Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh


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Herrn Freude!’ Seine Lagerstatt war mir ein stilles Heiligtum, und sein letzter Atemzug war für ihn der Anbruch eines Tages, wo er zum Anschauen dessen gelangt, was er hier geglaubt. Ich mußte ihn mit den Worten begleiten: ‚Der Erlöste des Herrn ist nach Zion kommen mit Jauchzen, seine Zunge wird voll Rühmens und sein Mund voll Lachens sein!’”

      Ernster noch, aber doch von ähnlicher heiliger Freude begleitet, war der Weg zum Grabe ihres ältesten Sohnes. Er war einst als kleines Kind in Tecklenburg schwer krank gewesen. Da hatte ihn die Mutter in leidenschaftlichem Gebet Gott abgetrotzt: Er sollte ihr das Kind am Leben erhalten. Das Kind genas wirklich. Es war ein geweckter, für alle Eindrücke sehr empfänglicher Knabe geworden. Nun in Berlin schlug die Verführung der großen Stadt ihre Krallen in den hochbegabten, von Kraft und Schönheit strotzenden Studenten der Rechtswissenschaft. „Mit seinem Glauben verlor er die Kraft zu Kampf und Sieg,” schrieb später sein Bruder Friedrich. Die Mutter sah ihn bergab gleiten. Aber er ließ sich nicht halten. Bittere Selbstanklagen stiegen in ihr auf in Erinnerung an jene Krankheit und jenes Gebet in Haus Mark. Dazu kam die Sorge um ihren heißgeliebten Mann, an dessen Herzen der Kummer nagte. Jede Nacht blieb sie auf und wartete, bis ihr Sohn zurück war. Wenn sie endlich seinen Schritt hörte, kam kein Wort des Scheltens über ihre Lippen, nicht einmal einen Gedanken des Vorwurfs duldete sie in ihrem Herzen. Sie litt still um ihn und für ihn und klagte sich selbst an.

      Eines Nachmittags trat er ganz ruhig ins Zimmer. Seine Hand war verbunden. In einem studentischen Lokal war er mit einem politischen Gegner seines Vaters aneinander geraten. Es war zu einer Forderung und zum Duell gekommen. Er wußte, daß sein Gegner, der ein sehr guter Schütze war, ihn töten wollte. Er selbst hatte in die Luft geschossen und hatte dann seine Hand mit der abgeschossenen Pistole vor die Brust gelegt. So war ihm die Kugel des Gegners, der auf die Brust gezielt hatte, in das Handgelenk gefahren.

      Die Wunde schien ungefährlich. Aber als Friedrich, der in der dritten Nacht bei seinem Bruder gewacht hatte, um die Wunde, wie es damals Sitte war, mit Eis zu kühlen, dem Kranken mit anbrechendem Morgen ins Gesicht sah, erschreckten ihn dessen veränderte Züge. Eine Blutvergiftung hatte sich angebahnt, die schnell zum Tode führte. „Doch konnte er noch”, so schreibt Friedrich, „der Mutter sein ganzes Herz in allen Stücken aufschließen und dem Vater auch.” Am Morgen vor seinem Tode feierten Vater und Mutter und die beiden ältesten Geschwister, Frieda und Franz, mit dem Sterbenden zusammen das heilige Abendmahl. „Der liebe Pastor Snethlage” (Hofprediger des Königs) – schreibt Friedrich – „konnte in solchen Stunden mit seinem heiligen, stillen Ernst und seiner großen Einfachheit so nahe ans Herz dringen. Ich erinnere mich, daß es mir vorkam, als wäre der Himmel ganz nahe auf der Erde, wie ich es vorher nie gespürt. Am Nachmittag ging ich wieder in die Schule, da wir das Ende nicht für so nah hielten. Aber kurz vor vier Uhr, ehe die Schule schloß, hatte ich einen ganz besonderen Eindruck, den ich nicht beschreiben konnte. Es war mir so, als wenn die Stunde des lieben Bruders nun doch schon geschlagen hätte. Ich eilte nach Hause und in das Sterbezimmer hinein. Da saß die Mutter dicht an dem Bett, dem Bruder gegenüber. Sie hatte ihm eben die Augen zugedrückt, nachdem sie ihm in seinem letzten Augenblick zugerufen hatte: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!”

      In dem Briefe, den Ludwig am Morgen des Duells an seinen Vater geschrieben hatte, hieß es: „In wenigen Stunden werde ich nun doch meinem Dir bekannten Gegner mit der tödlichen Waffe in der Hand gegenüberstehen, und nach dem, was vorausgegangen ist, ist nicht daran zu denken, daß die Sache ohne Unglück ablaufen könne. Ich erkenne es daher als meine heilige Pflicht, mich darauf vorzubereiten, daß ich vielleicht heute noch vor meinem Richter erscheinen und von meinem Leben Rechenschaft geben muß. Aber ich fühle auch, wie wenig ich darauf vorbereitet bin. Die Schuld meines ganzen Lebens lastet schwer auf mir, und ich kann mich nur zweifelnd und mit Zittern fragen, ob ich Gnade und Vergebung hoffen darf. Ich habe mich streng geprüft, welche Gefühle ich meinem Gegner gegenüber hege, und kann aufrichtig versichern, daß ich keinen Groll gegen ihn empfinde. Das Duell wird daher in keiner Weise ein Akt der Rache für mich sein. Ich schlage mich, weil ich mich nicht stark genug fühle, den herrschenden Standesansichten entgegenzutreten, weil ich einsehe, daß ich sonst eine ehrenhafte Stellung in der Welt nicht behaupten kann.

      Es kann und muß mich sehr beruhigen, daß ich an dem Duell ganz schuldlos bin. Mein Gegner zwingt mich dazu, und es ist von meiner Seite durch meinen Sekundanten alles geschehen, was eine friedliche Beilegung herbeiführen könnte.

      Ich komme nun zu der schwersten Pflicht des Abschiedes von Dir, treuer, bester Vater, von meiner lieben, guten Mutter und meinen Geschwistern. So sage ich Euch denn, teuerste Eltern, in dieser ernsten Stunde den wärmsten und aufrichtigsten Dank für die große Liebe, die Ihr mir mein ganzes Leben durch bewiesen habt, und bitte Euch, daß Ihr mir verzeihen wollt, wenn ich sie so schlecht vergelte. Ach, ich fühle es jetzt nur zu bitter, was ich an Euch verschuldet, und alle Sorge, aller Schmerz, den ich Euch bereitet, lastet schwer auf mir. Aus tiefstem Herzen und mit aufrichtigster Reue flehe ich daher für alle meine Verirrungen um Eure Verzeihung und versichere Euch vor Gott, daß in diesem Augenblick wenigstens die wärmste Liebe und Dankbarkeit gegen Euch mein Herz erfüllt und daß es mir unendlich schwer fällt, nur diesen schriftlichen Abschied von Euch nehmen zu können. Ach, ich bin Eurer Verzeihung ja gewiß; möchte ich ebenso gewiß der göttlichen Verzeihung sein können! Fleht für Euren armen sündigen Sohn, daß ihm Gnade werde!

      Meine Geschwister beschwöre ich, daß ihnen mein Tod eine ernste Warnung fürs ganze Leben sein möge, die Sünde zu fliehen und einen ernsten, Gott wohlgefälligen Wandel zu führen. Ja, werdet Ihr alle der Trost meiner armen Eltern, liebt und verehrt sie und bedenkt, daß Ihr das nie wieder gutmachen könnt, was Ihr an ihnen verschuldet! Vergeßt nie die letzte Bitte Eures Bruders, der Euch beschwört, daß Ihr Euer ganzes Leben hindurch unsern teuern Eltern Freude bereiten möget und dadurch einen Teil der großen Schuld abtragt, die auf mir in dieser meiner letzten Stunde so schwer lastet.

      So lebt denn zum letzten Male wohl, mein lieber guter Vater, meine innig geliebte Mutter, und Ihr alle, meine teuren Geschwister, und betet für Euren unglücklichen Sohn und Bruder Ludwig.” Diesen letzten Teil des Briefes schrieb sich jedes der Geschwister ab und führte ihn in seiner Bibel bei sich.

      Zum siebenten Mal seit der Verwundung 1813 erkrankte der Vater an der Lungenentzündung. Neun Tage und Nächte hindurch brachte die Mutter an seinem Bett zu. Mehrere Male fanden die Kinder sie nebenan auf den Knien liegend. Der König schickte seinen Leibarzt. Am neunten Tag, als die Krisis eintrat, glaubte der Arzt, daß sich die Krankheit zum Tode neige. Er trat in das Zimmer, wo die Kinder auf die Nachricht des Arztes warteten. Der Arzt stand vorn, die Mutter etwas hinter ihm. Während der Arzt den Kindern mitteilte, daß ihr Vater nur noch kurze Zeit zu leben haben würde, schüttelte die Mutter hinter ihm leise lächelnd mit dem Kopf. Das sah Franz, der Älteste, und konnte sich eines zuversichtlichen Lächelns nicht erwehren. Nicht wenig befremdet über den gefühllosen Sohn verließ der Arzt das Haus. Aber die Mutter, die aus vielfacher Erfahrung heraus auf dem Gesichte des Kranken die Wendung, nicht zum Tode, sondern zur Genesung gesehen hatte, behielt recht.

      Kaum hergestellt, hatte der Minister auf dem ersten vereinigten Landtage der preußischen Provinzial-Abgeordneten die Krone zu vertreten. Heinrich von Treitschke, der Geschichtsschreiber Preußens, sagt darüber: „Eben von schwerster Krankheit genesen, fast allein, selbst ein parlamentarischer Neuling, bot v. B. dieser stürmischen Versammlung die Stirn. Es ergab sich, daß er allein unter allen Ministern ein ungewöhnliches Rednertalent besaß. Höchst unscheinbar gekleidet, fiel er sogleich auf durch seine hohe kriegerische Gestalt und durch den treuherzigen Blick seiner offenen großen Augen. Ursprüngliche Kraft, unschuldige Frische sprachen aus seinem ganzen Wesen, und General von Gerlach, der einen „liberalen” Minister durchaus nicht liebte, sagte wohl: „So ungefähr muß Adam ausgesehen haben.” Der letzte hervorragende Vertreter des alten absolutistischen Beamtentums, hielt er sich verpflichtet, die Willensmeinung des Königs, sofern sie nur dem Rechte nicht offenbar widersprach, mit der ganzen Selbstverleugnung des altgermanischen Vasallen zu verteidigen. Er hatte bei der Beratung des Patents immer wieder und wieder Bedenken hervorgehoben, die ihm sein schlichter Geschäftsverstand aufdrängte, aber der Monarch hatte gesprochen, und an seinem Willen ließe sich nichts mehr ändern.”

      In der westfälischen


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