Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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durch die Ritzen der Herberge bis auf die Schlafdecken der Gäste; selbst der Krieger, welcher einen Bärenpelz trug, merkte den scharfen Zahn des Frostes, drängte sich bei Tage zum Herdfeuer in den Hallen des Wirtes und sang bekümmert: »Schneezeit ist dem fahrenden Helden leid, denn sein bester Freund wird das Tannenscheit.« Die unholden Feinde des Lebens schieden auch den Strom durch schwere Eisdecke von der freien Luft, zornig schlug und hämmerte der Nix, welcher in der Tiefe sein Heimwesen führt, von unten gegen die kristallene Last. Was aber unter der Eisdecke wogte, welche die Gedanken der Königin verbarg, das wußte keiner; sie allein saß still unter den streitenden Männern, stets gleich war ihre kalte Freundlichkeit gegen die Fremden; nur dem König dünkte, daß Frau Gisela weniger hochfahrend sprach als ehedem. Wenn der Nordwind seine Todeslieder um die Türme des Königs heulte, dann murrte Bisino zuweilen gegen seine Gäste, aber immer wieder überwand das Wohlgefallen an dem Fremden den Ärger, und so oft ein Sonnenstrahl die Schneedecke rötlich färbte, rief er: »Diesen Winter rühme ich, denn ich höre gute Worte an der Herrenbank und in der Kammer.« Zu den Jagdreisen, welche vom Könige den Helden bereitet wurden, kam auch ein Kriegszug gegen einen Gau der Sachsen, dorthin ritten die Vandalen neben den Königsmannen; und als die Helden siegreich und mit Beute beladen heimkehrten, pries der König laut das gute Schwert Ingos, und seine Knaben saßen seitdem geduldig mit den Fremden um die Bänke.

      Der Schnee schmolz im Frühlingslicht, neues Grün schoß aus dem Boden, an Birken und Haseln hingen die braunen Kätzchen; auch in den Seelen der Menschen regte sich die Hoffnung des neuen Lebens und der Wunsch nach Ausfahrt aus dem Winterdach. Die ersten Wandervögel flogen aus dem Süden heran, mit ihnen Volkmar der Sänger, er kündete in der Königshalle vergangene Kämpfe der Götter und Helden und sang leise in Ingos Ohr von der Trauer und Sehnsucht eines Waldvogels. Dann berichtete er, daß in den Lauben Unfriede und harte Rede den Sinn der Weisen beschwerten. Theodulf saß noch als siecher Mann im Hofe des Fürsten, die Freundschaft des Sintram war dort mächtig, und Herr Answald herrschte unwirsch über die Bankgenossen und hatte den Sänger zur Hochzeit der Tochter für die Maienzeit gefordert. Aber auch aus der Königsburg gingen vertrauliche Grüße in die Wälder. Wolf erhielt einen Urlaub in seine Heimat. Er sprach vor seiner Reise heimlich mit seinem Herrn und Berthar, rastete auf dem Wege in den Höfen des Rothari und Bero und ritt mit Bero auf wenig betretenen Waldwegen südwärts dem Main zu. Als er zurückkehrte, sah man in der Gastherberge frohe Mienen.

      Endlich sprengte auch der Strom die Eisdecke und ergoß seine Flut herrschlustig über das junge Grün der Wiesen, im plötzlichen Schwall rauschten seine Wasser und die Menschen merkten scheu die Gewalt des Unbändigen. Aber der Ostwind erhob gegen ihn starkes Blasen, er dämpfte die Flut und trocknete den Grund am Rande der Waldhügel. Der Falkner hatte dem Königssohn zwei junge Bussarde zur Jagd auf kleine Vögel abgerichtet, und Hermin erbat an einem Morgen vom Vater den Ausritt, um die Kunst der geflügelten Jäger zu prüfen. Schon war das Roß des Königs für die Beize gesattelt, da sprengte ein Bote in den Hof und trug Nachrichten zu, welche dem König die Brauen finster zusammenzogen. Er ließ sein Roß zurückführen und sandte den Sohn mit der Königin und dem Helden Ingo auf die Hügel. Warm schien die Sonne, zum erstenmal ritt Ingo neben der Königin ohne ihr Gefolge in das offene Land. Der Falkner löste dem Bussard die Haube, der junge König jagte mit dem Helden Valda und seinen Begleitern jauchzend unter dem Vogel dahin. Gemächlicher folgte die Königin. Sie tummelte mit geröteten Wangen ihr feuriges Roß und lachte ihrem Begleiter zu, der sich über das schöne Weib an seiner Seite freute und vorsorglich auf die Sprünge ihres Rosses achtete. Als er einmal helfend in den Zügel griff, hielt die Königin an und sprach: »Ich denke des Tages, wo du einem Kinde denselben Dienst tatest, als wir weit von hier nebeneinander über die bunten Blumen dahinritten; damals saß ich ängstlicher, aber ich wollte dich‘s nicht merken lassen.«

      »Runder war an jenem Tage das Antlitz meiner königlichen Base,« rief Ingo lustig, »und kürzer die Locke, welche um das Haupt flog. Aber als du mir hier in der Halle entgegentratst und den König so günstig an alte Zeit mahntest, da erkannte ich aus der stolzen Miene das Gesicht des kleinen Mädchens, und ich merkte wohl, daß ich dir den Dank schulden werde, wenn man in der Königsburg mir Gnade erwies.«

      Die Königin lachte und trieb ihr Roß wieder in wilden Sprüngen umher, bis die Reiter vor ihr hinter einer Erdwelle verschwanden, dann hielt sie von neuem an und sprach herzlich: »Danke mir immerhin, Ingo, denn gern höre ich, daß ich dir wert bin. Beide sind wir aus unserer Heimat in die Fremde gescheucht, seit der Haß meines Geschlechtes uns trennte. Auch ich vergaß deiner nicht, oft habe ich nach dir gefragt, wenn ein Wanderer aus dem Süden in die Burg kam. Wie ein Bruder im Unglück wurdest du mir, und mit Stolz vernahm ich, daß du dich edel hieltest unter schwerem Geschick. Als du endlich zu uns drangst, wurde ich froher als wohl sonst.« Sie sah ihn so freundlich an, daß er, unter dem Zauber ihres Blickes hingerissen, nach ihrer Hand griff, sie streckte ihm den weißen Arm entgegen und ritt so, das Antlitz ihm zukehrend, eine Weile neben ihm hin. Dann warf sie übermütig seine Hand zurück, jagte aufs neue in wilden Roßsprüngen über das Feld und wandte sich rückwärts, ob er ihr nachkam. Und wieder sprach sie lachend: »Ein anderer denkt dich zu halten wie einen Jagdfalken unter der Kappe, aber ich meine wohl, der Aar schwingt sich einmal frei auf und zieht seine eigenen Pfade im Sonnenlicht. Denn du, Vetter, bist nicht geschaffen, Diener eines anderen zu sein, und wer dich festhalten will, der sehe zu, daß ihn die Fänge nicht verwunden.«

      Als die Königin vertrauliche Reden begonnen hatte, gedachte der Held, ihr etwas aus den Waldlauben zu sagen, was ihm sonst immer auf der Seele lag, aber bei den Worten und den Augen der Königin gelang es ihm nicht, bis sie selbst mit verändertem Tone sprach: »Und doch hing einst der Edelfalk mit gebundenen Flügeln im Hofe des Bauern. Ich preise die Torheit des Vaters, weil sie das ruhmlose Band zerrissen hat, denn dir ziemt das Höchste zu begehren. Nur kühne Gewalttat vermag dich heraufzuheben über die Häupter der anderen, daran denke, Ingo. Komm zu meinem Sohn, mich freut‘s, daß das Kind dir vertraut, keinen besseren Lehrmeister wünsche ich ihm für alles Heldenwerk als dich.« Wieder jagte sie vor ihm hin, der Königsmantel und ihre Locken flogen im Winde, sie warf den kleinen Wurfspeer, den sie in der Hand hielt, vor sich in die Luft und fing ihn im Laufe; Ingo aber blieb jetzt hinter ihr zurück, bis beide sich dem Jagdzug anschlossen und dem kämpfenden Bussard zuriefen, der mit einem Wasserhuhn in den Fängen herabsank.

      Als der Jagdzug in die Königsburg zurückkehrte, fand er dort ungewöhnliche Bewegung, Reiter kamen und gingen, die Diener trugen Teppiche und Polster in das steinerne Haus, welches für vornehme Gäste bestimmt war, von der Königshalle her tönte Geklirr der Waffen und Hufschlag zahlreicher Rosse. Ingo sprang mit dem jungen Königssohn am Schlafhaus der Vandalen vom Pferde und Berthar eilte ihm entgegen: »Während du draußen den Habichten nachschautest, stieß ein anderer Raubvogel in den Königshof. Der Cäsar hat neue Botschaft gesandt, und wer, meinst du, kam als Bote? Der wildeste Gesell aus dem Römerheer, der Franke Harietto, den sie den Heervertilger nennen, er, der einst den raubenden Sachsen in der Waldesnacht die Köpfe abschnitt und wie Kohlhäupter nach der Stadt trug. Schon bevor er kam, schritt der König finster durch die Höfe, verlegen war seine Antwort auf meinen Gruß, und die Königsknaben sahen über die Achsel auf uns und mieden unsere Gesellschaft. Eben war ein Kämmerer des Königs in der Herberge und verkündete stotternd, daß er dein Mahl hierher tragen werde, damit du nicht den Römern an der Bank des Königs begegnest.«

      »Ist‘s nicht beim Mahle, so sei es im Hofe,« versetzte Ingo, »wir bergen unser Antlitz vor dem Ungetüm nicht; meint seine Botschaft mich, so ist gut, wenn wir sie früh erfahren. Komm, Vetter,« rief er den Königssohn, »sehen wir zu, wie die Fremden reiten, und der König die Boten der Römer begrüßt.« Das Kind ging neben ihm über den Hof in den großen Burgraum vor der Königshalle. Dort standen die Fremden vor den Rossen, während der König dem Gesandten die Ansehnlichsten aus seinem Gefolge bei Namen nannte und dieser von Mann zu Mann schritt, mit kriegerischem Gruße hier und da einzelne Worte spendend. Über die hohen Knaben des Königs ragte der römische Franke fast um eines Hauptes Höhe. Wie ein Riese stand er da, gewaltig an Schultern und Gliedern, die Arme besteckt mit Ringen, auf dem Schuppenpanzer goldene Kaiserbilder. Unter dem Helme starrten die buschigen Brauen, düster war sein Blick, kaum bemerkbar sein höfliches Lächeln.

      Als Bisino mit seinem Gast eine Wendung machte, trat er plötzlich Ingo gegenüber, der den König schweigend grüßte


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