Stille Helden. Boy-Ed Ida
Körper schwer von Blei und alles in ihr gekettet und unbeweglich, saß sie und wollte denken.
Ein qualvoller Druck legte sich über ihr Gemüt. Eine dumpfe Empfindung: das Schicksal hatte so viele gütige Gaben für sie gehabt – das Schicksal schenkt nicht, ohne eines Tages die Gegengabe zu fordern. –
Sie sagte sich: »Ich muß!«
Mit mühsamen Schritten stieg sie hinauf, schleppte sich durch die regennassen Straßen und kam nach Haus.
Da war die Doktorin Lamprecht, mit vielen eiligen, unerschöpflichen Gesprächen und voll Ausrufen: wie sah Klara aus! Und ohne Schirm! Ohne Mütze! Und leichenblaß! Klara hatte Ausreden. –
Bei Tisch kehrten ihre Farben wieder. »Na gottlob!« sagte die alte Frau, von rasch emporgekommenen Sorgen ebenso flink befreit, und nötigte Klara noch mehr warme Suppe auf.
Sie verstand sich plötzlich selbst nicht – diese wahnwitzige Aufregung … wie konnte sie das so umwerfen …
Ihr wurde wohler; das Gefühl der Ohnmacht schwand. Sie konnte klar nachdenken und sich sogar beherrscht die Maske der Alltagsstimmung vornehmen, bis sie allein in ihrem Zimmer war.
Ihr Kleid war feucht. Sie wechselte es. Ihr Haar war zerzaust. Sie ordnete es.
Und sie dachte nun endlich auch an den Mann – stellte ihn förmlich vor sich hin.
Weshalb wollte er sie heiraten? Sein Vater war doch kein Tyrann, trotz seines Herrscherwesens. Wenn Wynfried seinem Wunsch ein kräftiges »Nein« entgegengesetzt hätte, würde dieser Wunsch verstummt sein.
Klara hatte eine dunkle Erkenntnis davon, daß Wynfried zu matt zu einem starken Nein sein mochte.
Vielleicht dachte er, wie sein Vater: daß eine Heirat nun für ihn Trost, Neuland, Lebenszweck bedeute.
Der alte Herr hatte in den letzten beiden Wochen wiederholt dergleichen ausgesprochen. Erst jetzt fiel es Klara auf, daß er sie immer voll Bedeutung dabei angesehen. Sie war so arglos gewesen. – Wie hatte sie eine so schwindelerregende Schicksalswendung für sich erahnen können!
Sie fragte sich, immer ruhiger werdend: »Ist er mir unangenehm?«
Nein! Gewiß nicht. Nichts an seiner Erscheinung konnte ästhetisch abstoßen. Sein Vater hatte manchmal grimmig gesagt: die Weiber sind zu toll hinter ihm hergewesen. Vielleicht war er sehr geliebt und umworben gewesen. –
Aber er hatte Schlimmes erfahren. Ein Weib, dem er jahrelang in rasender Leidenschaft angehangen, hatte ihn verraten.
Mehr wußte Klara nicht. Das stimmte sie vom ersten Augenblick an mitleidig – machte ihn ihr ein wenig interessant, wie es für jede Frau der Mann ist, von dem sie weiß: er hat geliebt und gelitten.
Vielleicht konnte sie seinem Leben wieder Frische und allmählich wieder Freudigkeit bringen. – Sie konnte das Ihre tun, in ihm die Liebe zum Werk, das Verständnis für seines Vaters Lebensarbeit zu erwecken – Sie sah wohl: noch war das alles tot in ihm. –
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