben Stunde die fünfzig Taler bar und blank auf den Tisch zählen wollte?«

      Der arme Junge schüttelte den Kopf, in seinem Auge glänzte es feucht. »Aben nicht so gute Freund«, seufzte er.

      »Das weißt du noch nicht, Lothringer!«

      Der Franzose mußte jetzt die Bedeutsamkeit in dem Tone des Wirtes doch wohl bemerken, etwas verlegen sah er ihn an. »Plait-il, monsieur?«

      »Ich meine, was würdest du wohl dafür tun, wenn dir jemand das Geld gäbe, Bertrand?«

      »Ach Gott, ich sein ihm dankbar ewig!«

      Die heiße Hand des Wirtes legte sich auf seine Schulter. »Läßt du mit dir reden, Lothringer? – Das Geld ist gegen eine bestimmte Dienstleistung für dich bereit, hörst du wohl, es ist bereit! Jetzt gleich, in diesem Augenblick!«

      Der junge Zollwächter horchte auf. »Große Geld!« flüsterte er. »Nix möglich! Was das sein, Monsieur Brahms?«

      »Das ist wenig genug, Bertrand, aber doch für mich sehr viel. In drei Stunden habt ihr beide draußen auf dem Deiche den Dienst, du und der Pariser, nicht wahr?«

      »Ja, Monsieur.«

      »Gut Sieh dir deinen Kameraden an, Lothringer, er taumelt schon jetzt; in drei Stunden schläft er wie ein Murmeltier und du hast die Wache allein.«

      »Diable m‘emporte! Monsieur Brahms wollen – wollen —« »Schmuggeln!« zischte der Wirt, indem er den anderen unausgesetzt im Auge behielt. »Ja, ich will schmuggeln, Bertrand, aber vorher gebe ich das Geld, welches deiner alten Mutter Haus und Hof erhalten soll. Du siehst zehn Minuten lang zufällig gerade nicht nach derjenigen Seite, von woher ein paar Lastwagen gefahren kommen – ist das so schwer?«

      Der junge Mensch nickte traurig. »Sein Betrug«, seufzte er. »Nix möglich, Monsieur!«

      Der Wirt legte sein Gesicht in die ernsthaftesten Falten. »Betrug?« wiederholte er. »Was du dir einbildest, mein guter Junge! Zuerst bist du der Sohn deiner schutzlosen alten Mutter, das ist für dich die nächste heiligste Pflicht, später kommt dann der Untertan des Kaisers, das wirst du ja nicht bestreiten wollen. Übrigens – ganz unter uns! – wer ist denn dieser sogenannte Kaiser? Puh! ein Advokatensohn, ein Emporkömmling, gar nichts!«

      »Einerlei, Monsieur, ich aben gegeben mein Versprechen und das muß halten ein ehrlich Mann notwendig.«

      Jakob Brahms nickte sehr kräftig. »Notwendig!« wiederholte er. »Bedingungslos, mein lieber Junge – denke also bitte darüber nach, wie oft du wohl deiner alten Mutter geschworen hast, ihr zu helfen, wo immer es dir möglich sei!«

      Der Franzose schien betroffen. »Das ist wahr«, stammelte er.

      »Siehst du wohl! Also nimm jetzt das Geld und du hast ein gutes Werk vollbracht. Was kümmert dich der Korse?«

      Bertrand fuhr mit der Rechten durch das dichte Haar. »Sein ich unglücklich«, stammelte er.

      Jakob Brahms hatte ihn keinen Augenblick außer acht gelassen; er erkannte seinen Vorteil und schmiedete das Eisen, weil es eben glühte.

      »Wie du willst, Lothringer«, sagte er. »Laß deine Mutter im Stiche, ich kann es nicht ändern. Vielleicht habe ich auch alles nur zum Scherz gesagt.«

      Der Zollwächter erschrak. »Monsieur Brahms«, seufzte er, »das gewiß sein, nur zehn Minuten auf die Seite sehen? Nix sprechen, nix helfen Schmuggler, keine déclaration abgeben?«

      »Durchaus nichts. Wenn du die Pferdeköpfe siehst, wendest du dich ab, das ist alles.«

      »Und Monsieur geben Geld vorher?«

      »Auf der Stelle! Aber so trinke doch, Freund!«

      Der junge Mensch nahm den Inhalt des Glases auf einen Zug. »Eh bien!« antwortete er. »Ich so tun.«

      Jakob Brahms schenkte ihm aufs neue ein. »Sieh deinen Genossen, Lothringer, er sitzt in der Ecke und singt; du hast die Wache allein. Es ist jetzt für mich die allerhöchste Zeit, ich muß fort – komm mit in mein Zimmer.«

      Er ging hinaus und der Zollwächter folgte ihm. Oben in der Giebelkammer stand die bäuerliche buntbemalte Holzkiste, diese wurde geöffnet und ein leinener wohlgefüllter Geldbeutel hervorgezogen.

      Auf dem Tisch brannte das Talglicht, die Fenster standen weit offen. Jakob Brahms zählte. »Fünfundvierzig, achtundvierzig, fünfzig! – So, da hast du noch einen Taler mehr, mein Junge, das Postgeld will ja auch bezahlt sein. Nimm hin und Gott gesegne es deiner alten Mutter.«

      »Danke! Danke!« flüsterte mit heißem Gesicht der junge Franzose. »Aber Monsieur wissen doch, was Präfekt bekannt gemacht hat? Erschießen die Schmuggler – fangen heute, exécution morgen.«

      Ein tieferer Atemzug hob die Brust des Wirtes. »Ja, ich weiß es, Lothringer! Aber das kann mich nicht schrecken – die Sache ist schon zwanzigmal, hundertmal gelungen, sie wird auch heute nicht fehlschlagen.«

      Noch während er sprach, fuhr ein Windstrom in das offene Fenster, verlöschte das Licht und streifte wie eine kalte Hand seine Stirn – er schauderte unwillkürlich, bezwang sich aber sogleich.

      »Laß mich vorausgehen, Bertrand. So, dahin – und nun: Ein Mann, ein Wort! nicht wahr, du?«

      »Gewiß! Gewiß!«

      Sie gingen zur Gesellschaft zurück, der Wirt verständigte sich mit seiner Frau und eilte dann, nachdem er die Kleider gewechselt hatte, hinab zum Meer, wo an einer dunkeln Stelle eines jener schlanken langgestreckten Fahrzeuge lag, die mit ihren weißen Segeln wie Möwen über das Wasser dahinschießen.

      Vom Sitzbrett erhob sich eine Männergestalt. »Endlich!« sagte tief atmend eine leise Stimme. »Wir werden kaum noch hinüberkommen.«

      Es war Uve Mensinga; er setzte schleunigst mit Hilfe des Wirtes das Segel, nahm die Schot selbst in die Hand, und während jener steuerte, brachte er das Boot vor den Wind. Binnen Sekunden war es in der Finsternis verschwunden.

      Auf Baltrum, im Hause des Wattfuhrmannes, harrten die Schmuggler. Damals besaß das Inseldorf, in dem noch heute keinerlei Fremdenverkehr besteht, von den gegenwärtig vierzig Häusern etwa fünfzehn; nur Fischer und Fuhrleute lebten auf dem einsamen Eilande, das seiner Bedeutungslosigkeit wegen der französischen Einquartierung entgangen war.

      Andreas Fokke, der Wirt, hatte, als die größeren Schmuggelzüge begannen, so nach und nach seinen ursprünglich kleinen Wagenschuppen durch Anbauten erweitert und mehr Pferde, mehr Lastfuhrwerke zusammengekauft. Die Zollbehörden zu überlisten, das brachte größeren Gewinn als alle Arbeit miteinander.

      Jetzt war auf acht große Wagen, in Kisten und Säcke verpackt, der Rest aus den beiden englischen Kaffeeschiffen verladen, schützende Decken lagen darüber, die Pferde standen gesattelt und man erwartete nur noch den Wattführer aus Neßmersiel, sowie den Eintritt der vollständigen Ebbe, um die letzte derartige Fahrt zu beginnen.

      Das kürzlich erlassene grausame und tyrannische Gesetz der Franzosen machte es den Familienvätern unmöglich, sich weiteren Schmuggelunternehmungen anzuschließen – nur diese, schon auf Baltrum gelagerten Güter sollten noch auf das Festland hinübergeschafft werden, dann hatte das lustige Paschergewerbe sein Ende erreicht.

      Andreas Fokke, Klaus Visser, Lars Meinders und Heye Wessel standen ungeduldig wartend beieinander, neben ihnen eine Anzahl englischer Seesoldaten, die den Zug nach Neßmersiel begleiten sollten. Jedes Gespann mußte seinen Kutscher haben, außerdem war es unerläßlich, daß die beiden Wattführer, Fokke und Brahms, vorausgingen, um in der Dunkelheit den richtigen Weg zu finden, denn nur sie allein kannten ihn.

      Die Ebbe begann jetzt einzutreten, das Geschrei der Strandvögel kennzeichnete den Augenblick, wo ihr Tisch gedeckt wurde – wenn nun das Boot aus Neßmersiel nicht kam, dann galt dies Ausbleiben als ein verabredetes Zeichen; die Zollbeamten waren in diesem Falle unbestechlich gewesen.

      Der Kapitän seufzte. »Das wäre sehr ärgerlich!« sagte er.

      Niemand antwortete ihm. Die Stunde ängstlichen Harrens,


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