Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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das er sich begehrt. Und am anderen Morgen lud der König den erstaunten Harietto und sprach: »Um des großen Cäsars willen habe ich alles getan und ausgeführt, was die Königsehre mir gestattet und nicht mehr. Dem Gebannten habe ich das Gastrecht aufgekündigt und ihn ohne Geleit entlassen, damit er aus meinem Lande weiche. Und er trabt jetzt wohl schon weit von hier über die Heide.« Als der König wieder in sein Schatzhaus ging und sein Angesicht in der Schüssel betrachtete, da sprach er seufzend zu sich selbst: »Eine Sorge wich, aber eine größere kam; nur eines ist mir lieb, es ist ein ehrliches Gesicht, das ich schaue.«

      9. Zur Idisburg

      Auch in den jungen Männern der Walddörfer regte sich die Reiselust, als die Reiser der Bäume vom Safte schwollen und das junge Laub aus den Knospen brach. Es war ein heimliches Summen in den Höfen, und frische Gesellen hielten im Waldversteck stillen Rat; denn nicht die Alten und Weisen des Gaues hatten den Auszug geboten, und nicht die heiligen Opfer des Gaues sollten ihn weihen, nur Unzufriedene lösten sich von der lieben Heimat, willkürlich und auf eigene Gefahr, weil ihnen der Sinn nach besseren Landlosen stand. Anfangs waren nur wenige entschlossen, ihr Glück in der Fremde zu suchen, vor ihnen Baldhard und Bruno, Söhne des Bero; bald aber ergriff die Sehnsucht auch andere, jüngere Söhne ehrbarer Wirte, neben ihnen wilde Gesellen und Waldläufer, die sich lieber rauften als bauten, auch manchen Hausvater, dem seine Nachbarn gehässig waren. Manchen hatte auch ein Mädchen, welches ihm lieb war, heimlich gemahnt, vor der Reise warb er um sie, und wo der Töchter mehre im Hause waren, wagte der Vater sein Kind an die ferne Hoffnung. Diesmal war es kein Zug in unbekannte Ferne, auf dem der Mond und die Sterne führen, der wehende Wind oder der fliegende Rabe; denn die neuen Siedelstätten lagen nur wenige Tagereisen von der Gaugrenze, und die Reise ging durch Wälder und Marken von Landgenossen, die in früheren Geschlechtern denselben Weg gezogen waren. Deshalb sorgten die Fahrenden wenig um Waffengefahr auf dem Wege und nicht sehr um Nahrung und Viehfutter. Auch da, wo sie bauen wollten, durften sie freundlichen Gruß hoffen, denn ein kluger Wirt hatte im voraus sorglich um ihre Reise gehandelt und mit dem Volke, dem sie zuzogen, Vertrag geschlossen. Und doch rüsteten die Wanderlustigen ihre Abfahrt noch heimlicher, als sonst Brauch war; denn nicht alle Häupter des Gaues freuten sich der Reise, durch welche die Zahl ihrer jungen Krieger gemindert wurde, nicht Fürst Answald und nicht das Geschlecht des Sintram, und diese suchten dem Drange zu wehren, soweit ihre Macht reichte. Auch den Eifer des Königs hatten die Fahrenden zu fürchten, denn er mochte ihnen die Besiedelung stören, bevor sie auf dem neuen Grunde festgewurzelt waren. Darum hatten sich die Wanderlustigen in nächtlichem Rate zusammengeschworen und die Söhne des Bero zu Führern gewählt, in den letzten Monaten hatten sie für die Fahrt gerüstet, Beisteuer in ihrer Freundschaft erbeten, Wagen und Ackergerät gezimmert und um Vieh gehandelt, soweit sie vermochten. Und sie wollten einzeln und mit wenig Geräusch aufbrechen, um sich jenseit der Gaugrenze zu geordnetem Zuge zu sammeln.

      Im ersten Morgenlicht standen die Wagen mit Saatkorn und Hausrat bepackt. Über dem festen Bohlengefüge spannte sich die Decke von Leder, die gejochten Rinder brüllten, Frauen und Kinder trieben das Herdenvieh hinter dem Wagen zusammen, und große Hunde, die treuen Begleiter der Fahrt, umbellten das Fuhrwerk. Die Geschlechtsgenossen und Nachbarn trugen zum Abschied herzu, was als Reisekost diente oder ein Andenken an die Heimat sein konnte. Durchaus nicht fröhlich war der Abschied, auch dem mutigen Mann bangte heimlich vor der Zukunft. War das neue Land auch nicht endlos weit, fast allen war es unbekannt, und unsicher war, ob die Götter der Heimat auch dort Schutz gewährten und ob nicht schädliche Würmer und Elbe Vieh und Saat zerstören wollten oder feindliche Männer die Höfe abbrennen. Auch die Kinder fühlten das Grauen, sie saßen still auf den Säcken, und die Kleinen weinten, obgleich die Eltern ihnen Haupt und Hals mit heilkräftigem Kraut umkränzt hatten, das den Göttern lieb ist. Mit der aufgehenden Sonne erhoben sich die Fahrenden, der älteste ihres Geschlechts oder eine weise Mutter sprach ihnen den Reisesegen, und alle flehten murmelnd um gutes Glück und bannten durch Zauberspruch die schädlichen Waldtiere und schweifende Räuber. Die anderen Dorfleute aber, welche daheim blieben, blickten scheu auf die Wanderer wie auf verlorene Menschen, unheimlich dünkten ihnen die Frevler, welche sich von dem Segen der Heimat lösten. Denn immer zog es die Landgenossen mächtig nach der Ferne, und doch graute ihnen immer vor einem Leben fern von den Heiligtümern, von Sitte und Recht der Heimat.

      Die Wagen bewegten sich knarrend zu den Bergen, von der Höhe sahen die Wanderer noch einmal nach dem Dorf ihrer Väter zurück und neigten sich grüßend gegen die unsichtbaren Gewalten der Flur; mancher unzufriedene Gesell warf auch einen Fluch zurück wider seine Feinde, die ihm die Heimaterde verleidet hatten. Dann nahm alle der Bergwald auf. Mühsam war die Fahrt auf steinigen Wegen, in welche das Schneewasser tiefe Furchen gerissen hatte, oft mußten die Männer von den Rossen steigen und mit Haue und Spaten die Bahn fahrbar machen, wild erscholl Ruf und Peitschenschlag der Treiber, die Knaben sprangen hinter den Wagen und hemmten den Rücklauf durch Steine, und doch zerrten die Zugtiere machtlos, bis ein Gespann dem anderen half oder Männer und Frauen die starken Schultern an die Räder stemmten. War die Reise wegsamer, dann umritten die Männer spähend den Zug mit gehobener Waffe, bereit zum Kampfe gegen Raubtiere oder rechtlose Waldläufer. Als die Wanderer aber nach der ersten Tagfahrt das einsame Waldtal erreichten, welches zur Versammlung bestimmt war, da wurde die Mühe des Tages über der Freude vergessen, Landsleute in der Wildnis vor sich zu sehen; hell jauchzten die Kommenden von der Höhe, und die Lagernden antworteten mit gleichem Ruf, auch solche, die sich sonst wenig gekannt, begrüßten einander wie Brüder. Die Männer traten zuhauf, und Baldhard, ein meßkundiger Mann, bezeichnete den Lagerraum mit Stäben. Dort wurden die Zugtiere abgeschirrt, die Wagen zu einer Burg zusammengestoßen und im Ringe herum die Nachtfeuer auf zusammengetragenen Steinen entzündet. Während die Haustiere weideten, von bewaffneten Jünglingen und von den Hunden gehütet, bereiteten die Frauen die Abendkost; die Männer aber schlugen aus Stangenholz den nächtlichen Pferch für die Herde, verteilten die Wachen und holten aus den Wagen, was sie von kräftigem Trunk mitgebracht hatten; dann lagerten sie und sprachen bedächtig von dem guten Weideland, das sie am Idisbach hofften, und von dem endlosen Wald im Süden der Berge, wie steinig der Baugrund, wie steil die Gelände und wie darum dies Bergland spärlich bewohnt sei. Als das Mahl beendet war, wurden die wertvollsten Rosse und Rinder im Wagenringe gesammelt und die schlaftrunkenen Kinder unter dem Lederdach geborgen. Nach ihnen stiegen die Frauen in das enge Gemach, nur die Männer saßen noch eine Weile beim Trinkhorn gesellt, bis auch ihnen die Augen schwer wurden und die kalte Nachtluft ihre Fröhlichkeit hemmte. Da hüllten sie sich in Pelze und Decken und legten sich an die Feuer oder unter die Wagen. Es wurde stiller, nur der Wind blies von den Bergen, die Wächter umschritten den Wagenring und den Pferch und warfen zuweilen Holzscheite in die lodernden Feuer. Aber unablässig bellten die Hunde, denn aus der Ferne klang heiseres Geheul, und um den Flammenring trabten gleich Schatten im aufsteigenden Nebel die begehrlichen Raubtiere.

      In solcher Weise zogen die Wanderer drei Tage langsam durch den Bergwald, der Regen rann auf sie nieder, und der Wind trocknete ihnen die durchnäßten Kleider. Zuweilen hielten sie in den Tälern an Höfen ihrer Landsleute, dort trafen sie entweder wilde Gesellen, die durch den Kampf mit dem Walde gehärtet waren, oder ärmliche Siedler, welche über den rauhen Ackerboden klagten und auch den Reisenden das Herz schwer machten. Am vierten Morgen zogen sie bei dem hölzernen Turmgerüst vorüber, welches an der Landesmark der Thüringe gezimmert war; erstaunt sah der Wächter, der im Hofe daneben wohnte und sonst wenig um reisende Haufen zu sorgen hatte, auf die Fahrenden; diese aber riefen ihm laute Grüße zu, denn er war, obgleich nur ein einsamer Waldmann, der letzte ihres Volkes. Von da durchfuhren sie eine Stunde die Grenzwildnis; unfruchtbare Kieshöhen mit knorrigen Kiefern, wo niemals ein Siedler einen Hof gebaut hatte und selten der Schlag einer Axt erklungen war, denn unheimlich lag der Strich, und schädliche Geister fuhren, wie man sagte, die Grenze entlang, weil sie ausgeschlossen waren von dem Boden, den gute Volksgötter für die seßhaften Männer behüteten. Aber jenseit des Kieferwaldes sahen die Siedler von der Höhe freudig in ein weites Tal, das mit ansehnlichen Hügeln und dichtem Laubwald eingefaßt war. Dort zog sich in gewundenem Lauf der Idisbach durch die Wiesen, und am Fuß der Anhöhen lagen Höfe und geteiltes Ackerland. Lustig schien die Sonne über das helle Grün und das sprossende Laub, die Rosse schnoben, als sie die frische Talluft witterten, und die Rinder brüllten der Weide entgegen, die Wanderer aber hoben die Arme flehend zu der Göttin auf, welche über dem Tal waltete und die


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