Moderne Geister. Georg Brandes

Moderne Geister - Georg Brandes


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aufzufassen.

      Für ihn ist sie alles: Alles was in unserer Macht steht, was wir ausführen oder vollbringen, trägt, insofern es etwas werth ist, untrüglich ihren Stempel, und über alles, was nicht in unserer Macht steht, über unser ganzes angeborenes Schicksal gebietet sie direct, unmittelbar, allmächtig und unumschränkt. Selbst die unglücklichste Persönlichkeit, die er geschildert hat, findet, wie übel sie auch vom Schicksal behandelt worden ist, einen Trost darin, dass sie ein Kind der Natur, d. h. dass sie nicht beeinträchtigt worden ist. „Wenn die Elemente meines Wesens, die mich vom Glück ausschliessen, durch eine grosse blinde Fügung des Weltlaufes sich gefunden und vereinigt haben und ich an dieser Constellation zu Grunde gehen muss – so ist das fatal, aber kein unerträglicher Gedanke. Ein Gottvater aber, der mich unseliges Geschöpf de cœur léger oder auch aus pädagogischer Weisheit so traurig zwischen Himmel und Erde herumlaufen liesse, um mir später einmal für die verpfuschte Zeit eine Gratification in der Ewigkeit zukommen zu lassen – nein, lieber Freund, alle durchlauchtige und undurchlauchtige Theologie kann mir das nicht plausibel machen“.6

      So nimmt bei Heyse selbst der, dessen Leben am qualvollsten verfehlt ist, seine Zuflucht zum Naturbegriff wie zum letzten beruhigenden Gedanken, und so hat er selbst in den schmerzlichsten Stunden seines Lebens dazu seine Zuflucht genommen, und die wunderbaren Gedichte „Marianne“ und „Ernst“, das Tiefste und Ergreifendste, was er geschrieben hat, sind als Zeugnisse davon zurückgeblieben. Die Natur ist sein Ausgangspunkt und sein Endziel, die Quelle seiner Poesie und ihr letztes Wort, sein Eins und Alles, sein Trost, sein Credo.

      III

      Was er verehrt, anbetet und darstellt ist also, ganz allgemein ausgedrückt, die Natur. Aber wie er seiner eigenen Natur folgt, so stellt er auch seine eigene Natur dar, und ihr Grundzug ist der, ursprünglich harmonisch zu sein. Eine solche Bezeichnung ist sehr weit und vag. Sie lässt, unbestimmt wie sie ist, Heyse wohl nächstens als einen Nachfolger Goethe's erscheinen und passt eben so gut auf den grossen Meister. Jene Harmonie ist indessen, näher bestimmt, nicht eine weltumspannende, sondern eine verhältnissmässig enge, sie ist eine aristokratische Harmonie. Es gibt Vieles, das sie ausschliesst, Vieles, das sie nicht versöhnt, ja nicht einmal berührt. Nicht als Naturforscher, sondern als Schönheitsanbeter betrachtet Heyse das bunte Treiben des Lebens. Es ist ersichtlich genug, dass er nicht begreift, wie man Lust dazu verspüren kann, als Künstler mit Vorliebe solche Gestalten zu schildern, denen man im Leben seine Thür verschliessen würde; ja er hat selbst mit grosser Offenheit ausgesprochen, dass er nie eine Figur habe zeichnen können, die nicht irgend etwas Liebenswürdiges gehabt hätte, nie einen weiblichen Charakter, in den er nicht bis zu einem gewissen Grade verliebt gewesen wäre.7 Darum besteht auch seine ganze Gestaltengallerie mit wenigen Ausnahmen (wie Lorinser oder Jansen's Frau) aus gleichartigen Wesen. Sie haben nicht blos Race, sondern edle Race, d. h. angeborenen Adel. Ihre gemeinsame Eigenschaft ist, was Heyse selbst als Vornehmheit bezeichnet. Er nimmt das Wort in dem Sinne, dass die Vornehmheit bei allen seinen Charakteren die angeborene Unfähigkeit ist, etwas Niedriges oder Schmutziges zu begehen, bei dem Naturkinde durch die einfache Güte und Gesundheit der Seele bedingt, bei dem Culturmenschen mit dem bewussten Gefühl seines Menschenwerthes, mit der Ueberzeugung von dem Rechte eines vollen und kräftigen Menschenlebens versetzt, das seine Norm und seinen Richterstuhl in sich selber hat und mehr vor Halbheit als vor Irrthum schaudert. Heyse hat selbst einmal seinen Lieblingsterminus definirt. Im „Salamander“ heisst es8:

      Ich habe meiner Tugenden und Fehler

      Mich nie geschämt, mit jenen nie geprunkt,

      Und meiner Sünden macht' ich nie den Hehler.

      Denn dies vor Allem, dünkt mich, ist der Punkt,

      Wo Freigeborne sich vom Pöbel scheiden,

      Der feig und heuchlerisch herumhallunkt.

      Den nenn' ich vornehm, der sich streng bescheiden

      Die eigne Ehre gibt und wenig fragt,

      Ob ihn die Nachbarn lästern oder neiden.

      Und mit fast ähnlichen Worten spricht die früher von aristokratischem Schein geblendete Toinette diesen Grundgedanken aus: „Es gibt nur Eine wahre Vornehmheit: sich selber treu zu bleiben. Gemeine Menschen kehren sich an das, was die Leute sagen, und bitten Andere um Auskunft darüber, wie sie selbst eigentlich sein sollen. Wer Adel in sich hat, lebt und stirbt von seinen eigenen Gnaden und ist also souverän“.9 Diese Art von Adel ist denn der Stempel, den die ganze, diesem Dichtergehirn entsprungene Menschenrace trägt. Sie besitzen ihn alle, vom Bauer bis zum Philosophen, und vom Fischermädchen bis zur Gräfin. Die einfache Kellnerin in der „Reise nach dem Glück“ spricht eine Lebensansicht aus, die genau mit der eben angeführten zusammenfällt10, und wer sich nur die Mühe geben mag, die Schriften Heyse's zu durchblättern, wird entdecken, dass das kleine Wort „vornehm“ oder ein Aequivalent dafür immer eins von den ersten ist, die er anbringt, sobald es gilt zu charakterisiren oder zu preisen. Man sehe z. B. in einem einzigen Band der Novellen die Anwendung des Wortes „vornehm“, um die äussere Erscheinung, Blick und Haltung zu bezeichnen (in „Mutter und Kind“, in „Am todten See“, in „Ein Abenteuer“ VIII. 44, 246, 331). Oder man durchblättere, um sich von der durchgreifenden Bedeutung dieses Charakterzuges zu überzeugen, Heyses zwei erste Romane. In „Kinder der Welt“ bezeichnen alle die dem Leser sympathischen Personen sich gegenseitig als adlige Geister: Franzelius nennt Edwin und Balder die wahren Aristokraten der Menschheit, Edwin findet in der höchsten Schwärmerei der Leidenschaft kein höheres Lob für Toinette und Lea als das, dass sie das Adelsgepräge tragen, und da Toinette nach der Begegnung mit Lea diese als die würdige Gattin Edwin's anerkennt, ist es wieder derselbe Ausdruck, der sich ihr zu allererst darbietet; sie bezeichnet in ihrem Briefe Lea als Edwin's „so vornehme, kluge und holdselige Lebensgefährtin“.11 Und in dem Roman „Im Paradiese“, dessen ersten Entwurf wir vermuthlich in dem versificirten Fragmente „Schlechte Gesellschaft“ haben, steht durchgängig die sogenannte „schlechte“ Künstlergesellschaft als die wahrhaft gute und vornehme der sogenannten vornehmen Gesellschaft gegenüber.12 Von den Künstlern ist keiner im gewöhnlichen Sinne des Wortes Aristokrat. Ihre Herkunft ist, wie die der Helden in „Kinder der Welt“, durchgehends äusserst unansehnlich. Aber die Vornehmheit liegt ihnen im Blute, sie gehören zu den Auserkorenen, die gut und richtig handeln, nicht aus Pflichtgefühl oder durch mühsame Ueberwindung schlechter Triebe, sondern aus Natur. Was Toinette irgendwo „den redlichen Willen, der Menschheit keine Schande zu machen“ nennt, hat auch der Roman „Im Paradiese“ als den natürlichen Adel im Gegensatze zu der auf künstlichen Principien beruhenden Noblesse aufgestellt.

      Wenige Dichter haben deshalb eine solche Reihe von Charakteren ohne Falsch und ohne Gemeinheit geschildert, wie Heyse. Niemand hat einen besseren Glauben an die Menschen gehabt. Den triftigsten Beweis dafür, wie lebendig sein Bedürfniss ist, überall das edle Erz in der Menschennatur hervorzuheben, liefert der Umstand, dass, wo bei ihm ein Umschlag im Charakter des Handelnden dem Leser oder dem Zuschauer eine Ueberraschung bereitet, die Enttäuschung immer darauf beruht, dass die Erwartung übertroffen wird und die Persönlichkeit sich weit besser und tüchtiger, weit edelgesinnter erweist, als Jemand geahnt hatte. Bei fast allen andern Dichtern ist die Enttäuschung die entgegengesetzte. In den Novellen, wie z. B. in „Barbarossa“ oder „Die Pfadfinderin“, wird die Versöhnung dadurch bewirkt, dass die schlechte Person der Erzählung zuletzt in sich geht, und da der Kern ursprünglich gut ist und der Betreffende wohl manchen hitzigen und schlechten, aber keinen eigentlich bösen Blutstropfen in sich hat, kommt eine Art Friedensschluss zwischen ihm und dem Leser, zur Verwunderung des letzteren, zu Stande. Weit bedeutsamer jedoch als in den Novellen tritt dieser charakteristische Optimismus in Heyse's Dramen hervor. Sie verdanken ihm ohne Frage ihre besten und wirkungsvollsten, vielleicht ihre entschieden dramatischsten Scenen. Ich will ein paar Beispiele anführen. In „Elisabeth Charlotte“ hat der Chevalier von Lorraine unedle Mittel aller Art benutzt,


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<p>6</p>

K. d. W. III, 109.

<p>7</p>

K. d. W. I, 111; G. W. VI, 206.

<p>8</p>

G. W. III, 300.

<p>9</p>

K. d. W. II, 47.

<p>10</p>

G. W. V, 201. Seite 175 wird das Wort „vornehm“ von ihr gebraucht.

<p>11</p>

K. d. W. II, 333 III, 309 und 335. Dass du das beste, tiefste, holdeste, adligste Menschenbild bist. – Das arme tapfre, freigeborne Herz – es hat seinen Adel bewährt.

<p>12</p>

Im Paradiese. III, 6 ff.