Onnen Visser. Sophie Worishoffer

Onnen Visser - Sophie  Worishoffer


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Personen, Zollbeamten wie Zivilisten, war es nämlich gegen eine Abgabe gestattet, die aufgefundenen Güter der Schmuggler zu behalten und für ein Billiges an die Offizierstische oder die Hofhaltung der französischen Fürsten zu verkaufen; es wurde daher nach unversteuerten Waren gesucht wie nach Vogelnestern; wer sie fand, der machte sich den Vorteil zum Nutzen. Frau Douwe schlug die Hände zusammen. »Klaus, Klaus – das ist doch zu arg! Leben wir denn jetzt unter Räubern?«

      Der Kapitän nickte. »Genau genommen, ja. Aber laß dich das nicht anfechten, Frau – es ging wohl schon Besseres verloren als ein paar Fensterscheiben.«

      Er suchte nach der durchwachten Nacht womöglich einige Stunden zu schlafen, während Onnen hinausging auf das Watt, um die »Taube« zu scheuern und für ihre nächste Fahrt herzurichten wie immer.

      Auch hier traf er Soldaten. Sie hatten die Kajüte erbrochen und den ganzen Raum durchforscht; der Fischkasten lag zerschlagen da – alles Ausbrüche einer gemeinen Rachsucht, die nur den Gegner schädigen will, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht.

      Onnen sah von einem zum ändern, das Blut schoß ihm heiß ins Gesicht. »Ich denke«, sagte er, »daß die Herren wohl auch den Schlüssel zur Kajüte hätten verlangen können! – Weshalb ist die Tür erbrochen worden?«

      Der kommandierende Unteroffizier lachte. »Was kräht das Bürschchen?« rief er höhnisch. »He, was willst du Grünschnabel?«

      »Ich frage Sie, weshalb die Tür in meines Vaters Schiff erbrochen wurde?«

      »Und nennst uns in deiner Einbildung Räuber und Diebe, nicht wahr? Das sind Beleidigungen! Heda, Meunier und Dubois, bringt ihn zum Amtsvogt!« setzte er hinzu. »Das soll exemplarisch bestraft werden.«

      Onnen schlug um sich. »Rührt mich nicht an!« schrie er. »Was wollt ihr Galgengesichter?«

      »Bindet ihn!« schrie wütend der Unteroffizier.

      Die fünf Männer überwältigten ohne Mühe den wehrlosen Knaben und schleppten ihn fast zur Wohnung des Amtsvogts. Unterwegs gesellten sich Leute zu dem Zuge, der Kapitän wurde geweckt und erschien selbst auf dem Schauplatz der Begebenheiten, auch Oberst Jouffrin kam fluchend und den tiefen Sand verwünschend herbei; mürrisch ließ er sich durch den Unteroffizier Bericht erstatten.

      »Der Junge soll zehn Stunden Arrest erhalten, dann mag er laufen. Vogt, Sie sperren ihn, wie es hier üblich ist, in Ihren Keller! Es sind Rebellen, die Vissers, der Vater sowohl wie der Sohn.« Der Kapitän atmete leichter. Also wenigstens keine Prügel!

      »Junge«, sagte er, »geh ruhig mit. Weshalb hast du nicht geschwiegen!«

      Und dann besänftigte er seine Landsleute. »Wer sein Vaterland liebt, der verhält sich völlig ruhig, Kinder, völlig ruhig. Der Übermacht müssen wir uns ja doch ergeben. Amtsvogt, du bürgst mir für meinen Jungen!«

      »Das tu ich, Visser, das tu ich!«

      Der Platz um die Amtswohnung dicht unter der Kirche wurde allmählich leer, und nun begann die sonderbare Strafe, welche damals für leichte, besonders knabenhafte Vergehungen auf Norderney üblich war.

      Die Kellerfenster der Amtsvogtei wurden geöffnet, um jedem Bewohner des Dorfes das Schauspiel da drinnen vollkommen deutlich zu zeigen. Auf dem Hofe lagen Backsteine, diese mußte der arme Sünder in den unterirdischen Raum hinabtragen und davon zwei Säulen oder Strebepfeiler bauen; sobald das geschehen war, legte der Wächter des Gesetzes über beide ein Brett und auf demselben saß dann der Schuldige diejenige Stundenzahl, welche ihm zuerkannt worden war.

      Onnen begann halb erbittert, halb lachend die sonderbare Arbeit. Sobald erst einmal auf der Insel alles schlief, würde ihn ja der Vogt entschlüpfen lassen, das wußte er.

      Die Steine waren bald hinabgetragen, das Brett folgte nach; heimlich ließ die Frau Amtsvögtin auch einige tüchtige Butterbrote und eine Anzahl gekochter Eier mit in die Finsternis des Kellers wandern, dann schwang sich Onnen auf seinen harten Sitz.

      Draußen war die Umgebung wie ausgestorben. Wenn sonst ein junger Bursche im Amtskeller thronte, so hänselten ihn seine Genossen, wodurch ja eben die ganze Sache erst eigentlich zur Strafe wurde, aber heute zeigte sich niemand. Auch die Rohesten wollten den Sohn des geachtetsten Mannes von Norderney nicht verspotten.

      Onnen ballte die Fäuste. »Wär‘ ich ein erwachsener Mann«, dachte er, »auf irgendeine Weise schliche ich mich von hier fort und könnte gegen die Franzosen kämpfen! Ach, fühlten doch alle Deutschen so wie ich – sie hielten zusammen und prügelten den Korsen zum Lande hinaus auf Nimmerwiederkehr!«

      Er ließ den Kopf auf die Brust sinken und verschränkte seine Arme. Wenn es ganz dunkel geworden war, konnte er ein wenig schlafen; die Vögtin hatte eben erst stillschweigend eine wahre Sündflut von alten Kartoffelsäcken die Kellertreppe hinabregnen lassen – ein sauberes Leintuch flog hinterdrein, das war genug, um wie ein König darauf zu schlummern.

      Schon jetzt schloß er die Augen und fing an zu träumen. Während der vorigen Nacht hatte er, anstatt zu schlafen, gearbeitet und marschiert, dafür packte ihn nun im Dämmerlicht des stillen einsamen Kellers die Ermüdung mit verdoppelter Stärke; er sah schon die Bilder seiner erregten Phantasie, bevor noch Minuten vergangen waren.

      An der Spitze einer siegreichen Armee stürmte er vorwärts, und während tausend Schwerter im Sonnenglanz blitzten, tausend Herzen frohlockend im Rausche der wiedererrungenen Freiheit schwelgten, sah er den französischen Kaiser vollen Laufes entfliehen. Damals fanden sich die Bildnisse Napoleons überall, jedes Kind kannte sie – im Traume zeigte Onnen dem Tyrannen seine geballte Faust.

      Ein halblautes Kichern ließ ihn plötzlich auffahren. Er sah umher, ein Seufzer der Enttäuschung hob seine Brust. »Nichts!« murmelte er, »nichts! Keine Schlacht!«

      Draußen lachte es wieder und Onnen hatte nun sein volles Bewußtsein zurückerlangt.

      »Wer ist da?« rief er.

      »Dir träumte wohl recht etwas Angenehmes, nicht wahr?«

      Onnen zuckte die Achseln. »Du bist‘s, Adam Witt!« sagte er gleichgültig.

      »Ja, ich bin‘s wirklich. Die Franzosen haben dich erwischt, nicht wahr?«

      »Und du möchtest jetzt ein wenig spionieren, möchtest, daß ich mich zu Schmähreden hinreißen ließe, um sie brühwarm zu hinterbringen, nicht wahr?«

      »Was du denkst! Ich finde es höchst ergötzlich, dich da so baumeln zu sehen. Eben murmeltest du im Schlafe von gewaltigen Prügeln.«

      »Die ich dir aufzählen will, ja. Und jetzt belästige mich nicht weiter.«

      Der Sohn des Franzosenfreundes lachte. Er kannte die Faust dessen, den er im Augenblick ungestraft necken durfte; eben um dieser vielen schlimmen Erfahrungen willen freute es ihn, sich heute einmal gehörig rächen zu können.

      Sobald Onnen die Augen schloß, weckte er ihn. »Du, die Gefangenen in der Amtsvogtei dürfen nicht schlafen! – Ich werde nun bald mit meinem Vater nach Paris gehen, wollte dir‘s nur sagen, damit du siehst, wer ich bin und wer du bist! Wir sind reiche Leute, wir haben Geld die Hülle und Fülle – neulich durfte ich mit Vaters Flinte nach einer Möwe schießen – ein Hunderttalerschein war als Kugelpfropf hineingesteckt. So viel könnt ihr sicherlich in einem ganzen Monat nicht aufwenden.«

      Keine Antwort.

      »Schläfst du wieder, Onnen?«

      Alles still.

      Der Bursche mit dem gelben galligen Gesicht ärgerte sich, während er seinen Altersgenossen zu ärgern glaubte. Als völlige Finsternis herabgesunken war, glitt Onnen vom Brett und legte sich auf die Kartoffelsäcke, aber zu wirklicher Ruhe kam er nicht denn Adam Witt rief entweder mit lauter Stimme seinen Namen, oder er warf kleine Steine in das offene Fenster hinein – immer ohne von drinnen ein Lebenszeichen zu erhalten.

      Als die alte Kuckucksuhr in der Kammer des Amtsvogtes fünf schlug, da kam dieser würdige Mann bedächtig in den Keller gestiegen und erlöste seinen Gefangenen. »Du«, sagte er tief seufzend, »du, ich wollte dich schon gestern abend wegspringen lassen, aber der lange Bengel, der Adam Wirt, spionierte hier fortwährend herum.«

      Onnen


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