Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh


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und erwartete, daß auch auf denselben Glockenschlag die Inspektoren und Eleven hereintraten, um die Arbeitseinteilung zu besprechen. Dabei sorgte er treulich für seine Arbeiter und ging ihnen auch in seinem kirchlichen Leben mit gutem Beispiel voran.

      Ich wurde zunächst seinem zweiten Sohn, dem er die Bearbeitung der Domäne Kienitz übertragen hatte, als Eleve anvertraut. Die Domäne Kienitz war damals zwar nicht eins der größten, aber doch eins der bestbewirtschafteten Güter des Oderbruchs. Auch war sie das einzige Gut des Oderbruchs, das eine Zuckerfabrik besaß. Von den 2200 Morgen wurden jedes Jahr 700 mit Zuckerrüben bestellt. Der Viehbestand setzte sich zusammen aus 40 Ackerpferden, 24 Kühen, 100 Ochsen und mehreren 1000 Schafen. Das Gut lag nur eine halbe Stunde von der Oder entfernt. Die breiten mit Weiden bestandenen Wassergräben, die das Gut durchzogen, und ein einziger Sandhügel von 2 bis 3 Morgen, der mit Birken und Tannen bepflanzt war, bildeten die geringe Abwechslung in dieser einförmigen, aber überaus fruchtbaren Ebene.

      Mein Prinzipal war in einiger Verlegenheit, was er mit dem etwas ungewöhnlichen Lehrjungen anfangen solle, der als Studiosus von der Universität kam und von dem er zu denken schien, er würde besondere Ansprüche machen. Auf dem ersten Spaziergang mit ihm ins Feld hinaus kamen wir zu den Ochsenpflügern, die den Acker für die Rüben, die im nächsten Frühjahr gelegt werden sollten, aufbrachen. Es war eine lange außerordentlich dürre Zeit gewesen und darum der Acker so hart wie eine Dreschtenne. Die sogenannten Rigolpflüge waren jeder mit fünf starken Ochsen bespannt, zwei hinten und drei vorn, und der von ihnen umgebrochene Acker war anzusehen wie ein Feld voller aufgebrochener Steinblöcke. Die einzelnen Erdschollen waren zum Teil zentnerschwer. Ein Mann mußte den Pflug führen, während ein anderer die Ochsen langsam antrieb, die unter beständigem Keuchen und Stöhnen einen Erdblock nach dem andern herausholten.

      Ich fragte meinen Prinzipal, ob ich das Pflügen wohl lernen dürfe. Diese Frage schien ihm eine große Erleichterung zu gewähren. Denn ihm war nun aus der Verlegenheit geholfen, und ich war an der Arbeit. Etwa vier Wochen lang habe ich dann einen solchen Rigolpflug geführt. Das war freilich keine leichte Aufgabe. Die Ochsen wurden zweimal am Tage umgespannt, aber der Pflüger mußte von morgens fünf bis abends acht Uhr aushalten, und es war damals in den Septembertagen noch eine recht heiße Sonnenglut. Die Knöchel schwollen mir vor Anstrengung dick an, und ich war bald von der Sonne braun gebrannt trotz einer großen grünen Mütze, die ich auf dem Kopfe trug. Hierauf lernte ich auch mit den Pferden pflügen, deren immer sechs vor einen Pflug gespannt waren, drei in einer Reihe, wobei ich gleichzeitig den Pflug führen und die Pferde regieren mußte.

      Nun ging auch die Herbstbestellung an, und ich lernte mit vier Pferden die Eggen im Kreise herumschleudern, um die steinharte Erdkruste zu zerkleinern. Inzwischen hatte auch die Rübenernte begonnen, die bis tief in den November hinein dauerte. Alle Arbeit, die vorkam, machte ich mit. Am sauersten wurde mir das Säelaken, in das ein halber Scheffel Roggen eingebunden war und mit dem ich den tiefen Acker durchschreiten mußte. Hierbei wurde ich völlig lahm. Als das Frostwetter eintrat, bekam ich meine Arbeit auf dem großen Pachthof, wo nun tüchtig gedroschen wurde. Drei Drescher waren jedesmal zusammen auf dem Scheunenflur. Drei Tage wurde gedroschen und den vierten aufgemessen. Das Aufmessen hatte ich besonders zu beaufsichtigen. Die Drescher bekamen von Roggen und Weizen jedesmal den 15. Scheffel, von Hafer und Gerste jedesmal den 16. zum Eigentum. Das war ihr Lohn. Geld bekamen sie nicht. Daneben hatte ich die Futterausgabe und die Aufsicht über die Ställe. Hier bei den Ochsen, Schafen und Kühen war es im Winter gar heimlich und angenehm.

      Mitunter galt es tagelang auf dem Kornboden stehen und das Getreide einmessen, das auf die Oder-Kähne verladen wurde, um nach Stettin und anderen Hafenstationen ausgeführt zu werden. Eine andere Winterarbeit war das Köpfen der Weiden. Abgesehen von den Gartenbäumen ist fast der einzige Baum des Oderbruchs die Weide, die die zahllosen Gräben der Niederungen begrenzt. Jedes Jahr wurde eine bestimmte Abteilung dieser Weiden abgeholzt, d. h. nur die drei- bis vierjährigen, und zwar über dem Kopf des Stammes. Diese Arbeit wurde mit einem kleinen scharfen Beil verrichtet und kostete mich erst einige Übung, denn die einzelnen Äste durften nicht splittern.

      Sobald der Frühling ins Land kam, ging es an die Vorbereitung der wichtigsten Arbeit des ganzen Jahres, an die Rübenbestellung. Hierbei lernte ich eine heilsame Kunst, nämlich die, treu auf dem bestimmten Posten auszuharren. So verlangte es der alte Herr Koppe von allen seinen jungen Leuten. Nachdem der Acker zubereitet war, wurde zunächst der Same mit Hilfe einer sogenannten Hopser-Schnur gelegt. Die Schnur hatte hundert Knoten in gleich weitem Abstande. Je zwei Knoten, die mit bestimmten Bändern bezeichnet waren, gehörten immer einer Samenlegerin. Diese hatte da, wo ihre beiden Knoten waren, zwei Löcher zu graben, den Samen hineinzulegen, wieder zuzuscharren und mit dem Fuß daraufzutreten. An den beiden Enden der langen Schnur aber standen zwei Leute mit dem Hopser. Diese riefen jedesmal, wenn die Schnur weiterrückte, „Hopp”. Auf solche Weise mußten 700 Morgen mit Samen belegt werden – eine Arbeit, die die größte Sorgfalt erforderte. Es galt aufzupassen, daß keine der Samenlegerinnen zurückblieb und keine unordentliche Arbeit machte. Die größte Freude machte es mir, in den langen, langen Streifen die kleinen Rüben regelmäßig aufgehen zu sehen, und der Kummer war groß, wenn irgendwo schlecht gearbeitet worden war. Hatte man sich die Reihenfolge der einzelnen Legerinnen aufgeschrieben, so konnte man noch nach Wochen wissen, an wem die Schuld lag. Dann kam das Verhacken und Verziehen und abermalige Verhacken der Rüben. Vierzehn Wochen habe ich so ununterbrochen aushalten müssen, ohne mittags nach Hause zu kommen. Mein Mittagessen bekam ich in einem kleinen Korb an irgend einen Grabenrand hinausgeschickt.

      So eintönig diese Arbeit scheint, so machte sie mir doch große Freude. Ihre Eintönigkeit erleichterte ich mir dadurch, daß ich in der Frühstücks- und Mittagspause meinen armen Rübenhackerinnen schöne Geschichten vorlas. Auch führte ich in meiner Tasche entweder Matthias Claudius oder eine andere Sammlung bei mir und lernte, hinter meinen Arbeiterinnen auf- und abgehend, unbemerkt manches schöne Gedicht auswendig. Hiernach kamen die Klee- und die Heuernte und dann die Getreideernte mit ihrer heißen Arbeit und ihrer Freude des Einfahrens, woran alle vierzig Pferde beteiligt waren.

      Als wir eben die Rübenernte begonnen hatten, gab es für mich ein wichtiges Ereignis. Der Krieg gegen Österreich drohte auszubrechen. Meine sämtlichen älteren landwirtschaftlichen Mitarbeiter, auch der erste Inspektor, ja selbst der ältere Bruder meines Prinzipals, der Administrator von Wollup, wurden zu den Fahnen einberufen. So blieb meinem Prinzipal nichts anderes übrig, als mich zum ersten Inspektor avancieren zu lassen. Die Not ist ja der beste Lehrmeister. Ich bekam jetzt ein Reitpferd und hatte mich vom Morgen bis zum Abend tüchtig zu tummeln. Am Abend hatte ich die Löhne auszuzahlen, und oft saß ich bis tief in die Nacht, um mit meiner Rechnung in Ordnung zu kommen. Denn es war eine Haupttugend des alten Koppe, daß er eine so sorgfältige Rechnungslegung verlangte und von jedem Arbeiter, jedem Ochsen, jedem Pferd jeden Abend genau aufgeschrieben haben mußte, was und worauf sie gearbeitet hatten.

      Mitten in diese tapfere Arbeit, die mir viel Freude machte, kam die Nachricht, daß mein Vater, als die Kriegswolken sich dichter zusammenzogen, sich zum Eintritt in die Armee gemeldet und sich sein früheres Regiment als Oberst ausgebeten hatte. In einem seiner Briefe kam es mir so vor, als ob er dächte, mir wäre die Not des Vaterlandes gleichgültig. Ich trat mit diesem Briefe zu meinem Prinzipal und sagte: „Es hilft mir nichts, ich muß mich heute noch in Berlin als Soldat melden.” Als ich in Berlin bei meinem Vater eintrat, sagte er: „Dein Bruder Franz hat sich bereits bei den Garde-Jägern gemeldet; ich wünsche, daß auch du dort eintrittst.” Ich fuhr sofort nach Potsdam, meldete mich beim Kommandeur des Jägerbataillons und wurde als Freiwilliger angenommen. Um dies meinem Vater mitzuteilen, kehrte ich noch einmal nach Berlin zurück. Als ich bei ihm eintrat, war er sehr traurig. Denn soeben war die Nachricht gekommen, daß sich Preußen in Olmütz vor Österreich gedemütigt hatte und das Schwert wieder in die Scheide gesteckt wurde.

      Nun sorgte mein Vater dafür, daß meine Meldung für ungültig erklärt wurde und ich wieder auf mein Arbeitsfeld zurückkehren konnte. Noch an demselben Tage langte ich um Mitternacht auf meinem todmüden Pferde in Kienitz an zur großen Freude meines Prinzipals, um am andern Morgen wieder meinen Dienst zu übernehmen. Als nach einiger Zeit auch meine Kollegen zurückkehrten, wollte mein Prinzipal mich nicht wieder Lehrling werden lassen, sondern schickte mich für den Rest meiner Lehrzeit nach Wollup zu seinem Bruder, einem äußerst liebenswürdigen


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