Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner

Reise durch den Stillen Ozean - Max  Buchner


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steuern. Eine Stunde lang steuerten wir Süd, und eine Reihe von vier gewöhnlichen gelben Lichtern tauchte vor uns auf. »Das sind Fischerböte« sagte mir der Kapitän, als ich ihn darüber frug, ich merkte aber wohl, dass er dieser Behauptung nicht sicher war. Für Fischerböte standen die Lichter zu ruhig und waren auffallend gross und hell. Fischerböte mussten bei solcher See auf und nieder schwanken.

      Der Kapitän wurde unruhig und nervös. Unten in der Kajüte lag die Karte ausgebreitet auf dem Tisch, hastig mass und visirte er mit Zirkel und Lineal herum, stürzte auf Deck hinaus und sah mit dem Fernglas nach den immer näher kommenden Lichtern, stürzte wieder hinab und mass und visirte. Er murmelte Flüche, und der Schweiss tropfte ihm von der Stirn auf die Karte. Wir waren abermals in einer schlimmen Lage. Auf der einen Seite ein Licht wie von Goodwins Sand, auf der anderen mehrere Lichter, die der Küste des Kontinents angehören mussten, ringsum Riffe und Bänke auf der Karte verzeichnet. Jeden Augenblick konnten wir auffahren und scheitern.

      Wir kehrten wieder um und steuerten dahin, woher wir gekommen. Ein grosses Glück, dass wir raumen Wind hatten. Das Räthsel löste sich endlich. Das grüne Licht spaltete sich in zwei, es waren die beiden Lichter von Dover, die wir in einer Linie, eines vom anderen verdeckt, gesehen hatten. Jetzt wussten wir wieder, wo wir waren.

      Welcher schwere Stein fiel dem Kapitän vom Herzen. Er hatte seine Pflicht gethan und keinen Fehler begangen, der ihm zur Last gelegt werden durfte. Nur der Mangel einer Observation und die entschuldbare Verwechselung der beiden grünen Feuer hatte uns irregeführt. Wir brauchten uns nicht mehr vor Goodwins Sand zu fürchten und steuerten geradewegs auf Dover zu. Die vier Lichter waren die französische Küste bei Calais gewesen.

      Niemals betrachtete ich Dover mit seinen zwei elektrischen grünen Feuern oben auf dem Felsen und der Gasbeleuchtung unten am Hafen und in den amphitheatralisch ansteigenden Strassen mit grösserem Wohlgefallen, als in jener Nacht, da wir langsam vorübersegelten, in den Kanal und in den freundlicheren Atlantischen Ozean hinaus, hinter uns die verhasste, unwirsche Nordsee.

      Das Wasser war so nahe dem Land glatt geworden, und das Schiff rollte kaum merklich. Die seekranken Passagiere krochen genesen aus ihren Kojen und auf Deck. Sie sahen wieder festes Land vor Augen und begrüssten es freudig und hoffnungsvoll. Die Aermsten waren in einem gewaltigen Irrthum befangen. Sie glaubten nämlich alle, dass wir anlegen würden, und dann wären sie alle schleunigst davon gelaufen, bereits vollkommen satt der Reise nach Neuseeland. So lange wir an der englischen Küste hinfuhren und hie und da ein vorspringender Hügel zum Vorschein kam, lebten sie in diesem glücklichen Wahn. Und als wir immer und immer nicht anlegten und das letzte Stückchen Land verschwunden war, und sie endlich doch meiner Versicherung Glauben schenken mussten, dass wir gar nicht daran dächten, anzulegen, welches Wehklagen und welche Verwünschungen. Mit aufgehobenen Händen baten sie mich, ich möchte den Kapitän veranlassen, sie auszusetzen. In allen Sprachen schworen sie, sie würden die Seereise niemals überstehen, sie wären jetzt schon halb todt von dem einzigen Sturm, das Schiff könnte unmöglich mehr zusammenhalten, es sei schon ganz lose gerüttelt. Und wenn sie auf den Knieen nach Hause rutschen müssten mit allen ihren Kindern und zeitlebens betteln gehn, sie wollten nie und nimmermehr an Neuseeland denken. Alles umsonst.

      Unserer Fahrt stellte sich kein Hinderniss mehr in den Weg. Wir schlängelten uns langsam und sicher durch die Menge der kreuzenden Dampfer, Segelschiffe und Böte, und nach drei Tagen waren wir im Atlantischen Ozean. Ein schöner Nordostwind blähte die vierkant gestellten Segel, die Zahl der in Sicht befindlichen Fahrzeuge verringerte sich, die Sonne schien mild und warm auf uns herab. Am 26. November zeigten sich die ersten Quallen im Wasser, wir waren auf der Höhe von Biscaya.

      Von jetzt ab hatten wir bis Neuseeland kein nennenswerthes Unwetter mehr zu bestehen. Wir waren sehr glücklich gewesen, so rasch wenn auch etwas stürmisch und rauh aus der Nordsee zu kommen. Wir konnten eben so gut vier Wochen darin herumkreuzen.

      II

      IM NÖRDLICHEN ATLANTISCHEN OZEAN

      Ungünstige Winde und Windstille. An Madera und an den Kapverden vorbei. Schiffsleben und Zänkereien. Nationale Gegensätze. Kindstaufen, Geburtshilfe auf See und ein zärtlicher Gatte. Die Polakei in Aufruhr. Das gestohlene Salzfleisch. Zoologische Belustigungen. Schleppnetzbeute. Fliegende Fische. Vergebliches Harpuniren. Haifischfang. Korrespondenz mit anderen Schiffen. Besuch auf einem Portugiesen. Unsicherheit in der Nautik.

      Am 27. November warfen wir den Ofen aus der Kajüte. Es war bereits warm genug, um während des Tages ohne Ueberzieher auf Deck zu sitzen.

      Das Wasser begann wieder unruhig zu werden, und die bekannten langen, hohen Wogen des Ozeans, höher als in der Nordsee, aber auch viel angenehmer weil länger, hoben und senkten das Schiff. Das Barometer fiel, der Wind wurde flau. Die Segel klapperten an den Raaen, wir machten keinen Fortgang, doch rollten wir unter dem Einfluss der zunehmenden hohlen See und des Haltes der Segel entbehrend wie noch nie. Schwerfällig beugte sich die Euphrosyne nach rechts und nach links, und bei jeder Neigung stöhnten und krachten die Balken und Bretter, eigenthümlich die sonstige feierliche Ruhe unterbrechend. Der Kapitän hatte die guten Tage benutzt, um die Riggen der Masten fester anzuziehen. Auch im Innern war Alles festgenagelt und festgestaut worden. Wir waren jetzt vollkommen seetüchtig und konnten es mit jeglichem Wetter aufnehmen.

      Ein kleiner Sturm aus Südwest trieb uns zwei Tage rückwärts. Dann kam abermals flauer Wind, der in einen kleinen Nordsturm umsprang, mit dessen Hilfe wir rasch nach Madera hinuntergelangten, welches wir ausser Sichtweite am 2. Dezember passirten.

      Wir hofften jetzt alle Tage auf den Nordostpassat, aber leider vergeblich. Ganz unvorschriftsmässige West- und Südwestwinde wechselten statt dessen mit einander, und die Folge davon war, dass wir immer näher gegen Afrika zu trieben und, beständig mit halbem oder viertels Wind segelnd, knapp zwischen den Kapverdischen Inseln und Senegambien hindurch fahren mussten. Kaum hatten wir diese passirt, so sprang der Wind nach Süden um, und wir steuerten Südsüdwest gegen Brasilien zu. Nur hie und da wehte es auf kurze Zeit in einer uns günstigeren Richtung, aus Norden oder aus Nordost, und der Kapitän verfehlte dann nie, mich auf die geballten Passatwolken rings am Horizont aufmerksam zu machen und sanguinisch eine anhaltende Besserung unserer Reise in Aussicht zu stellen. Doch immer von Neuem wurde sein Vertrauen getäuscht, und hatten wir vierundzwanzig Stunden eine gute Brise von hinten mit sechs Knoten per Stunde gehabt, so schlief sie regelmässig wieder ein, die Segel begannen wieder zu klappern, und ein Gegenwind erhob sich.

      Oder, was noch schlimmer war, die Stille wollte nicht mehr weichen, drei, vier Tage lagen wir regungslos auf dem Wasser, der Abfall des Schiffes trennte sich nicht mehr von unserer Nähe, und was wir des Morgens über Bord geworfen hatten, konnten wir am Abend noch immer draussen herumschwimmen sehen. Die Sonne brannte glühend herab, und eine träumerische Stimmung lag über dem Deck, auf dem die Passagiere in hellen Gruppen faul herumlungerten. Selbstverständlich war unter solchen Umständen die Laune des Kapitäns nicht die rosenfarbigste. Tag und Nacht wurde geschimpft und geflucht, am Barometer geklopft, ob es nicht ein bischen fallen möchte, der Kajütsjunge in die Ohren gekniffen, zwecklos und nur vielleicht zur Aufmunterung für den Wind Leesegel gesetzt und wieder weggenommen.

      Für mich waren solche Zeiten der Windstille im Anfang nicht ohne Reiz. Es herrschte, namentlich Nachts, eine wohlthätige Ruhe. Allerdings hörte das Schiff fast niemals auf, langweilig hin und her zu schaukeln, und das Holzwerk, ebenso langweilig zu knarren. Dies war aber auch meistens das einzige vernehmbare Geräusch, und ich konnte relativ ungestört mich meinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben.

      Unsere Tagesordnung ging ihren stetigen Gang. Wir lebten zu dritt in der Kajüte zusammen, nämlich ein Kajütspassagier, der Kapitän und ich – grösstentheils einträchtig, wir beide letzteren hie und da in gespanntem Verhältniss.

      Der Kajütspassagier, ein harmloser, junger Mann des Handelsstandes, Mister Ross genannt, besass glücklich genug nicht die geringste Anlage zur Grimmigkeit, und schimpfte der Kapitän auch Tage lang unausstehlich, oder versuchte er gar in guter Laune Witze zu machen, was noch viel unausstehlicher war, Mister Ross blieb ungerührt. Er spielte gehorsam Tag für Tag seine Partie Sechsundsechzig mit ihm, wenn er dazu kommandirt wurde, liess ihn pflichtschuldigst gewinnen, kam pünktlich zu Tisch, legte sich pünktlich zweimal täglich zu Bett, und lungerte die übrige


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