Moderne Geister. Georg Brandes

Moderne Geister - Georg Brandes


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verwundet worden, und als jener von politischen Intriguen umstrickt, in die Bastille geschickt worden ist, tritt er im fünften Act im Audienzzimmer des Königs auf. Was kann er wollen? Den Grafen noch ärger anklagen? Sein unehrenhaftes Betragen fortsetzen, das seinem Gegner schon so viel Unglück und ihm selbst eine Wunde eingetragen hat? Wird er sich rächen, die Lage ausnutzen? Nein, er kommt, um die feierliche Erklärung abzugeben, dass der Graf wie ein echter Edelmann gehandelt hat, und dass er selbst an dem Duelle Schuld ist. Er wünscht sogar, selbst in die Bastille gesandt zu werden, damit sein Gegner nicht glaube, er hätte ehrlos einen unrichtigen Grund des Duells angegeben; mit anderen Worten: sogar in diesem verderbten Hofmanne lebt das Ehrgefühl als Rest des altfranzösischen Rittergeistes, ersetzt bis zu einem gewissen Grad das Gewissen, und zwingt ihn im entscheidenden Augenblick sich von seinem Schmerzenslager zu erheben, um zu Gunsten des Feindes einzuschreiten, den er rachsüchtig und rücksichtslos verfolgt hat. – In dem schönen und volksthümlichen Schauspiel „Hans Lange“ findet sich eine Scene, die bei der Aufführung die Zuschauer in athemloser Spannung hält, und deren Ausgang immer vielen Augen Thränen entlockt: es ist die Scene, wo das Leben des Junkers auf dem Spiele steht. Er ist verloren, wenn die Reiter ahnen, dass er es ist, der als Sohn des Juden verkleidet auf der Bank liegt. Da tritt der Grossknecht Henning auf, von Reitern geführt, die ihn im Stalle haben brummen hören, er wisse wohl, wo der Hase im Pfeffer liege. Henning ist vom Junker verdrängt worden; bevor dieser nach Lanzke kam, war er wie ein Kind im Hause, jetzt ist er weniger als Stiefkind geworden und er hat immer einen Groll auf den Vorgezogenen gehabt. Mit grösster Kunst wird die Scene nun so geführt, dass Henning trotz der Bitten und Verwünschungen der Eingeweihten immer deutlicher zu verstehen gibt, dass er sich an dem Junker rächen wolle, dass er wisse, wo derselbe sei, und dass keine Macht in der Welt ihn davon abhalten werde, seinen Feind zu verrathen – bis er, feurige Kohlen auf des Anderen Haupt sammelnd und sich mit dem eingejagten Schrecken begnügend, endlich das Blatt vom Munde nimmt, um die ihm jetzt natürlich blindlings vertrauenden Verfolger vollständig auf die falsche Spur zu bringen. – Und genau von derselben Natur ist endlich die entscheidende und schönste Scene in dem patriotischen Drama „Colberg“. Es wird Kriegsrath gehalten, aber auch die Bürger sind berufen, denn die Wichtigkeit des Augenblicks macht es wünschenswerth, dass alle Stimmen gehört werden. Alle Hoffnung für die belagerte Stadt scheint aus zu sein. Der französische General hat ein Schreiben gesandt, um Gneisenau zu einer ehrenhaften Capitulation aufzufordern. Das ganze Officiercorps erklärt sofort, dass von Uebergabe der Festung keine Rede sein kann, und Gneisenau legt dann der Bürgerschaft die Frage vor, ob man sich vom Feinde eine Frist erbitten solle um den Bürgern, Frauen und Kindern den Auszug aus der allen Schrecken preisgegebenen Stadt zu sichern. Da erhebt sich der alte pedantische Schulmeister Zipfel, ein echter altmodischer deutscher Philologe, um im Namen der Bürgerschaft die Antwort zu ertheilen. Mit vielen Umschweifen, mit lateinischen Redensarten spinnt er unter allgemeiner Ungeduld seine Rede aus. Man unterbricht ihn, man gibt ihm zu verstehen, dass man wohl wisse, er denke nur daran, dem Commandanten und den Truppen die gefährliche Vertheidigung der Stadt zu überlassen – endlich gelingt es ihm, die Ansicht zu erklären, die er mit der langen Erzählung vom grossen Perserkriege und Leonidas mit seinen Spartanern im Sinne gehabt; die Ansicht nämlich, dass es Allen, ohne Unterschied gebühre, dazubleiben und zu sterben. Diese Scene hat Heyse con amore geschrieben. Sie enthält, so zu sagen, sein ganzes System. Denn nirgends triumphirt sein guter Glaube an die Menschheit so, wie dort, wo er im Spiessbürger den Helden enthüllen, im armen Pedanten den unbeugsamen Mann aufweisen kann, den kein Anderer in ihm gefunden hätte als der Dichter allein, der es weiss, dass jede seiner Gestalten im tiefsten Grunde der Seele ein unauslöschliches Adelsgepräge trägt.

      IV

      Den Schriftstellern, die, wie Spielhagen z. B., am häufigsten bei den Kämpfen des Bewusstseins und des Willens verweilen, und die am liebsten die grossen socialen und politischen Conflicte schildern, werden selbstverständlich die Männerfiguren besser gelingen als die der Frauen. Ein Mannescharakter wie Leo in dem Romane „In Reih' und Glied“ sucht seines Gleichen, aber eine ebenso vorzügliche Frauengestalt hat Spielhagen nicht gezeichnet. Der dagegen, dessen Geist den Adel und die Anmuth des unmittelbar Natürlichen, die sichtbare und seelische Schönheit sucht, wird selbstverständlich lieber und besser Frauen schildern, als Männer. Hierin ist Heyse seinem Meister Goethe ähnlich. In fast allen seinen Productionen steht der Frauencharakter im Vordergrunde, und die männlichen Gestalten dienen hauptsächlich dazu, ihn hervorzuheben oder zu entwickeln. Da die Frauennatur in der Liebe ihr verborgenes Wesen entfaltet und die schönste Blüthe treibt, da in der Liebe die Natur als Natur durch tausend Illusionen zum Geist geadelt wird, so verherrlicht Heyse vorzugsweise die Liebe des Weibes. Er feiert die Liebe und er feiert das Weib, aber es ist seine höchste Freude, diese beiden Grossmächte im Kampfe mit einander darzustellen. Denn wenn die Liebe siegt, wenn sie als die Macht erscheint, deren Gebot das Frauenherz nicht Trotz zu bieten vermag, strahlt sie, den Widerstand überwältigend, wie eine Allmacht, und indem sie die Wirkung hat, dass das Weib unter ihrem Einflusse, im Trotz gegen sie, im Kampf wider sie, von ihr beseelt, sich im ganzen Stolz ihres Geschlechtes zusammenrafft, verleiht die Liebe ihr jene aristokratische Schönheit, welche Heyse am besten darstellt.

      Der angeborene Mädchenstolz ist für Heyse das Schönste in der Natur. Eine ganze Gruppe seiner Novellen könnte die Ueberschrift „Mädchenstolz“ führen. Kierkegaard nennt irgendwo das Wesen des Weibes eine Hingebung, deren Form Widerstand ist. Dies ist wie aus Heyse's Herzen gesprochen, und dieser Widerstand ist es, der als Merkmal der adeligen Natur ihn interessirt und bezaubert. Es ist das ewig Festungsartige im weiblichen Gemüth, das ihn fesselt, das Sphinxartige, dessen Räthsel er immer wieder errathen muss. Der süsse Kern ist doppelt süss in seiner harten Schale, der feurige Champagner doppelt heiss in seiner Umwallung von Eis. Es liegt um die weibliche Natur, wie Heyse sie schildert (von L'Arrabbiata bis Julie und Irene im „Paradies“) ein Eispanzer, der verbirgt, abweist, irre führt, zerbricht und schmilzt. Die Frau behauptet ihren Adel, indem sie so lange wie möglich sich weigert, ihr Ich aus den Händen zu geben, indem sie den Schatz ihrer Liebe aufspart und aufbewahrt. Sie erhält sich ihren Adel, indem sie ihr Ich ausschliesslich in die Hände eines Einzigen legt und der übrigen Welt gegenüber abweisend dasteht. Sie ist keiner blinden Macht unterworfen. Ist der Mädchenstolz gebrochen und besiegt, so findet sie sich selbst auf der anderen Seite des Schlundes, und gibt sich frei, naturfrei möchte ich sagen. Nie kommt bei Heyse eine Verführung vor; wird eine solche ein einziges Mal als vergangenes Ereigniss erwähnt („Mutter und Kind“), so dient sie nur dazu, die stolze Selbstbehauptung und die ebenso stolze, bewusste Selbsthingebung in das schärfste Licht zu stellen.

      Diese Selbstbehauptung, diese Widerstandskraft (Rabbia) wird in der Schilderung auf's mannigfaltigste variirt: Atalante in dem Drama „Meleager“ hat die ganze frische Wildheit des Amazonentypus; sie zieht das Leben und das Spielen in der freien Natur, Wettlauf, Speerkampf und das Geschäft des Waidwerks weichlicher Zärtlichkeit und schmeichelnder Liebkosung, den Siegeskranz dem Brautkranze vor. In Syritha wird die erste Schamhaftigkeit geschildert, die aufgescheucht von der Hochzeit entflieht; in L'Arrabbiata der Mädchenstolz, der es weiss, wie nahe bei der schüchternen Bitte in der Seele des Mannes das rohe Verlangen liegt; im Mädchen von Treppi die instinctive Weigerung der Jungfräulichkeit; in Marianne („Mutter und Kind“) der Frauenstolz, der bei dem sogenannten gefallenen Weibe sich unter dem Gefühl der unverschuldeten Schmach verdoppelt; in Madeleine („Die Reise nach dem Glück“) das Pflichtgefühl gegen den von Kindheit an eingeprägten Sittlichkeitsbegriff; in Lore („Lorenz und Lore“) das Schamgefühl des jungen Mädchens, dem Angesichts des Todes das Liebesgeständniss entschlüpft ist; in Lottka die melancholische Verschlossenheit im Gefühl angeerbter Erniedrigung; im schönen Käthchen der verzweifelte Unwille darüber, Allen zu gefallen, welcher alle Bewunderer und die eigene Schönheit zum Kukuk wünscht; in Lea die Scheu des entwickelten und reservirten Weibes, ihre Schwäche ahnen zu lassen; in Toinette der Abscheu des eingefrorenen Herzens, eine Leidenschaft zu heucheln, die es noch nicht fühlt; in Irene die Sittenstrenge einer kleinen Prinzessin; in Julie die Kälte einer Cordelia-Natur – bis der Augenblick kommt, da alle diese Bande gesprengt werden, da alle diese Herzen flammen, da der Männerhass der Amazone und die Schüchternheit des Mädchens und die Schamhaftigkeit der Jungfrau und der Stolz der Frau und die Pflicht der Strengerzogenen und die Schwermuth der Erniedrigten und die Hülle der Schneekönigin, Alles, Alles als Holz


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