Die Falkner vom Falkenhof. Zweiter Band.. von Adlersfeld-Ballestrem Eufemia
zaghaft, zu Falkner emporsehend.
»Gewiß,« sagte dieser. »Dort unten habe ich sogar Repräsentationspflichten und größere Rechte, als meine Cousine, die Lehnsherrin!«
»Ein bitterer und grausiger Humor,« meinte Dolores ernst und gelassen.
»Ich schließe mich gleichfalls an,« erklärte Doktor Ruß sehr zum Mißfallen seiner Frau, und die Vier betraten die Kapelle, gefolgt von Ramo, der eine Stocklaterne entzündet hatte und mit derselben leuchtete.
Im Kapellenraum brannte hinter rotem Glase eine ewige Lampe, deren herrliche Form in schwerem Silber von der Decke herabhing. Der Altar, darin an bestimmten Tagen ein Priester Seelenmessen las für die ewige Ruhe der hier beigesetzten Falkner, war reich und prächtig bestellt – fromme Gaben Hinterbliebener, welche all diese gold- und silberstrotzenden Antependien, Leuchter, Vasen, Evangelien- und Episteltafeln als Opfer niedergelegt hatten für die dahingeschiedenen Geliebten.
Dolores, Falkner und Ramo neigten sich bekreuzend vor dem geschlossenen Tabernakel – dann öffneten sie ein Gitter, das eine steile aber breite Treppe abschloß und sie schritten, Ramo voran, dieselbe herab, hinter der Prinzeß, welche nur zaghaft den ihr zukommenden Vortritt nahm. Die Treppe mündete in einen hallenartigen Keller, in dessen gewölbten Nischen Särge standen von allen Größen, viele bedeckt mit verdorrten Kränzen.
»Hu, wie schrecklich!« flüsterte die Prinzeß halb weinend.
»Das sind neuere Generationen,« erklärte Falkner. »Die eigentliche Gruft liegt hinter jener Thür, und dieser Raum wurde ehedem als Kapelle benutzt, ehe es da drinnen zu enge wurde und man die Vorhalle droben als Kapelle einrichten mußte. Tempus fugit,« setzte er bedeutungsvoll hinzu.
»Tempus fugit,« wiederholte Doktor Ruß. »Künftige Geschlechter werden sich eine neue Stätte für ihren letzten Schlaf errichten müssen.«
»Es ist noch Platz hier für die beiden letzten Falkner,« erwiderte Dolores, seltsam bewegt. »Die Nischen sind gefüllt – hier aber, mitten im Raum, sind zwei aufgemauerte Postamente für die Särge, und hier trifft sie früh die Morgensonne durch das Gitterfenster, und frei kann die Waldluft sie umwehen. Es sind die besten Plätze, und niemand kann sie ›dem letzten Falkenpaare‹ wehren, denn wenn der letzte hinabgetragen ist, dann wird die Thür oben zugemauert, und die ewige Lampe erlischt –«
»Wer aber wird das letzte Falkenpaar sein?« fragte Prinzeß Lolo beklommen, und als niemand antwortete, stieß sie einen leisen Schrei aus. »Sie beiden?« flüsterte sie scheu, auf Alfred und Dolores deutend.
»Wer weiß es?« sagte ersterer und schritt der verschlossenen Thür zu, sie zu öffnen, während Dolores die prophetischen Worte der Ahnfrau einfielen:
Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,
Dann wird der Stamm erlöschen und verschwinden.
»Verschwinden,« schien das Echo zu sagen, welches das gedachte Wort gar nicht erweckt hatte.
Der Raum, den sie jetzt betraten, war bedeutend kleiner, und die feuchte Grabesluft des großen Gruftgewölbes fehlte ihm, denn die Wände waren mit Blei bedeckt, von dessen blinden Flächen noch schwarze Tuchfetzen herabhingen, mit denen die Wände ehedem zum »pompe funèbre« behangen waren.
»Der Luxus unserer Vorväter hatte dieselben mehr konserviert als es jede Einbalsamierung thun konnte,« sagte Doktor Ruß, indem er auf die Bleiwände deutete. »Deshalb können wir auch heute noch beurteilen, ob der Maler der ›bösen Freifrau‹ geschmeichelt hat oder nicht.«
Er winkte Ramo, und dieser beleuchtete drei nebeneinander stehende reichbeschlagene, mit Samt bekleidete Prachtsärge, auf deren mittelsten eine Tafel angebracht war zu Füßen des Kruzifixes, auf welcher man deutlich den Namen: »Dolorosa, Freifrau von Falknerin« lesen konnte. Doktor Ruß und Falkner faßten den Deckel bei den Handhaben, hoben ihn herab und enthüllten einen zweiten Bleisarg, der in dem Prunksarg eingelassen war. Auch dessen Deckel wich und Dolores sah mit einem Ausruf höchster Überraschung eine Gestalt in dem Sarge liegen, von deren Haupt das Haar zwar glanzlos, aber genau so kupferrot leuchtete, wie auf dem ihren, und näher tretend konnte sie die von der Zeit zwar vergilbten, aber wunderbar erhaltenen Züge der »bösen Freifrau« erkennen, wie sie hier so friedlich zu schlafen schien im silbergestickten, weißen Damastkleide, das sich über einem goldgestickten, mattgrünen Unterkleide von Atlas öffnete. Die schmalen, schlanken Hände, welche aus den übergeschlagenen Spitzenmanschetten der hochgepufften Ärmel hervorragten und nun wie vergilbtes Elfenbein aussahen, waren über der Brust gefaltet, welche ein tiefer Ausschnitt des Kleides halb entblößte, der feingestickte, spitzenbesetzte mächtige Kragen aber leicht bedeckte. Um den Hals lag ein dünnes Goldkettlein, die rotgoldenen Haare waren dicht gekräuselt und in den leichten Federlöckchen lag im seltsamen Gegensatze zu dem grünen Unterkleide, eine spitze, lange, schwarze Witwenschneppe.
Mächtig erschüttert sah Dolores auf die Ahne herab, deren Züge sie trug, diese Züge, auf denen die Bleibekleidung der Wände und der bleierne Sarg dies Wunder der Erhaltung ihrer irdischen Reste bewirkt – sie hatte unwillkürlich die Hände gefaltet, und ihre Augen wurden feucht, als sie den Körper der Unglücklichen vor sich sah, die im Leben so heiß geliebt, so schwer gelitten hatte –
Da tönte ein gellender Schrei durch die stille Gruft –
»Die Augen – sie hat die Augen aufgemacht –« kam es in Tönen des Entsetzens von Prinzeß Lolos Lippen, und die Arme wild emporgereckt, die Augen stier und die Lippen blaß, flog sie auf Falkner zu und brach zu seinen Füßen zusammen.
»Das ist die Folge, wenn Backfische das Gruseln lernen wollen,« murmelte Doktor Ruß vor sich hin, während Dolores sagte:
»Schnell – schaffen Sie sie hinauf, Alfred! Das arme Kind kann Krämpfe davon tragen von ihrer Angst –«
Falkner hatte sich schon gebückt und hob die Prinzeß empor, welche krampfhaft schluchzend die Arme um seinen Hals schlang und das blonde Köpfchen an seine Wange drückte wie ein kleines Kind, das man mit dem schwarzen Mann in Schrecken gejagt. Der gellende Schrei hatte auch die vor der Kapelle Zurückgebliebenen aufgeschreckt.
»Das war Lolo –! O, ich dachte es wohl!« rief Prinzeß Alexandra und trat in die Kapelle. Doch da erschien schon Falkner oben an der Treppe mit seiner Bürde, die sich schluchzend fest an seinen Hals klammerte.
»Sie wird sich in der frischen Luft bald erholen,« sagte er auf den fragenden Blick der älteren Schwester.
Aber Prinzeß Lolo erholte sich nicht so schnell. Sie war von Falkners Halse nicht loszureißen und weinte Ströme von Thränen.
»Sie hat die Augen aufgemacht und mir gewinkt,« schluchzte sie, »aber ich will nicht sterben, Alfred, ich lasse dich nicht – laß du mich auch nicht – du bist mir gut – nicht wahr? Laß mich nicht sterben – nicht sterben – nicht sterben!«
Jetzt riß dem Erbprinzen die Geduld.
»Eleonore!« sagte er streng und scharf, daß das Schluchzen sofort nachließ, wie oft bei grundlos weinenden Kindern. »Eleonore, was soll das? Schäme dich!«
Langsam lösten sich die runden, weichen Arme von Falkners Hals, aber das verweinte Gesichtchen blieb an seine Brust gelehnt, bis der Herzog hinzutrat und, seine Tochter an der Hand fassend, diese hinwegzog.
»Fräulein von Drusen,« sagte er, »haben Sie die Güte, die Prinzeß nach Hause zu begleiten und dort zu Bett bringen zu lassen!«
»Papa!« schrie sie empört auf.
»Du weißt, ich liebe Scenen nicht,« entgegnete der Herzog ärgerlich. »Außerdem wünsche ich nicht, mir den schönen Abend weiter zu verderben. – Sie werden uns nämlich noch nicht los,« wandte er sich an Dolores, »denn Sie haben uns ein Lied versprochen.«
»Und ich hoffe, meine Schuld mit Zinsen einlösen zu können, Hoheit,« erwiderte Dolores liebenswürdig, und nur ein feiner Kenner hätte in ihrer Stimme ein leises Schwanken wahrnehmen können. Und so ging es die Allee zurück nach dem Falkenhof – fast in der alten Ordnung – Dolores voran mit dem Herzog, Ruß mit Fräulein von Drusen, der Kammerherr mit Frau Ruß, welche leichenblaß war