Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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und vielleicht das Land, das er sich geraubt hat.«

      »Will er bekennen und den Werken des Teufels entsagen?« fragte Winfried.

      »Eher beißt ein Fuchs in der Falle sich den Schwanz ab; in ihm ist nicht mehr Frömmigkeit als in einer hohlen Nuß.«

      »Manche, die das Kreuz schlagen, sind ebenso leer«, versetzte Winfried. »Ist er ein kalter Heide, so mögen seine Kinder warme Christen werden. Jetzt aber sprich zu mir von einem anderen Mann, du kennst den Ingram, welchen die Heiden Ingraban nennen.«

      »Nicht viel Gutes habe ich von ihm genossen, er ist einer von den Feinden des Kreuzes; dort oben haust er auf der Stätte, die sie den Rabenhof nennen, denn die schwarzen Heidenvögel nisten in den Bäumen und krächzen unholde Lieder. Er aber ist voran bei allem Streit und hält die Herzen der Jugend in seiner Hand. Während jener Schlacht sah ich, wie seine Gesellen ihn verwundet aus dem Kampfe trugen; und sie meinen, wäre er im Vorkampf geritten bis zum Ende, dann hätten die Slawen nicht obgesiegt.«

      Winfried erhob sich und sah prüfend in die Ecken der Hütte. »Das Gesetz befiehlt, daß die Brüder zusammen hausen unter einem Dach, nicht ziemt mir, bei Fremden zu herbergen, wo ein Bruder sein Haus hat. Sorge mir hier ein Lager zu bereiten.«

      Erschrocken vernahm Memmo diesen Entschluß. »Gering ist die Hütte, ehrwürdiger Vater, und das Dach ist schadhaft, der Regen läuft hinein, übel steht es auch mit der Kost; doch ich meine nicht,« verbesserte er sich, »daß dir daran gelegen ist. Und dann, ehrwürdiger Vater, verzeih, die kleinen Vögel, die ich bisher hielt, singen laut und sie schmeißen zuweilen unverschämt. Herr, befiehlst du, daß ich die Vögel fliegen lasse? Im kalten Winter sind sie zu mir geflogen, manche sind im Frühjahr in die Lüfte geflattert, einige haben ihr Nest gebaut zwischen den Sparren, sie haben die zweite Brut ausgebracht, und manchmal, wenn ich kleinmütig war, hat ihr Gezirp mich gefreut. Peccavi,« fuhr er fast weinend fort, »es ist Sünde, sein Herz an eine Kreatur zu hängen, aber Vater, sie kommen immer wieder, wenn ich ihnen nicht den Hals umdrehe; vor allen der Stieglitz, er ist der schönste Vogel in diesem Lande.«

      Winfried hörte finster den Klagegesang des zuchtlosen Mönches. »Gib deinem Bruder nicht weniger gern die Nachtrast, als deinen Gespielen im Federkleid.«

      »Fruchtlos war die Arbeit an den Herzen der Menschen,« fuhr Memmo traurig fort, »eher noch behielten die Vögel das heilige Wort. Jedes Jahr fing ich junge Raben und Elstern, lehrte sie das Kyrie eleison und ließ sie wieder fliegen. Im lichten Gehölz hier kannst du zuweilen ihre Stimme hören, wenn sie die heiligen Worte singen. Auch an dem Ingram meinte ich manche Unbill zu rächen, die er mir zugefügt, und ich setzte ihm meine jungen Raben auf seine Bäume, damit sie unter den Heidenvögeln den Herrn anrufen sollten, aber die andern Raben fuhren grimmig gegen sie und rauften ihnen die Federn, weil den wilden unser Gesang widerwärtig war. Und sie kamen zu mir zurück. Aber auch diese, die ich gezähmt hatte, ließen ihre Tücke nicht, sie fraßen mir meine kleinen Gesellen, und seit dem letzten harten Winter sind die Kleinen allein bei mir geblieben. Verzeihe mir, ehrwürdiger Vater.«

      »Ich zürne dir nicht, mein Bruder,« versetzte Winfried, »da ich dich aussandte, wußte ich, daß du kein Säemann warst für steiniges Land, aber von freundlichem Herzen, und daß dich die Heiden hier, weil du wohlmeinend bist, vielleicht dulden würden. Wie ein Kundschafter, der in das gelobte Land gegangen ist, warst du mir. Jetzt bin ich selbst gekommen, dies Volk meinem Herrn zu unterwerfen.«

      Durch das geöffnete Tor führte Gottfried ein bepacktes Pferd in den Hof, er band das Tier an den Pfosten, hob den Ledersack ab und trug ihn in die Hütte. Ein warmer Strahl von Liebe und Sorge fiel aus den Augen Winfrieds auf ihn. »Was sagte der Führer, der so unfreundlich von uns schied?«

      »Kaum drang ich zu ihm,« klang die weiche Stimme des Mönches zurück, »die Knechte wiesen mich rauh fort, endlich bewegte meine Bitte doch einem das Herz, er führte mich an das Gehege, wo der Mann seine Rosse koppelte, gleich einem, der sie wegschaffen will. Ich sprach ihm deine Botschaft, er aber war ungeduldig zu hören: ›Nimmer hätte ich deinen Herrn geleitet, wäre ich seines Amtes kundig gewesen. Lohn für das Geleit begehre ich nicht, weder einen Armring noch Frankensilber; auch seine Dankbarkeit erfreut mich nicht, und guten Willen hat er von mir gar nicht zu erwarten, wenn er ihn in Zukunft fordern sollte.‹ So sprach er und stand vor mir wie Turnus, der finstere Held, von dem der Römer Virgilius meldet, daß er sich gegen den König Äneas erhebt.«

      »Dein König Äneas, mein Sohn,« versetzte Winfried lächelnd, »hat gegen den Wilden keine anderen Waffen, als die redliche Meinung, ihm und anderen zu nützen. Du aber bete, daß uns das gelinge.« Winfried trat zum Tisch, löste die Riemen des Leders, nahm eine Holzkapsel heraus und übergab den Sack feierlich dem Priester. »Hüte ihn wie das Licht deiner Augen, Meginhard, er birgt heilige Gebeine, dazu Gewänder und Gefäße für die Kirche, welche wir hier bauen werden.« Während Memmo mit großen Augen auf den Bischof und wieder auf den Behälter der Kostbarkeiten sah, gab Winfried dem Jüngling einen Wink und verließ mit ihm die Hütte.

      Mit starken Schritten eilte der Bischof dem Hügel zu, welcher sich vor dem Walde erhob, gefolgt von Gottfried, welcher das Roß führte. Auf der Höhe hielt Winfried an: »Schneller als ich meinte,« begann er mit bewegter Stimme, »ist die Stunde gekommen, wo ich dich auf rauhem Pfad zu den Heiden entsenden muß, du Kind meiner Schwester. Das Liebste will ich den Gefahren der Wildnis preisgeben, der Herr möge mir verzeihen, daß ich um den Boten in seinem Dienst ängstlich zage.«

      »Vertraue mir, mein Vater«, bat Gottfried.

      »Dem Sorben Ratiz sollst du Antwort sagen auf seine Frage an mich, du kennst die Frage und du kennst die Antwort.«

      »Ich kenne sie, Vater.«

      »Dem Heiden Ingram sollst du helfen, die Gefangenen zu lösen. Denn dich an diese Botschaft zu wagen, habe ich dem Himmelsherrn gelobt, als ich am Grabe des Franken kniete; aber jähzornig und unhold ist der Mann, den ich dir als Genossen werben will.« Winfried schritt wieder mit starken Schritten vorwärts, und hielt aufs neue: »Ich war ein Jüngling wie du, da trat ich einst in Angelland, unserer Heimat, an einen verfallenen Steinbau, den dort vor Jahrhunderten das Römervolk errichtet hatte. Denn in alter Zeit, bevor die Botschaft des Herrn zu den Landgenossen kam, waren die Völker gebändigt durch das große Reich der Römer, und fast überall hatten diese sich feste Burgen geschanzt. Damals sah ich, wie Krieger meines Stammes in den Steinen einen Haufen Weiber und Kinder zusammentrieben, die sie aus den Nachbardörfern geraubt hatten. Ich hörte die Peitschenschläge und das Gewimmer, und ich sah die Schwertstreiche, womit die Waffenlosen geschlachtet wurden; ich aber lag eine Höllennacht auf dem Römersteine.

      »Denn die Mörder und die Gemordeten, beide rühmten sich Christen zu sein. Und ich erkannte mit Entsetzen, daß auch die Gotteslehre auf Erden ihre heilbringende Kraft verlor. Überall haderten die Bischöfe gegeneinander, einer schalt den anderen Irrlehrer, schlug ihn in das Angesicht oder zückte das Messer gegen ihn, aber kaum einer tat nach dem Gebot des Herrn; und wie die Hirten, so waren auch die Herden völlig verdorben, jede Sünde und Unzucht sah ich in geiler Blüte, die Heiden oft redlicher als die Christen. Ich meinte, daß ich wahnwitzig werden könnte über solche Erdennot, und ich flehte zu dem Himmelsherrn, dem ich mich gelobt hatte, um Rettung für die Menschheit aus unserem Elend. Da kam in mich die Botschaft des Heils, wie eine Feuerflamme fuhr sie mir durch die Glieder, daß ich in Schreck und Seligkeit hoch aufsprang. Denn mir wurde offenbart, was dem Menschenvolk Rettung bringt, eine neue Zucht für die Zuchtlosen und neue Vereinigung für die Verfeindeten. Geschwunden ist die Herrschaft der Römer, aber zu Rom wohnt jetzt der fromme Nachfolger der Apostel. Er soll werden zu einem oberen Richter aller Herzen und Gewissen, und soll auf der Erde walten als der große Häuptling des Himmelskönigs. Wir aber sollen ihm alle ebenso im Glauben dienen, wie den Königen und Häuptlingen in weltlichen Werken. Und mein ist das Amt, die Völker der Erde zu seinem Dienst zu führen, Friesen, Sachsen, Hessen, Thüringe, und wenn mir der Herr gnädig ist, auch die wilden Horden, welche sich Wenden nennen. Den Frieden meines Gottes will ich allen bringen. Damit der Glaube für die Völker der Erde heilkräftig werde, will ich sie lehren, daß ein einiger Gott über ihnen waltet, ein großer Wirt in der Himmelsburg, und hier auf Erden als sein Vogt der Bischof zu Rom, ehrwürdig und gewaltig über alle. Einheit der Lehre soll auf Erden sein, und Einheit


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