Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner

Reise durch den Stillen Ozean - Max  Buchner


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Klagen über das Essen kamen, keiner hatte Appetit. Friedlich und einträchtig lagen sie neben einander in ihren Kojen und leisteten Neptun wetteifernd die üblichen Opfer.

      Wind und See kamen von Norden, wir lagen mit kleinen Segeln bei und steuerten Westnordwest, so dass wir rechnen konnten, nach West oder Südwest in der Richtung von Dover abzutreiben und somit nichts zu verlieren. Gegen Abend klarte der Himmel auf, und der Sturm legte sich etwas, es wurden mehr Segel gesetzt und Kurs gesteuert.

      Eben hatte uns der seekranke, bleiche und knieschlotternde Kajütsjunge, den der Proviantmeister durch die bei Seeleuten so beliebte Prügelkur zu heilen beflissen war, den Thee kredenzt, als der wachehabende Bootsmann eintrat und den Kapitän frug, ob er nicht die Untersegel festmachen dürfe, da der Wind wieder stärker zu blasen anfing, und noch war der Bescheid darauf nicht gegeben, als ein Pfeifen und Heulen, ein Brüllen und Tosen durch das Takelwerk schwirrte, wie wenn ein Heer Dämonen plötzlich losgelassen wäre auf unser armes Schiff, welches in seinen Grundfesten erbebte und sich jäh auf die Seite legte. Bootsmann und Kapitän eilten zur Thüre hinaus, und ich folgte ihnen.

      Der Athem versagte mir, als ich, mich anklammernd, draussen stand. Noch nie hatte ich die Gewalt eines ähnlichen Orkanes empfunden. Es war, als ob Haare, Nase und Ohren weggeweht werden sollten. Gegen die Windrichtung zu blicken war unmöglich, fliegender Wasserstaub verletzte stechend Gesicht und Augen. Nur mit Hilfe der Hände konnte man sich gegen die heranstürzenden Luftmassen vorwärtsziehen.

      Vergebens schrie der Kapitän mit der vollen Kraft seiner höchst respektablen Lungen, dass alle Segel festgemacht werden sollten. Fünf Schritte von ihm entfernt war seine Stimme nicht mehr zu hören, und die Segel zerrissen in Fetzen, donnernd gegen die Masten und Riggen schlagend, oder flogen mit einem Krach hinaus in die See, platt wie eine Wand, ohne im Flug ihre gespannte Form zu verlieren. Alle Matrosen, der Steuermann, der Bootsmann, der Proviantmeister und der Koch gingen nach oben, aber jeder hatte genug zu thun, sich zu halten und nicht wegschleudern zu lassen. Ich selbst stellte mich unter das Kommando eines Passagiers, der früher Seemann gewesen, und zog mit ihm und einigen anderen jungen Männern, welche die Angst zur Arbeit antrieb, an den Brassen, um die Raaen der Richtung des Windes parallel zu drehen. Trotz aller Anstrengungen blieben die Fetzen der Segel lose und peitschten donnernd weiter.

      Erschüttert stand ich hinten, betrachtete schaudernd den wüthenden Kampf der Elemente und überlegte die Möglichkeit des Ertrinkens. Ich hatte schon oft versucht, meine Phantasie mit diesem Gedanken zu üben. Bei schönem Wetter und während des Tages war es mir nie gelungen, ihn schreckhaft zu finden. Jetzt aber, im Geheule des nächtlichen Sturmes, bei dem ringsum herrschenden Dunkel, in welchem die hoch sich thürmenden schäumenden Wogen gespenstig leuchtend auf und nieder gaukelten, erfüllte mich die Vorstellung, über Bord zu fallen und von dem kochenden Gischt verschlungen zu werden, mit Entsetzen. Wenn jetzt ein anderes Schiff uns entgegenkam, unter der Gewalt des Orkanes ebenso wenig freier Herr seiner Bewegungen wie wir, keine Möglichkeit auszuweichen, es wäre unser Aller Ende gewesen. Ein dröhnender Krach, ein vielhundertstimmiger Todesschrei, und die tosenden Wogen schlugen über uns zusammen, wie über so viele andere vor uns.

      Der so plötzlich und unvorhergesehen hereingebrochene Orkan schien womöglich noch heftiger werden zu wollen und nicht eben so rasch wie er gekommen vorüberzugehen. Die See stieg immer höher, und die Euphrosyne bäumte sich in einer Besorgniss erregenden Weise. Die neu eingesetzten Masten fielen, durch die schlechtgespannten Wanten und Pardunen nur locker gehalten, von einer Seite zur anderen, und man konnte deutlich sehen, wie jene Riggen abwechselnd rechts und links sich strammten und erschlafften. Dass wir die Masten behielten, dass sie nicht brachen, war nicht das Verdienst der liederlichen Arbeit der Takler, sondern ein reines Glück.

      Zwei Mann standen am Steuerrad und konnten es kaum bändigen. Mehr als einmal wurde der eine von ihnen in die Höhe gehoben und war in Gefahr kopfüber wegzufliegen, vielleicht über das niedrige Geländer in die See hinab, was schon oft genug geschehen ist.

      Sowohl Neugierde als auch die Absicht Trost zu spenden führten mich ins Familienkompartment des Zwischendecks hinab. Vorsichtig durch die Finsterniss den heftigen Bewegungen des nassen, schlüpfrigen Bodens entgegen von einem Stützpunkt zum anderen springend gewann ich die nächste Lücke, um hinabzusteigen. Aber die Treppe fehlte, sie lag in Trümmern unten und kollerte im Verein mit sämmtlichen theils noch ganzen theils zerschlagenen Koffern und Kisten dem Rollen des Schiffes entsprechend hin und her. Mit Hilfe eines Taues, welches mich pendelförmig von einer Seite zur anderen schleuderte, gelang es mir, mein Ziel zu erreichen.

      Was ich hier unten sah und hörte, liess Alles hinter sich, was ich bisher in zahlreichen Sturmnächten auf Postdampfern gesehen und gehört. Nur wenige Laternen brannten noch, weil die meisten zerschellt waren. Das Knarren der Balken und der Lärm der hin- und hergeworfenen Gepäckstücke, das Rauschen der hin- und herfliessenden und zerspritzenden Wasserbäche, die durch die Lucken heruntergossen, die Gebete und Flüche, das Gejammer und Gewimmer der Menschen, jedesmal so oft eine grössere Sturzsee brüllend gegen das Schiff anprallte und auf das Deck schlug, zu einem grässlichen gemeinsamen Aufschrei sich steigernd, übertäubten den draussen wüthenden Kampf der Elemente. Sie glaubten hier alle, dass die Euphrosyne untergehen müsse, und dass das letzte Stündlein geschlagen habe. Die Schrecken des Todes hatten den Stumpfsinn der Seekrankheit durchbrochen, und statt der allgemeinen Gedrücktheit des vorhergegangenen Nachmittags herrschte wahnsinnige Aufregung. »Vater unser, der du bist« – »Oschdschje nasch ktury jeschtem w Niebie« – »Heilige Maria, bitt für uns« – »Fader vor, du, som er i Himmelen« – »denn Dein ist das Reich und die Herrlichkeit« tönte es in sinnverrückendem Chaos aus den höhlenartigen Familienkojen, in welchen Männer, Weiber und Kinder jeglichen Alters kreuz und quer durcheinander lagen und sich krampfhaft an einander festkrallten, ohne ein beständiges Auf- und Niederrutschen vermeiden zu können. Einige waren herausgepurzelt, krümmten sich weinend auf dem Boden, mit Beinen und Armen die sie attakirenden Kisten abwehrend, und wagten nicht, wieder aufzustehen.

      Da verfluchte laut ein Vater sich und die Auswanderungsagenten, das Schiff und Neuseeland, und was sonst noch mit der Seereise zusammenhing und betheuerte wiederholt, dass er gerne sterben würde, weil er es verdient, wenn nur seine Frau und seine drei Mädchen nicht wären, und sicher würde er auch die Haare sich ausgerauft haben, wenn er die Hände freigehabt hätte, mit denen er die Hüften der Gattin umklammert hielt. Dort schalt und schlug ein Anderer seinen zitternden Jungen, weil er die unaufhörlichen Vaterunser nicht schnell genug losliess und voller Verwirrung in das weniger wirksame »Ich glaube an Gott den Vater« gerieth. Erdfahl und entstellt tauchte ein langes Gesicht aus seiner Höhle bei meiner Annäherung und schien mich fragen zu wollen. Die Lippen bewegten sich, aber ich vernahm keine Stimme. Ein krampfhaftes Würgen und Schluchzen, ein Brecherguss, und die nächste anprallende Woge schleuderte das Gespenst in die Dunkelheit zurück.

      Eines der Familienhäupter machte mir den Eindruck, ganz besonders tröstenden Zuspruchs zu bedürfen, aber meine theilnehmenden Worte wurden keiner Antwort gewürdigt. Er hatte nicht Zeit, sich mit irdischen Reden zu befassen und unterbrach nicht eine Sekunde den Fluss der Thränen und der Ave Marias, welche er rastlos immer wieder von vorne begann und mit einer Zungenfertigkeit von sich stiess, dass seine sechs Kinder ihm nur nothdürftig folgen konnten und über ein Wort nach dem anderen stolperten.

      Die Anzahl der ruhigen und besonnenen Passagiere war eine sehr geringe. Am ernstesten und vernünftigsten betrugen sich die Dänen, am wahnsinnigsten und verzweifeltsten geberdeten sich die Polen. Erst nach längerem Suchen fand ich einige Männer, welche mir zu helfen fähig waren, die aus den Kojen Gefallenen aufzurichten und in Sicherheit zu bringen. Die Kisten festzumachen war unmöglich und musste bis zum Tageslicht verschoben werden.

      Bei den unverheiratheten Frauenzimmern sah es etwas besser aus als im Familienkompartment. Die Treppe nach dieser Abtheilung war noch erhalten, das nicht so zahlreiche Gepäck an seiner Stelle geblieben. Nur die Lampen waren in Stücke gegangen, und bis auf die trübe schimmernden Spalten der Bretterwand, jenseits welcher die Familien hausten, herrschte Dunkelheit in dem Raum. Gleich beim ersten Schritt vorwärts stiess mein Fuss auf ein weiches Hinderniss. Die Blendlaterne zeigte mir ein weibliches Gewand, dann ein Paar Beine und in entgegengesetzter Richtung ein bleiches Antlitz, und zwar das der schönen Amanda aus Kopenhagen. Der ganzen Länge nach lag sie hingestreckt auf dem Boden und umklammerte


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