Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner
von den Abfällen des Schiffes geriethen ins Netz, wenn man nicht fortwährend Acht gab.
Allerdings waren die Schwierigkeiten bei Nacht um so grösser. Es war zuweilen nicht leicht, auf dem fast stets langweilig hin und her schwankenden Achterdeck das Netz zu durchsuchen, in der einen Hand eine schlechtbrennende Diebslaterne, die man nicht hinstellen durfte, weil sie sonst umfiel, mit der anderen Hand zugleich den nicht minder gefährlichen Glastopf beschirmend, in kauernder Stellung und in beständigem Kampf mit dem Rollen unserer Euphrosyne, welches auch bei der ruhigsten See niemals ganz aufhörte.
Erst wenn es dunkel und kühl wurde, kamen mehr Thiere an die Oberfläche, und besonders in der allerersten Frühe vor Sonnenaufgang erhielt ich die reichste Beute. Gar oft sah mich der roth hinter den Wolkenbänken des Horizonts heraufdämmernde Morgen noch bei der Arbeit.
In der Stimmung solcher Stunden lag so viel Erfrischendes und Poesievolles. Träge wälzte die See ihre bleigrauen Wogen und schaukelte leise das Schiff, über dem noch tiefe Ruhe lag. Allmälig regte sichs in den unteren Räumen. Der Zimmermann fing an zu arbeiten und feilte an seiner Säge, und das schrille Geräusch rief Erinnerungen an so manche Ferientage, die ich zu Hause auf dem Lande verlebt, in mir wach. Die Sonne blitzte über das Meer. Ich zog meine Netze ein und ging zu Bett.
Die Seeleute hatten von ihrem Standpunkt ganz recht, wenn sie mich auslachten. Fing ich ja nie etwas was man essen konnte. Gleichwohl wunderten sie sich, dass es im Meere, auf dem sie schon zwanzig Jahre herumfuhren, so viel »Ungeziefer« gebe. Thiere, die kleiner sind als einen Fuss, existiren dem durchschnittlichen Jan Maat, dem schlechtesten Beobachter in naturhistorischen Dingen, den ich kenne, nicht. Als ich auf einer meiner ersten Seereisen einmal zwei ganz gewöhnliche Quallen, von denen im Sommer jeder Hafen wimmelt, in ein Glas geschöpft hatte, fragte mich mein alter Kapitän, was denn das für komische Dinger wären, die er niemals gesehen.
Viel weniger glücklich als mit dem Netz war ich mit der Angel. Ich hatte mich mit Angelhaken jeder Sorte ausgerüstet, und meine ganze Kammer hing voll von Angelzeug verschiedener Grössen. Aber bis auf drei Haie und später im Indischen Ozean zwei Dutzend Albatrosse habe ich nie etwas damit gefangen. Auch hierbei lernte ich den negativen Werth der Rathschläge unserer Seeleute schätzen. Jeder von ihnen wollte bereits unzählige Makrelen, Bonitos und Delphine geangelt haben, jeder wollte mir zeigen, wie man es mache, jeder auf eine andere Methode, und nur der Proviantmeister schien den richtigen Bescheid zu wissen, indem er schwor, alle Fische, die ich erwischte, lebendig mit Haut und Haaren zu fressen.
Einmal als wir ganz ruhig lagen, kam ein Rudel fliegender Fische so nahe ans Schiffshintertheil geschwommen, dass ich sie deutlich von oben beobachten konnte. Das Meer war spiegelglatt, die Sonne glitzerte blendend darauf, kein Laut als das Klappern der Segel regte sich weit und breit. Die Passagiere lagen herum und träumten.
Etwa zehn oder zwölf fliegende Fische schwänzelten zierlich neben dem Steuer unten heran, dicht neben einander sich haltend, hie und da einer die langen Flossen spreizend wie ein Kanarienvogel, der im Käfig den Flügel dehnt, um sich daran zu kratzen. Plötzlich schwirrt der vorderste in die Luft, und die anderen folgen ihm. Ich höre deutlich das Plätschern des abtropfenden Wassers und das Geräusch ihres Fluges, welches an fliegende Heuschrecken erinnert. Nach einiger Zeit kamen sie zurück. Ich warf ihnen kleine Stückchen Speck zu, die sie, sich zankend und beissend, verschlangen, endlich versuchte ich es auch mit einer feinen Angel. Der Köder war ihnen entschieden verführerisch. Wiederholt schnupperten sie an ihm herum, wandten sich ab, schnupperten wieder, spreizten gereizt die langen Flossen und streckten sich lüstern vor. Ich befestigte glitzernde Stanniolblättchen über dem Speck, ich nahm Fleisch, ich nahm Käse – alles umsonst. Sie schnupperten vorsichtig und lange daran herum, aber keiner biss. Ich holte nun meine Pilke, einen schweren Nagel an einer Leine, um den rings Angelhaken gebunden sind, jenes Instrument, mit welchen die Kabeljaufischer auf den Neufundlandbänken durch Anreissen einzelne Kabeljaus aus den Schwärmen herauszuhaken pflegen. Kaum liess ich vorsichtig die Pilke hinab, als die ganze Gesellschaft aus dem Wasser raschelt und hinwegschwirrt wie ein Heuschreckenschwarm. Fort waren sie und kamen nicht wieder.
Oft sollen fliegende Fische auf das Deck oder in die Rüsten von Schiffen fliegen. Unsere Euphrosyne war aber hierzu, weil leicht geladen, zu hoch, und nie gerieth ein fliegender Fisch auf diese Weise an Bord.
Ebenso vergeblich wie das Angelzeug hatte ich eine Harpune mitgenommen. Es glückte mir nie, einen Tümmler damit zu erbeuten. Die Euphrosyne ragte auch hierzu zu weit aus dem Wasser. Selbst einer unserer Matrosen, der im Harpuniren ziemlich erfahren und geschickt zu sein schien, hatte nicht mehr Erfolg.
Das Harpuniren dürfte überhaupt zu den schwierigeren Arten des Sports gehören. Man stellt oder setzt sich auf die beiden untersten Ketten, welche vorne vom Stampfstock unter dem Bugspriet nach den Krahnbalken auseinanderlaufen, mit der Brust an den Stampfstock gelehnt, in der Linken einige schwerwiegende Buchten Tau, in der Rechten den nicht minder gewichtigen drei Meter langen Schaft der Harpune. Will man nicht riskiren, ins Wasser zu fallen, so bindet man sich noch eine Tauschlinge um den Leib, büsst aber dafür diese relative Sicherheit mit einer sehr fühlbaren Erschwerung der ohnehin schon ziemlich unbequemen und belasteten Situation. Oben auf Deck stehen einige Mann bereit, das Tau der Harpune einzuziehen, sobald man geworfen hat. Gewöhnlich erscheinen Tümmler nur bei unruhiger See. Das Schiff stampft auf und nieder, der Schaum, den der in rascher Fahrt durchschneidende Kiel aufwühlt, spritzt hoch empor, man balanzirt mühselig mit seiner Last hin und her.
Nun kommen die Fische. Schon von Weitem haben wir eine lange Schaar von Hunderten auf uns zusteuern sehen, in mehreren Reihen einer hinter dem anderen lustig sich über die Wellen vorwärtswälzend. Kaum dass wir unter das Bugspriet geklettert und mit Harpune und Tau klar zum Gefecht sind, spielen sie auch schon zu unseren Füssen vor dem Kiel herum. Links und rechts eilen sie voran, springen im Bogen empor, schiessen deutlich sichtbar im Wasser fort, kehren zurück, tauchen unter dem Schiff von einer Seite zur anderen und kreuzen sich vor dessen Steven, nach allen Richtungen aufschnellend, übereinander purzelnd und plumpsend gerade senkrecht unter dem Stampfstock, auf dessen Kette ich stehe.
So oft ich auch warf, ich habe nie einen Tümmler getroffen. Meine Harpune fiel langsamer hinab, als sie vorüber schossen, und jeder vergebliche Wurf schien ihre Fröhlichkeit zu vermehren. Zu zweit und zu dritt springen sie manchmal nahe zu mir herauf, dass ich sie fast in der Luft hätte spiessen können, und deutlich hörte ich oft das tönende Geräusch, mit dem sie die feuchte Athemluft aus den Nasenlöchern schnaubten. Es klang mir wie ein höhnisches Johlen.
Bei den Kapverden fing ich meinen ersten Haifisch. Der Mann am Steuer war instruirt, mir zu melden, sobald sich ein solcher zeigen würde. Die Haifischangel, ein fusslanger und schwerer Haken von zehn Zentimeter Bogendurchmesser, mit Kette und einem Wirbel am Ende derselben, an dem sie sich frei drehen konnte, war bereits seit mehreren Tagen mit einem kindskopfgrossen festgebundenen Stück Speck versehen und hing fertig hinten am Bollwerk.
Wir sassen gerade bei unserem kärglichen Mittagsmahl, als der Ruf »Hai achterut« ertönte. Das langweilige Salzfleisch konnte jetzt warten, ich eilte hinaus. »Der Hai ist nach vorne gegangen«, sagte der Mann am Steuer, »er wird aber jedenfalls zurückkommen.« Ich nehme das nächste Tau, das zu Buchten gerollt in der Nähe liegt, stecke es durch die Oese des Wirbels der Angelkette, schlinge einen kunstgerechten Knoten, und die Angel fliegt plumpsend ins Wasser.
Dieser lauten Einladung konnte unser Hai nicht widerstehen. Wir warten keine Minute und er erscheint. Da rechts taucht seine lange spitze Rückenflosse aus der blauen Fläche. Er kommt langsam näher. Jetzt ist auch sein Körper zu erkennen, es ist ein Prachtexemplar, wohl drei Meter lang. Gemessen und würdevoll, als ob ihn der Köder eigentlich gar nicht recht interessire, schwimmt er heran, majestätisch sich wendend, kaum merkbar die gewaltigen Brustflossen bewegend. Er taucht tiefer hinab und je tiefer er geht, desto herrlicher braun färbt ihn der grünliche Glanz des Wassers. Er taucht wieder in die Höhe, und siehe, dicht vor seiner spitzen Schnautze, dicht vor dem unersättlichen Rachen schwimmen geschäftig und zierlich schwänzelnd vier kleine quergeringelte Lootsenmännchen, je nachdem der Hai sich wendet, bald ober ihm, bald vor ihm.
Der Köder scheint übrigens doch nicht so ganz verächtlich zu sein. Der Hai fasst den Speck ins Auge, beschnuppert ihn und wendet sich ab. Er kehrt in einem langsamen Bogen, ohne seiner Würde