Die Ahnen. Gustav Freytag
auf dem Herde, aber niemand kümmerte sich darum, bis die Flamme sich senkte und das Wasser schwieg. Dunkler wurde es im Raum, die verglühenden Kohlen warfen ein schwaches Dämmerlicht, und von der anderen Seite fiel matter Sternenschein durch die Fensteröffnung, aber immer noch lag der Priester am Boden, nur schwere Seufzer und das Summen feierlicher Gebete wurden gehört, dann die scharfen Schläge der Geißel und leises Stöhnen. So ging es fort bis in die Nacht. Und als das Sternenlicht in dem Grau des neuen Tages verging, lag Memmo immer noch mit dem Antlitz am Boden, die Arme in Kreuzesform ausgestreckt, und neben ihm kniete der Fremde, und die tiefen Töne seiner Stimme klangen feierlich über dem Schluchzen des Liegenden.
Winfried öffnete die Tür, das erste Morgenlicht drang in den dämmrigen Raum, am Zauntor stand der junge Gottfried und neigte sich schweigend vor dem Lehrer, denn noch war die Tagstunde nicht gekommen, wo ein Bruder sprechen durfte. »Ich meinte dich wohlgeborgen auf dem Lager des Gastfreunds«, sagte der Fremde und winkte ihm die Erlaubnis zu reden.
»Verzeih, mein Vater, mich trieb die Sorge um dich hierher.«
»Dort drinnen liegt einer, der gefallen ist. Weile bei ihm, damit er dein Angesicht schaue, wenn er sein Haupt erhebt, und stütze seine wankenden Schritte«, und leise fügte er hinzu: »Wie einen Hänfling, der dem Bauer entflogen war, habe ich ihn eingefangen und unruhig wird seine Seele flattern. Hilf ihm, obwohl er älter ist, daß er sich der Zucht wieder gewöhne, und gib ihm nach, soweit du darfst. Denn ungeschickt wäre es, dem Verwilderten allen Trost zu nehmen.«
Der Fremde schritt dem Dorfe zu, wo sich‘s in den Häusern rührte, der junge Mönch setzte sich leise neben den Büßenden; nicht lange und dieser schauerte zusammen, hob vorsichtig das Haupt und sah erstaunt statt des furchtbaren Bischofs einen Jüngling neben sich, in dessen hellem Antlitz warmes Mitleid leuchtete. »Visio venit, ein Friedensbote erscheint«, murmelte er erschrocken und fiel auf das Gesicht zurück, um es nach einer Weile wieder zu erheben. »Ich fühle warmen Atem über meinem Haupt, bist du einer von uns, so sprich.«
»Gottfried heiße ich, mein Vater, und bin dein Bruder und Diener.«
»Er ist fort«, seufzte Memmo, sich furchtsam umschauend, und fühlte mit der Hand nach seinem wunden Rücken. Mühsam setzte er sich auf und faßte den Kopf mit beiden Händen. »Gänzlich bin ich verwandelt, die Schüssel mit dem Huhn warf er aus dem Fenster und Frau Godelind,« – er bekreuzigte sich – »hinweg, du Teufel. Schwer bin ich versucht worden, mein Sohn, unter den Heiden, zwischen Pferdeköpfen und Roßfleisch habe ich gesessen, und wenn sie im Mai den Reigen tanzten, forderten sie, daß ich mit Frau« – er bekreuzigte sich wieder. »Sicher ist der Bischof ein heiliger Mann, menschlicher Schwachheit völlig enthoben. Auch du kennst die Regel, mein Bruder, obwohl du jung bist.«
Gottfried nickte freundlich.
»Dann weißt du auch, mein Sohn, daß den Getreuen nach der Pönitenz gestattet ist, die heißen Lippen anzufeuchten, aqua cum aceto, durch Wasser mit Essig. Essig fehlt in diesem Lande, aber«, fuhr er überredend fort, »dort steht an seiner Statt ein Rest Dünnbier, es ist Wasser genug darin, ich bitte dich, reiche mir den Krug.«
Gottfried holte bereitwillig den Trunk, der erschöpfte Mann tat einen tiefen Zug, hielt darauf den Krug in seinen gefalteten Händen und begann wehmütig sein Morgengebet. Gottfried sprach die Worte mit, dann schüttelte er in der Ecke das Stroh zum Lager zurecht, geleitete den Wunden zur Ruhestätte und sprach ihm leise Gebete vor, bis der Vater entschlief.
Als Winfried am späten Morgen zu dem Mönch zurückkehrte, fand er ihn mutiger auf seinem Stuhl sitzen. Gottfried hatte die Zelle gesäubert, einen kleinen Altar aufgerichtet und mit Fichtenzweigen und wohlriechendem Quendel umhangen. Da der Bischof eintrat, machte Memmo einen Versuch, sich zu erheben, Winfried aber drückte ihn sanft in den Stuhl zurück.
»Nicht als Arzt komme ich in dieser Stunde, der seinen Kranken zum Heilmittel nötigt, als dein alter Geselle setze ich mich zu dir, und ist dir‘s nicht zu beschwerlich, so bitte ich dich, mein Bruder, daß du mir wahrhaft verkündest, was du in diesem Volke Schweres geduldet hast, denn wahrlich nicht leicht war das Amt, das dir befohlen war, und ich finde dich nicht in fröhlicher Arbeit.«
»Gar nichts Günstiges kann ich dir sagen, ehrwürdiger Vater,« begann Memmo kleinlaut, »fünf Jahre habe ich hausgehalten unter diesem Geschlecht, wie Daniel in der Löwengrube; verhärtet sind ihre Herzen und trotzig ihr Mut, und der Beste unter ihnen hat Stunden, wo er sich gebärdet wie der üble Teufel aus der Hölle. Wenige gibt es, die da glauben, und sie glauben nur, wenn ihnen ein Bein verrenkt ist oder der böse Geist des Fiebers sie schüttelt, dann senden sie zu mir, daß ich vor ihnen bete, und schlagen emsig das Kreuz; den nächsten Tag aber schicken sie zu der Heidenfrau, welche Zauberkünste übt, und machen wieder das Hammerzeichen über ihren Leib. Sie fragen oft, ob unser Gott ihnen Sieg schaffen kann gegen die Slawen und Sachsen, dann möchten sie es wohl mit ihm versuchen. Er soll sich ihnen geloben wie ein Diener, aber sie wollen ihm nicht dasselbe tun.«
»Du kennst die Christen dieser Landschaft?« fragte Winfried ungeduldig, »denn dazu bist du hergesandt, wie die Schwalben ihre Boten voraussenden.«
»Wohl meine ich, daß ich sie kenne, soweit das Land reicht von der Saale bis zur Werra«, versetzte Memmo. »Und ich schrieb dir nach deinem Gebot die Namen einiger, welche Ansehen haben, und noch die treuesten sind. Von Priestern aber bin ich das einzige Lamm unter bellenden Wölfen. Denn andere gibt es noch, die sich Christenpriester nennen, aber sie sind reine Teufelsbraten, sie halten sich mehr als ein Weib, sie sitzen mit den Heiden beim Opferschmause, und die Pferdehäupter hängen neben ihren Kreuzen, sie wollen auch nichts wissen von unserem großen Vater in Rom. Vor alter Zeit ist diese Art ins Land gekommen, sie malen mit Farbe Zeichen in ihre Haut.«
»Schottische Wildkatzen«, rief Winfried zornig.
»Viel habe ich hier erduldet durch Schläge und durch Hohnreden«, fuhr Meginhard fort. »Das Ärgste aber geschah mir im letzten Jahr, als die Wenden ins Land fielen. Die Thüringe stellten sich ihnen entgegen unweit der Saale, und sie bedräuten mich und forderten von mir, da ich ihr Gast sei und ihren Frieden genieße, daß ich mit ihnen ziehe und als ein unkriegerischer Mann neben ihrer Schar auf dem Hügel stehe und Sieg für sie herabbete. Sie zogen mich fort und stellten mich auf, aber die Wenden wurden ihrer mächtig, erschlugen einen Haufen, brachen in die Dörfer, zündeten an und führten die Weiber und Kinder hinweg in Knechtschaft; auch mich fingen sie, mit Weiden wurde ich gebunden, und sie trieben uns wie eine Herde Schafe ostwärts in die Sklaverei. Jämmerlich war die Reise unter Heidenweibern und weinenden Kindern, wer niedersank und nicht mehr aufzustehen vermochte, der erhielt einen Keulenschlag und lag am Wege. Spärlich war auch die Reisekost, gleich Ebern bot man uns Brei im Troge. Zwei Tage und Nächte wanderten wir so den Angstpfad, bis wir die Dörfer der Wenden erblickten und die Stangen, an denen die Banner ihrer Häuptlinge hingen. Dort teilten sie uns in die Dörfer, ich aber mit einem Haufen wurde dem Sorben Ratiz zuteil, dem greulichen Manne, der sich diesseit der Saale seine Ringburg geschanzt hat. Die Heiden hielten ein großes Gelage, mich aber bestimmten sie zu jämmerlichem Tode, weil sie mein geschorenes Haupt sahen, und die Teufel spuckten mir auf den Scheitel. Gebunden lag ich und hoffnungslos, da trat Herr Ratiz in den Stall und fragte mich durch einen Mann, der ihn begleitete, von welchem Stamm und Männergeschlecht ich sei. Ich aber sagte ihm, daß ich ein Mönch sei und du der ehrwürdige Vater, dem ich mich gelobt habe zur Reise unter die Thüringe. Da erweichte der Herr sein Herz, daß er meine Bande lösen ließ und durch seinen Begleiter mir mit großer Heimlichkeit offenbarte, er wünsche Boten zu senden an den Gebieter der Franken im Westen und er wisse, daß du ein mächtiger und friedfertiger Mann seist und wohl ein Fürsprech werden könnest für sein Begehren. Und der verschlagene Wolf, der satt war von dem Morde in unserem Schafstall, behauptete, daß auch er den Frieden liebe; die Grenzgrafen der Franken aber seien räuberisch und blutdürstig. Und ich mußte ihm geloben, diese Botschaft dir zu bringen, so schnell ich könnte. So wurde ich erledigt, gespeist und gekleidet und bis in die Nähe unserer Dörfer geführt. Wie ich dir auch sogleich verkündet habe in meinem Briefe, den Hunibald, der Franke, auf seiner Fahrt nach Westen mit sich nahm.«
»Was du geschrieben hast, habe ich gelesen«, versetzte Winfried. »Unterdes ist der Wolf wieder hungrig geworden und aufs neue in das Land der Franken gebrochen. Hast du erkundet, was er vom Herrn Karl, der über