Der Stechlin. Theodor Fontane

Der Stechlin - Theodor Fontane


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Zugehörigkeit zu eben diesen Kreisen bewußt gewesen war. Daß man sie zur Domina gemacht hatte, war nur zu billigen. Sie wußte zu rechnen und anzuordnen und war nicht bloß von sehr gutem natürlichen Verstand, sondern unter Umständen auch voller Interesse für ganz bestimmte Personen und Dinge. Was aber, trotz solcher Vorzüge, den Verkehr mit ihr so schwer machte, das war die tiefe Prosa ihrer Natur, das märkisch Enge, das Mißtrauen gegen alles, was die Welt der Schönheit oder gar der Freiheit auch nur streifte.

      Sie erhob sich, als die drei Herren eintraten, und war gegen Rex und Czako aufs neue von verbindlichstem Entgegenkommen. »Ich muß Ihnen noch einmal aussprechen, meine Herren, wie sehr ich bedaure, Sie nur so kurze Zeit unter meinem Dache sehen zu dürfen.«

      »Du vergißt mich, liebe Tante,« sagte Woldemar. »Ich bleibe dir noch eine gute Weile. Mein Zug geht, glaub ich, erst um neun. Und bis dahin erzähl ich dir eine Welt und – beichte.«

      »Nein, nein, Woldemar, nicht das, nicht das. Erzählen sollst du mir recht, recht viel. Und ich habe sogar Fragen auf dem Herzen. Du weißt wohl schon, welche. Aber nur nicht beichten. Schon das Wort macht mir jedesmal ein Unbehagen. Es hat solch ausgesprochen katholischen Beigeschmack. Unser Rentmeister Fix hat recht, wenn er sagt: ›Beichte sei nichts, weil immer unaufrichtig, und es habe in Berlin – aber das sei nun freilich schon sehr, sehr lange her – einen Geistlichen gegeben, der habe den Beichtstuhl einen Satansstuhl genannt.‹ Das find ich nun offenbar übertrieben und habe mich auch in diesem Sinne zu Fix geäußert. Aber andrerseits freue ich mich doch immer aufrichtig, einem so mutig protestantischen Worte zu begegnen. Mut ist, was uns not tut. Ein fester Protestant, selbst wenn er schroff auftritt, ist mir jedesmal eine Herzstärkung, und ich darf ein gleiches Empfinden auch wohl bei Ihnen, Herr von Rex, voraussetzen?«

      Rex verbeugte sich. Woldemar aber sagte zu Czako: »Ja, Czako, da sehen Sie's. Sie sind nicht einmal genannt worden. Eine Domina – verzeih, Tante – bildet eben ein feines Unterscheidungsvermögen aus.«

      Die Tante lächelte gnädig und sagte: »Herr von Czako ist Offizier. Es gibt viele Wohnungen in meines Vaters Hause. Das aber muß ich aussprechen, der Unglaube wächst, und das Katholische wächst auch. Und das Katholische, das ist das Schlimmere. Götzendienst ist schlimmer als Unglaube.«

      »Gehst du darin nicht zu weit, liebe Tante?«

      »Nein, Woldemar. Sieh, der Unglaube, der ein Nichts ist, kann den lieben Gott nicht beleidigen; aber Götzendienst beleidigt ihn. Du sollst keine andern Götter haben neben mir. Da steht es. Und nun gar der Papst in Rom, der ein Obergott sein will und unfehlbar.«

      Czako, während Rex schwieg und nur seine Verbeugung wiederholte, kam auf die verwegene Idee, für Papst und Papsttum eine Lanze brechen zu wollen, entschlug sich dieses Vorhabens aber, als er wahrnahm, daß die alte Dame ihr Dominagesicht aufsetzte. Das war indessen nur eine rasch vorüberziehende Wolke. Dann fuhr Tante Adelheid, das Thema wechselnd, in schnell wiedergewonnener guter Laune fort: »Ich habe die Fenster öffnen lassen. Aber auch jetzt noch, meine Herren, ist es ein wenig stickig. Das macht die niedrige Decke. Darf ich Sie vielleicht auffordern, noch eine Promenade durch unsern Garten zu machen? Unser Klostergarten ist eigentlich das Beste, was wir hier haben. Nur der unsers Rentmeisters ist noch gepflegter und größer und liegt auch am See. Rentmeister Fix, der hier alles zusammenhält, ist uns, wie in wirtschaftlichen Dingen, so auch namentlich in seinen Gartenanlagen, ein Vorbild; überhaupt ein charaktervoller Mann, und dabei treu wie Gold, trotzdem sein Gehalt unbedeutend ist und seine Nebeneinnahmen ganz unsicher in der Luft schweben. Ich hatte Fix denn auch bitten lassen, mit uns bei Tisch zu sein; er versteht so gut zu plaudern, gut und leicht, ja beinahe freimütig und doch immer durchaus diskret. Aber er ist dienstlich verhindert. Die Herren müssen sich also mit mir begnügen und mit einer unsrer Konventualinnen, einem mir lieben Fräulein, das immer munter und ausgelassen, aber doch zugleich bekenntnisstreng ist, ganz von jener schönen Heiterkeit, die man bloß bei denen findet, deren Glaube feste Wurzeln getrieben hat. Ein gut Gewissen ist das beste Ruhekissen. Damit hängt es wohl zusammen.«

      Rex, an den sich diese Worte vorzugsweise gerichtet hatten, drückte wiederholt seine Zustimmung aus, während Czako beklagte, daß Fix verhindert sei. »Solche Männer sprechen zu hören, die mit dem Volke Fühlung haben und genau wissen, wie's einerseits in den Schlössern, andrerseits in den Hütten der Armut aussieht, das ist immer in hohem Maße fördernd und lehrreich und ein Etwas, auf das ich jederzeit ungern verzichte.«

      Gleich danach erhob man sich und ging ins Freie.

      Der Garten war von sehr ländlicher Art. Durch seine ganze Länge hin zog sich ein von Buchsbaumrabatten eingefaßter Gang, neben dem links und rechts, in wohlgepflegten Beeten, Rittersporn und Studentenblumen blühten. Gerade in seiner Mitte weitete sich der sonst schmale Gang zu einem runden Platz aus, darauf eine große Glaskugel stand, ganz an die Stechliner erinnernd, nur mit dem Unterschied, daß hier das eingelegte blanke Zinn fehlte. Beide Kugeln stammten natürlich aus der Globsower »grünen Hütte«. Weiterhin, ganz am Ausgange des Gartens, wurde man eines etwas schiefen Bretterzaunes ansichtig, mit einem Pflaumenbaum dahinter, dessen einer Hauptzweig aus dem Nachbargarten her in den der Domina herüberreichte.

      Rex führte die Tante. Dann folgte Woldemar mit Hauptmann Czako, weit genug ab von dem vorausgehenden Paar, um ungeniert miteinander sprechen zu können.

      »Nun, Czako,« sagte Woldemar, »bleiben wir, wenn's sein kann, noch ein bißchen weiter zurück. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich in diesem Garten bin. Allen Ernstes. Ich habe hier nämlich als Junge hundertmal gespielt und in den Birnbäumen gesessen; damals standen hier noch etliche, hier links, wo jetzt die Mohrrübenbeete stehen. Ich mache mir nichts aus Mohrrüben, woraus ich übrigens schließe, daß wir heute welche zu Tisch kriegen. Wie gefällt Ihnen der Garten?«

      »Ausgezeichnet. Es ist ja eigentlich ein Bauerngarten, aber doch mit viel Rittersporn drin. Und zu jedem Rittersporn gehört eine Stiftsdame.«

      »Nein, Czako, nicht so. Sagen Sie mir ganz ernsthaft, ob Sie solche Gärten leiden können.«

      »Ich kann solche Gärten eigentlich nur leiden, wenn sie eine Kegelbahn haben. Und dieser hier ist wie geschaffen dazu, lang und schmal. Alle unsre modernen Kegelbahnen sind zu kurz, wie früher alle Betten zu kurz waren. Wenn die Kugel aufsetzt, ist sie auch schon da, und der Bengel unten schreit einen an mit seinem ›acht um den König‹. Für mich fängt das Vergnügen erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel anmerkt, sie möchte links oder rechts abirren, aber die eingeborene Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf der rechten Bahn. Es hat was Symbolisches oder Pädagogisches, oder meinetwegen auch Politisches.«

      Unter diesem Gespräche waren sie, ganz nach unten hin, bis an die Stelle gekommen, wo der nachbarliche Pflaumenbaum seinen Zweig über den Zaun wegstreckte. Neben dem Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm, stand eine grüngestrichene Bank, auf der, von dem Gezweig überdacht, eine Dame saß, mit einem kleinen runden Hut und einer Adlerfeder. Als sich die Herrschaften ihr näherten, erhob sie sich und schritt auf die Domina zu, dieser die Hand zu küssen; zugleich verneigte sie sich gegen die drei Herren.

      »Erlauben Sie mir,« sagte Adelheid, »Sie mit meiner lieben Freundin, Fräulein von Schmargendorf, bekannt zu machen. Hauptmann von Czako, Ministerialassessor von Rex … Meinen Neffen, liebe Schmargendorf, kennen Sie ja.«

      Adelheid, als sie so vorgestellt hatte, zog ihre kleine Uhr aus dem Gürtel hervor und sagte: »Wir haben noch zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, – Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tischdame sein.«

      Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. Von den sieben Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung haben soll, hatte sie, soweit sich ihr »Kredit« feststellen ließ, nur die Büste. Sie war sich dessen denn auch bewußt und trug immer dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbesatz oberhalb der Taille. Dieser Besatz bestand aus drei Dreiecken, deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächst aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag daran, jung zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Pastor war natürlich verheiratet


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