Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag

Soll und Haben, Bd. 1 (2) - Gustav Freytag


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angezündet,« ruft Herr Stephan zum Himmel blickend.

      »Wai!« schreit der Mann im Kaftan, »was ist das: Fort mit Euch? Mit Fort kann man machen keine Geschäfte.«

      »Was wollt Ihr also haben für Eure Wolle?«

      »412/3,« sagt Tinkeles.

      »Hinaus!« bemerkt Fink.

      »Sagen Sie doch nicht immer hinaus!« bittet der Jude in Verzweiflung, »sagen Sie, was wollen Sie geben?«

      »Wenn Ihr so unverschämt fordert, gar nichts,« sagt Fink, eine neue Seite seines Briefes beginnend.

      »Sagen Sie doch nur, was wollen Sie geben?« bittet der Jude wieder.

      »Nur wenn Ihr wie ein anständiger Mann redet,« antwortet Fink, den Juden ansehend.

      »Ich bin anständig,« sagt der Jude leise, »was wollen Sie geben?«

      »39,« sagt Fink.

      Jetzt geräth Schmeie Tinkeles außer sich, schüttelt seine schwarzen Locken und verschwört sich bei seiner Seele Seligkeit mit lautem Geschrei, er könne nicht unter 41; worauf Fink ihm bedeutet, er werde ihn von einem Hausknecht hinausführen lassen, wenn er solchen Lärm mache. Darauf geht der Jude entrüstet vor die Thüre, steckt den Kopf wieder herein und ruft: »Also was wollen Sie geben?«

      »39,« sagt Fink und sieht der aufgeregten Mimik des Händlers ungefähr mit demselben Interesse zu, mit dem ein Physiker die galvanischen Zuckungen eines Frosches betrachtet. Die Zahl 39 bewirkt in der Seele des Juden eine neue Explosion, er tritt wieder vor, verschwört seine Seele in den tiefsten Abgrund der Hölle und erklärt sich selbst für das nichtswürdigste Scheusal der Welt, wenn er für weniger als 41 ablassen könne. Als er sich auf wiederholte Ermahnungen Finks, ruhig zu werden, dazu nicht entschließen kann, wird der Hausknecht gerufen. Das Erscheinen desselben wirkt so weit beruhigend, daß Herr Tinkeles erklärt, er könne allein gehen und werde allein gehen, worauf er still steht und 40½ sagt. Der Agent, der Provinziale und das Comtoir sind still und hören der Verhandlung neugierig zu, während Fink dem armen Schmeie mit einer gewissen Herzlichkeit den Vorschlag macht, er solle sich ohne Weiteres entfernen, er sei völlig Narr und mit ihm kein Geschäft zu machen. Darauf wendet sich der Jude trotzig ab und geht hinaus. Und wieder fährt Herr Braun fort: »Dieser Sturm war ein seltenes Unglück, der Kaffe muß steigen;« und Herr Stephan beweist, daß die Selbstmorde und andere Unthaten seit Erfindung der Schwefelhölzer zugenommen haben; und Fink sagt zum Prinzipal, der einen unterdeß erhaltenen Brief durchliest: »Er wird's lassen, wenn ich ihm noch einen halben Thaler zulege. Wollen Sie mit 39½ abmachen?«

      »Wie viel?« fragt der Kaufmann.

      »12 °Centner,« sagt Fink.

      »Nehmen Sie,« sagt der Kaufmann und liest weiter.

      Von Neuem wird die Thür aufgerissen, das Geschwirr geht fort, und Anton müht sich vergebens, zu verstehen, wie man die Wolle kaufen könne, nachdem der Verkäufer in so entschiedener Weise gegangen ist. Da öffnet sich, grade als wieder drei bis vier Stimmen durcheinander sprechen, ganz leise die Thür, Tinkeles schleicht auf den Zehen herein bis hinter Finks Platz und sagt, diesem die Hand auf die Schulter legend, wehmüthig und vertraulich: »Was wollen Sie noch geben?«

      Fink wendet sich um und sagt ebenfalls mit vertraulichem Lächeln: »Weil Ihr es seid, Tinkeles, 391/3, aber nur unter der Bedingung, daß Ihr kein Wort weiter sprecht, sonst nehm' ich das Gebot zurück.«

      »Ich spreche nichts,« antwortet der Jude, »sagen Sie 40.«

      Fink macht eine Bewegung der Entrüstung und weist schweigend nach der Thür. Der Händler geht und dreht an der Thür um.

      »Jetzt kommt's,« sagt Fink. Darauf kehrt der Händler zurück und spricht mit mehr Haltung: »39½, wenn Sie es dafür wollen nehmen.«

      Nach einigem Zögern bemerkt Fink wie gelegentlich: »Es mag sein.« Worauf Schmeie Tinkeles ganz umgewandelt ist, sich als liebenswürdigen Freund der Handlung erweist und angelegentlich nach dem Befinden des Prinzipals erkundigt.

      Und wieder knarrte nach diesem Intermezzo die Thür, neue Käufer und Verkäufer kamen, die Menschen sprachen und Federn knisterten, das Gold rollte unaufhörlich.

      Auch der Haushalt, dem Anton jetzt angehörte, erschien ihm sehr fremdartig und mächtig.

      Das Haus selbst war ein altes unregelmäßiges Gebäude mit Seitenflügeln, kleinen Höfen und Hinterhäusern, voll von Mauern und kleinen Treppen, von geheimnißvollen Durchgängen, wo kein Mensch welche vermuthete, von Corridoren, Nischen, tiefen Wandschränken und Glasverschlägen. Es war ein durchaus künstlicher Bau, an dem Jahrhunderte gearbeitet hatten, um ihn für späte Enkel so schwierig und unverständlich als irgend möglich zu machen. Und doch sah er im Ganzen betrachtet behaglich aus und umfaßte mit seinen Mauern eine große Welt voll Menschen und Interessen. Der ganze Raum unter dem Gebäude und unter seinen Höfen war zu Kellern gewölbt und bis an die Gewölbgurte mit Waaren gefüllt; das ganze Parterre gehörte der Handlung und enthielt außer den Comtoirzimmern fast nichts als Waarenräume. Darüber lagen im Vorderhause die Säle und Zimmer, in denen der Kaufherr selbst wohnte. Herr Schröter war nur kurze Zeit verheirathet gewesen, in einem Jahr hatte er Frau und Kind verloren, seit dem Tode seiner Eltern war eine Schwester Alles, was er von Familie besaß.

      Streng hielt der Kaufmann auf den alten Brauch seiner Handlung. Alle Herren des Comtoirs, welche nicht verheirathet waren, wohnten in seinem Hause, gehörten seinem Haushalt an und aßen alle Mittage Punkt ein Uhr an dem Tische des Prinzipals. Am Morgen nach Antons Eintritt hatte Herr Schröter nur wenige Worte mit ihm gewechselt und ihn darauf Herrn Jordan und dem Provinzialgeschäft übergeben. Jetzt, einige Minuten vor der Mittagsstunde, war Anton in die Zimmer des ersten Stocks bestellt, um der Dame des Hauses vorgestellt zu werden. Erwartungsvoll stieg er die Teppichstufen der breiten Treppe hinauf, der Bediente öffnete und führte ihn durch eine Reihe von Gemächern in das Empfangzimmer. Anton sah auf seinem Wege mit Erstaunen den ruhigen und soliden Glanz der Einrichtung, die großen Wandspiegel, schwere Stoffe, Gemälde, Blumentische, zahlreiche Vasen und Fruchtschaalen von Stein und gemaltem Porcellan. Der Diener schlug eine Portiere zurück, und Anton machte auf dem glatten Parquetboden eine tiefe Verbeugung, als der Prinzipal ihn einer jungen Dame vorstellte und dazusetzte: »Meine Schwester Sabine.«

      Fräulein Sabine zeigte über dem eleganten Sommerkleide ein feines bleiches Gesicht, von rabenschwarzem Haar eingefaßt. Sie war nicht älter als Anton, aber sie hatte die Würde und Haltung einer Hausfrau. Sie nöthigte Platz zu nehmen und frug ihn theilnehmend, wie er sich eingerichtet habe und ob er noch irgend etwas vermisse.

      »Meine Schwester regiert uns Alle,« sagte der Kaufmann mit einem freundlichen Blick auf die Dame, »machen Sie hier Ihre Bekenntnisse, wenn Sie irgend einen wirthschaftlichen Wunsch haben; sie ist die gute Fee, welche den Haushalt in Ordnung hält.«

      Anton sah zu der Fee auf und antwortete schüchtern: »Ich habe bis jetzt Alles weit glänzender gefunden, als ich von Hause aus gewöhnt bin.«

      »Ihr Leben wird Ihnen bei alle dem mit der Zeit einförmig erscheinen,« fuhr der Kaufmann fort, »es ist eine strenge Regelmäßigkeit in unserm Hause, Sie haben viele Arbeit und wenig Zerstreuung zu erwarten; meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen, auch nach dem Schluß des Comtoirs. Wenn Sie aber in irgend einer Angelegenheit Rath oder Hülfe wünschen, so bitte ich, sich vor Allem an mich zu wenden.«

      Nach dieser kurzen Audienz erhob er sich und führte Anton nach dem Speisezimmer. Auf dem Wege setzte er ihm die Stellung eines Lehrlings im Geschäft auseinander. Anton fand seine Collegen bereits aufgestellt und in bescheidener Toilette das Mahl erwartend; Sabine trat ein und mit ihr eine ältliche Dame, eine entfernte Verwandte der Familie, welche dem Fräulein in der Wirthschaft half und sehr gutmüthig aussah. Die Herren vom Comtoir machten den Damen ihre Verbeugung und Anton erhielt seinen Platz am Ende einer langen Tafel, zwischen den jüngsten seiner Collegen. Ihm gerade gegenüber saß Sabine, neben dieser ihr Bruder, auf der andern Seite die Verwandte, neben dieser Herr von Fink und dahinter alles Uebrige genau nach Rang und Alter im Geschäft. Es war im Ganzen ein stilles Diner, welches eingenommen wurde, Antons Nachbarn sprachen nur wenig und mit gedämpfter Stimme, das Gespräch wurde fast ausschließlich von


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