Der Stechlin. Theodor Fontane

Der Stechlin - Theodor Fontane


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heißt, es sind eigentlich Krammetsvögel, wie schon gestern abend. Aber wer weiß, wie Krammetsvögel auf französisch heißen? Ich wenigstens weiß es nicht. Und ich glaube, nicht einmal Tucheband wird uns helfen können.«

      Ein allgemeines verlegenes Schweigen bestätigte Dubslavs Vermutung über französische Vokabelkenntnis.

      »Wir kamen übrigens,« fuhr dieser fort, »dicht vor Globsow durch einen Dohnenstrich, überall hingen noch viele Krammetsvögel in den Schleifen, was mir auffiel und was ich doch, wie so vieles Gute, meinem alten Krippenstapel zuschreiben muß. Es wäre doch ne Kleinigkeit für die Jungens, den Dohnenstrich auszuplündern. Aber so was kommt nicht vor. Was meinen Sie, Lorenzen?«

      »Ich freue mich, daß es ist, wie es ist, und daß die Dohnenstriche nicht ausgeplündert werden. Aber ich glaube, Herr von Stechlin, Sie dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen.«

      Dubslav lachte herzlich. »Da haben wir wieder die alte Geschichte. Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor herum, und jeder Pastor pastort über seinen Schulmeister. Ewige Rivalität. Der natürliche Zug ist doch, daß die Jungens nehmen, was sie kriegen können. Der Mensch stiehlt wie'n Rabe. Und wenn er's mit einmal unterläßt, so muß das doch nen Grund haben.«

      »Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloß einen andern. Was sollen sie mit nem Krammetsvogel machen? Für uns ist es eine Delikatesse, für einen armen Menschen ist es gar nichts, knapp soviel wie'n Sperling.«

      »Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit dem ›Patrimonium der Enterbten‹ im Anschlag; Sperling, das klingt ganz so. Aber soviel ist doch richtig, daß Krippenstapel die Jungens brillant in Ordnung hält; wie ging das heute Schlag auf Schlag, als ich den kurzgeschorenen Schwarzkopp ins Examen nahm, und wie stramm waren die Jungens und wie manierlich, als wir sie nach ner Stunde in Globsow wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt in allem. ›Frei, aber nicht frech‹, das ist so mein Satz.«

      Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabei gewesen waren, waren neugierig, auf welchen Vorgang sich all dies Lob des Alten bezöge.

      »Was hat denn,« fragte Woldemar, »die Globsower Jungens mit einemmal zu so guter Reputation gebracht?«

      »O, es war wirklich scharmant,« sagte Czako, »wir steckten noch unter den Waldbäumen, als wir auch schon Stimmen wie Kommandorufe hörten, und kaum daß wir auf einen freien, von Kastanien umstellten Platz hinausgetreten waren (eigentlich war es wohl schon ein großer Fabrikhof), so sahen wir uns wie mitten in einer Bataille.«

      Rex nickte zustimmend, während Czako fortfuhr: »Auf unserer Seite stand die bis dahin augenscheinlich siegreiche Partei, deren weiterer Angriff aber wegen der guten gegnerischen Deckung mit einem Male stoppte. Kaum zu verwundern. Denn eben diese Deckung bestand aus wohl tausend, ein großes Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene Truppe wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen sie nun und nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden Kastanien geführtes Feuergefecht auf. Die meisten ihrer Schüsse gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie lange, zusehn können. Als man unserer aber ansichtig wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken auseinander. Überall sind Photographen. Nur wo sie hingehören, da fehlen sie. Genau so wie bei der Polizei.«

      Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört.

      »Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen es aber; Sie können mit nem Dukaten den Großen Kurfürsten vergolden.«

      »Ja,« sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche lassend, »das tut unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer Dichtung.«

      »Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen.«

      »Und dabei, lieber Czako,« nahm jetzt Dubslav das Wort, »dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In so wichtiger Sache müssen Sie mir aber in meiner Lieblingssorte Bescheid tun, nicht in Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das ›natürliche Getränk des norddeutschen Menschen‹ genannt hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht der größte. Das natürliche Getränk des norddeutschen Menschen ist am Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, wo sich, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. Ungefähr von dieser Vermählungsstelle kommt auch der hier.« Und dabei wies er auf eine vor ihm stehende Bocksbeutelflasche. »Sehen Sie, meine Herren, verhaßt sind mir alle langen Hälse; das hier aber, das nenn ich eine gefällige Form. Heißt es nicht irgendwo: ›Laßt mich dicke Leute sehn,‹ oder so ähnlich. Da stimm ich zu; dicke Flaschen, die sind mein Fall.« Und dabei stieß er wiederholt mit Czako an. »Noch einmal, auf Ihr Wohl. Und auf Ihres, Herr von Rex. Und dann auf das Wohl meiner Globsower, oder wenigstens meiner Globsower Jungens, die sich nicht bloß um Fehrbellin kümmern und um Leipzig, sondern, wie wir gesehen haben, auch selber ihre Schlachten schlagen. Ich ärgere mich nur immer, wenn ich diese riesigen Ballons da zwischen meinen Globsowern sehe. Und hinter dem ersten Fabrikhof (ich wollte Sie nur nicht weiter damit behelligen), da ist noch ein zweiter Hof, der sieht noch schlimmer aus. Da stehen nämlich wahre Glasungeheuer, auch Ballons, aber mit langem Hals dran, und die heißen dann Retorten.«

      »Aber Papa,« sagte Woldemar, »daß du dich über die paar Retorten und Ballons nie beruhigen kannst. So lang ich nur denken kann, eiferst du dagegen. Es ist doch ein wahres Glück, daß so viel davon in die Welt geht und den armen Fabrikleuten einen guten Lohn sichert. So was wie Streik kommt hier ja gar nicht vor, und in diesem Punkt ist unsre Stechliner Gegend doch wirklich noch wie ein Paradies.«

      Lorenzen lachte.

      »Ja, Lorenzen, Sie lachen,« warf Dubslav hier ein. »Aber bei Lichte besehen hat Woldemar doch recht, was (und Sie wissen auch warum) eigentlich nicht oft vorkommt. Es ist genau so, wie er sagt. Natürlich bleibt uns Eva und die Schlange; das ist uralte Erbschaft. Aber so viel noch von guter alter Zeit in dieser Welt zu finden ist, so viel findet sich hier, hier in unsrer lieben alten Grafschaft. Und in dies Bild richtiger Gliederung, oder meinetwegen auch richtiger Unterordnung (denn ich erschrecke vor solchem Worte nicht), in dieses Bild des Friedens paßt mir diese ganze Globsower Retortenbläserei nicht hinein. Und wenn ich nicht fürchten müßte, für einen Querkopf gehalten zu werden, so hätt ich bei hoher Behörde schon lange meine Vorschläge wegen dieser Retorten und Ballons eingereicht. Und natürlich gegen beide. Warum müssen es immer Ballons sein? Und wenn schon, na, dann lieber solche wie diese. Die lass' ich mir gefallen.« Und dabei hob er die Bocksbeutelflasche.

      »Wie diese,« bestätigte Czako.

      »Ja, Czako, Sie sind ganz der Mann, meinen Papa in seiner Idiosynkrasie zu bestärken.«

      »Idiosynkrasie,« wiederholte der Alte. »Wenn ich so was höre. Ja, Woldemar, da glaubst du nun wieder wunder was Feines gesagt zu haben. Aber es ist doch bloß ein Wort. Und was bloß ein Wort ist, ist nie was Feines, auch wenn es so aussieht. Dunkle Gefühle, die sind fein. Und so gewiß die Vorstellung, die ich mit dieser lieben Flasche hier verbinde, für mich persönlich was Celestes hat … kann man Celestes sagen? …« Lorenzen nickte zustimmend, »so gewiß hat die Vorstellung, die sich für mich an diese Globsower Riesenbocksbeutelflaschen knüpft, etwas Infernalisches.«

      »Aber Papa.«

      »Still, unterbrich mich nicht, Woldemar. Denn ich komme jetzt eben an eine Berechnung, und bei Berechnungen darf man nicht gestört werden. Über hundert Jahre besteht nun schon diese Glashütte, und wenn ich nun so das jedesmalige Jahresprodukt mit hundert multipliziere, so rechne ich mir alles in allem wenigstens eine Million heraus. Die schicken sie zunächst in andre Fabriken, und da destillieren sie flott drauflos, und zwar allerhand schreckliches Zeug in diese grünen Ballons hinein: Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure. Das ist die schlimmste, die hat immer einen rotgelben Rauch, der einem gleich die Lunge anfrißt. Aber wenn einen der Rauch auch zufrieden läßt, jeder Tropfen brennt ein Loch, in Leinwand oder in Tuch, oder in Leder, überhaupt in alles; alles wird angebrannt und angeätzt. Das ist das Zeichen unsrer Zeit jetzt, ›angebrannt und angeätzt‹. Und wenn ich dann bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich die Werkzeuge liefern für die große Generalweltanbrennung, ja, hören Sie, meine Herren, das gibt mir einen Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, jeder kriegte


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