Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


Скачать книгу
Zweite. »Da ist Wasser!«

      »Die Ems! – Wir haben Raum genug!«

      Weiter und weiter ging die tolle Jagd. Vor den Flüchtigen lag unermeßlich das öde Grau, hinter ihnen erklangen die Schritte der Feinde – näher und näher, wie einer der Herren meinte.

      »Laß sie kommen, die verfluchten Franzosen, unter deren Krallen das arme Deutschland aus tausend Wunden blutet, laß sie kommen! Wir sind unserer drei gegen zwei!«

      »Aber sie haben Schießwaffen, ich sah es!«

      Wie zur Bestätigung dieser Worte knackte in einiger Entfernung der Hahn einer Kugelbüchse. »Ergebt euch!« rief die Stimme des Zollbeamten, »ergebt euch, oder ihr erhaltet eine Kugel zwischen die Rippen!«

      Onnen lachte laut, aller Groll seines ehrlichen Herzens drängte sich auf die Lippen. »Nichts von ergeben!« rief er. »Tut euer Schlimmstes, ihr Raubgesindel!« Sie liefen auf Tod und Leben, atemlos, in äußerster Eile. Ihre Pulse jagten, ihre Herzen schlugen zum Zerspringen. —

      Hinterher die Verfolger. Langsam minderte sich der Zwischenraum, langsam, aber sicher. Onnen hätte für sich allein längst aus dem Bereich der Feinde herauskommen können, aber die beiden Fremden hielten mit ihm auf dem schlüpfrigen Boden nicht gleichen Schritt und verlassen mochte er sie um keinen Preis.

      »Ergebt euch! Steht!«

      »Ha! ha! ha!«

      Eine Büchsenkugel streifte hart an dem Kopfe des Knaben vorüber, er schwenkte die Mütze und lachte laut. »Bist ein Esel, Franzose, laß dir dein Lehrgeld wiedergeben!«

      »Wir sind verloren!« keuchte der ältere der beiden Fremden. »Ich kann nicht weiter laufen.«

      Auch der zweite taumelte. »Rette dich selbst, Knabe! Es ist umsonst, wir können nicht weiter!«

      »Nein! Nein! – Die Hilfe naht schon!«

      Im Nebel regte sich‘s wie gespenstische Formen, flog vorüber und kehrte zurück – hier ein seltsames Etwas, dort eins, mehr und immer mehr.

      Menschenaugen sahen in die Gesichter der Fliehenden, Menschenstimmen redeten sie an. »Hierher! – Schnell! Schnell!«

      »Wer seid ihr?« keuchte der vorderste Fremde.

      »Gute Deutsche wie ihr! – Die Pest über alles, was französisch ist!«

      Kräftige Arme drückten die Widerstandslosen auf einen engen Sitz und fort ging es, ins Dunkle hinein, ehe Sekunden verrannen. Alle dreie waren voneinander getrennt, aber als die beiden Franzosen aus dem Nebel auftauchten, fanden sie die Stelle leer, ihre vermeintlichen Gefangenen hatten unbeschadet den rettenden Hafen erreicht.

      Wieder krachten Büchsenschüsse durch die Nacht, wieder folgte das tolle Lachen der Sieger, diesmal vielstimmig, aus Nähe und Ferne zugleich.

      Es huschte und eilte über den grauen dampfenden Schlick, es wirbelte durcheinander von sonderbaren Gestalten. Wie ein Volk von Zwergen tummelte sich‘s auf dem Emswatt, wie Mücken im Sommer umschwärmten spöttische Zurufe die beiden erbitterten Franzosen. Sie hörten alles, sahen aber nichts.

      »Monsieur Renard«, sagte kopfschüttelnd der Polizeimeister, »wissen Sie, was ich glaube, oder vielmehr, wovon ich ganz fest überzeugt bin?«

      »Nun, Herr von Lemosy?«

      Der andere beugte sich näher zu ihm. »Diese Deutschen haben bisher geschlafen«, sagte er, »aber sie beginnen jetzt langsam zu erwachen. Wir werden dann erst die Tatze des Löwen wirklich kennenlernen.«

      »Bist du es, Heinz Thiedemann?« fragte Onnen.

      »Allstunds, junger Herr. Was tust du denn auf dem Emswatt? Willst doch nimmer ein ›Buttjer‹ (Schlammfischer) werden? Das wäre für den Kapitänssohn zu geringe, wie mir deucht.«

      Onnen schüttelte traurig den Kopf. »Das ehrliche Gewerbe ist niemals zu geringe, Heinz – du brauchst nicht zu flüchten, wenn dir französische Zollwächter begegnen.«

      »Aber du mußtest es, weil du Kontrebande bei dir führtest. Na, darum gräme dich nicht, Junge; die Gelbgesichter sind ja fremde Eindringlinge, denen wir Schoß und Zoll rechtlich nicht zu leisten brauchen, sondern nur, weil sie eben die Gewalt besitzen.«

      »Na, Onnen«, fuhr er gutmütig bittend fort, »steige aus, Junge; ich muß fischen, wenn nicht meine Kinder morgen hungern sollen.«

      Unser Freund sprang leichtfüßig aus der »Kreie«, dem sonderbaren Fahrzeuge, das seinem Baue nach unseren Kinderschlitten gleicht. Eisenreifen umgeben die unteren Ränder, am Vorderteil befindet sich ein großer offener Kasten und im Hinterteil liegt fest ein ausgehöhlter Block, in den der Buttjer das Knie preßt, um dann mit dem rechten Fuße gleichsam zu rudern oder zu schieben, wobei die »Kreie« mit der Geschwindigkeit des laufenden Pferdes über das Watt schießt.

      »Wo hast du deine Reusen, Heinz?«

      »Gleich vor uns. Wer war mit dir, Junge? Dein Vater?«

      »Nein, zwei ganz Fremde, der Himmel mag wissen, wer sie sind. Ob sie wohl glücklich davonkamen, Heinz?«

      »Natürlich. Meine Kameraden werden so wenig einen Verfolgten im Stiche lassen, wie ich selbst es täte. Aha, da beginnt die Jagd!«

      Aus dem grauen schlüpfrigen Wattgrunde erhoben sich viereckig angebrachte feste Zäune von Birken- oder Weidengeflecht, die etwa den Flächenraum eines gewöhnlichen Zimmers umschlossen und deren dichte Wände keinen noch so kleinen Fisch hindurchließen. Jede dieser Fanggruben war angefüllt mit zappelnden, ängstlich in den kleinsten Vertiefungen Schutz suchenden Meeresbewohnern, denen jetzt der Buttjer den Garaus machen wollte. »Das habe ich noch nie gesehen«, rief Onnen, mit lebhaftem Interesse die eigentümliche Jagd beobachtend. »Deine Reusen befestigst du zur Ebbezeit, nicht wahr, Heinz?«

      »Natürlich. Die Flut geht hoch darüber hinaus, und was mit derselben hineingerät, das findet nachher keinen Rückweg.«

      Er sammelte mit beiden Händen große Butten, Schellfische, Schollen, Zungen und Makrelen, endlich hoben beide mit vereinten Kräften einen großen Kabeljau in den Kasten, ein Ungeheuer, das der Schlammfischer gleich an Ort und Stelle schlachtete, um es nur mit sich führen zu können.

      Jede Reuse trug ihr Zeichen, das von den Buttjern unbedingt geachtet wurde. Wie Schatten, geräuschlos und mit Windeseile schossen sie im Nebel aneinander vorüber, keiner aber stahl dem anderen auch nur ein einziges jener kleinen silbernen Fischchen, die unter der Bezeichnung »Stinte« in den Handel kommen und die zu Tausenden in allen Rillen und Löchern umherzappelten.

      »Wie weit pflegst du zu gehen, Heinz?« fragte Onnen.

      »Bis zur Paap (Sandbank in der Ems). Dort liegt ein Langboot, das die Buttjer gemeinschaftlich halten.«

      »Und auf dem ihr mich mitnehmt nach Larrelt?«

      »Allstunds, junger Herr.«

      Die Flut mußte jetzt bald eintreten, schneller und schneller eilten der Schlammfischer und sein Kamerad über das Watt, dessen Nebel sich allmählich zu zerteilen begannen. Hell stand der Mond am nächtlichen Himmel, das Treiben auf dem Schlick beleuchtend, die Arbeit der emsig sammelnden Menschen und den Schmaus der Raubvögel, die mit dem fürlieb nahmen, was jenen zu gering erschien.

      Auch hier Kampf und Streit, Flügelschlagen und Schnabelhiebe, auch hier Feldgeschrei und heißes Ringen um den Platz an der großen Tafel, die Gott der Herr für jedes seiner Geschöpfe gedeckt hat und in erbarmender Liebe täglich neu mit Speise füllt. Aufatmend hielten zu beiden Seiten des tieferen Fahrwassers die Schlammfischer mit ihren hochbeladenen Kreien inne.

      Vor ihnen lag die Paap, eine öde, langgestreckte, bei tiefster Ebbe von den Meereswellen – die in den Emsfluß hineinströmen und ihn füllen – freigelassene Sandbank.

      Weit und breit war kein Boot zu entdecken.

      »Was beginnen wir Jetzt?« fragte etwas unruhig der Knabe. »Pst! Ich will es dir gleich erklären. Siehst du da auf dem Sande die großen, träge hingestreckten Tiere?«

      »Die Seehunde? Natürlich.«

      »Na,


Скачать книгу