Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag
lagen fünfundvierzigtausend Thaler in neuen weißen Pfandbriefen der Landschaft. Der Freiherr betrachtete die Pfandbriefe mit vieler Zärtlichkeit. Er saß in den ersten Tagen stundenlang vor dem geöffneten Kästchen und wurde nicht müde, die Pergamentblätter nach den Nummern zu ordnen, sich über den reinlichen weißen Glanz derselben zu freuen und die Tilgungspläne für das Capital zu entwerfen. Auch als er das Kästchen der Sicherheit wegen wieder in's Depositum der Landschaft gegeben hatte, war der Gedanke daran eine von den kleinen Freuden, welche der ritterliche Freiherr im Stillen hatte. Ja, der Geist dieses Kästchens spukte in seinem Haushalt fort. Die Baronin war verwundert, wenn ihr Gemahl zuweilen anfing, da zu sparen, wo er es sonst nicht gethan hatte; wenn er einige Male von Logenbilleten abrieth, weil man gute Wirthschaft treiben müsse, oder wenn er ihr mit einer gewissen Freude erzählte, daß er am vergangenen Abend zehn Louisd'or im Spiel gewonnen habe. Die verständige Dame wurde ernstlich besorgt, ob ihr Gemahl nicht durch einen Unfall in Geldverlegenheit gekommen sei; indeß beruhigten sie seine Versicherungen vom Gegentheil und ein zufriedenes Lächeln, welches in solchen Stunden über seinem Gesicht schwebte, sehr bald wieder. In der That waren die kleinen Anfälle von Sparsamkeit nicht consequent und nichts Anderes, als eine unschuldige Laune, denn in allen größeren Dingen hielt der Freiherr in gewohnter Weise auf anständige Repräsentation, und sein Auftreten war durchaus seiner Familie und seinem Wohlstande entsprechend.
Auch war es in der That nicht möglich, gerade jetzt zurückzulegen. Das Leben in der Stadt, die Einrichtung der Wohnung und die unvermeidlichen geselligen Ansprüche verringerten natürlich die Ausgaben nicht.
So kam es, daß der Freiherr, als er zur Abnahme der Winterrechnungen auf sein Gut gereist war, sehr verstimmt nach der Stadt zurückkehrte. Er hatte große Rechnung gemacht, er hatte gesehen, daß die Ausgaben des letzten Jahres größer gewesen waren, als die Einnahmen, daß der Revenüenanschlag des nächsten Jahres keine Deckung des Deficits versprach, daß fast zweitausend Thaler fehlten, welche geschafft werden mußten. Der Gedanke griff ihm an das Herz, daß er dies Geld von den weißen Pergamenten nehmen sollte, und dem Manne, welcher mit dem größten Anstand einen feindlichen Kugelregen ausgehalten hätte, wurde siedend heiß, wenn er dachte, daß er in diesem Falle einige Tausend Thaler wirklicher Schulden auf seinem Gute haben würde. Er war verständig genug, einzusehen, daß in seiner Speculation ein Fehler gewesen war. Wenn man ein Vermögen durch jährliche kleine Ersparnisse erwerben will, muß man seine Ausgaben einschränken; er aber hatte seine Ausgaben bedeutend vermehrt. Ohne Zweifel war diese Vermehrung sehr nothwendig gewesen, aber es war ein unglücklicher Zufall, daß das so zusammentraf. Seit seinen Lieutnanttagen hatte der gute Herr keine so peinliche Unruhe empfunden. Aus der Stadt zurück konnte er nicht, dafür gab es tausend Gründe; er hatte die Wohnung auf eine Reihe von Jahren gemiethet, was würden die Bekannten zu einer plötzlichen Abreise gesagt haben, wie hätte er seiner geliebten Frau und Lenoren das Opfer zumuthen können? So verschloß er den Aerger in sich. Er entschuldigte gegenüber den besorgten Fragen der Baronin seine Verstimmung durch eine Erkältung auf der Reise, aber tagelang nagte der Gedanke an ihm, daß er einen Verlust erlitten habe, daß er zurückgekommen sei; und je sanguinischer er vorher gewesen war, desto niedergeschlagener wurde er jetzt. Ja es geschah, daß er auf einem Spaziergange durch die Stadt bei einem Lotterieeinnehmer eintrat und ein Lotterielos kaufte, damit ein gütiges Geschick das gut machen möge, was schadhaft war. Zuweilen, besonders am Abend, wenn er aus heiterer Gesellschaft kam, lächelte er selbst über diese Verstimmung und schalt sie thöricht. Das ganze Unglück war so unbedeutend, es war ja keine Lebensfrage; in wenigen Jahren konnten seine Angelegenheiten wieder auf's Beste arrangirt sein. Nur an den nüchternen Morgen kam ihm der langweilige Gedanke wieder, und er konnte ihn nicht los werden.
An einem solchen Morgen wurde Herr Ehrenthal gemeldet, der ihm eine Summe für gekauftes Getreide zu zahlen hatte. Den Freiherrn überkam ein peinliches Gefühl, als der Bediente den Namen Ehrenthal aussprach; der Mann hatte ihm den Rath gegeben, Pfandbriefe aufzunehmen. Freilich sagte er sich im nächsten Augenblick, daß derselbe Mann ihm nicht den Rath gegeben hatte, nach der Stadt zu ziehen; aber er grollte ihm doch, und sein Gruß mochte wohl kälter klingen als gewöhnlich. Herr Ehrenthal war ein zu guter Geschäftsmann, um auf die Launen seiner Kunden viel zu geben. Er zählte sein Geld auf und war dabei freigebig mit den Versicherungen seiner Ergebenheit. Der Freiherr blieb unzugänglich, bis Ehrenthal im Abgehen frug: »Und sie sind gekommen, die Pfandbriefe, gnädiger Herr Baron?«
»Ja,« sagte der Herr mürrisch.
»Es ist jammerschade,« rief Ehrenthal, »daß fünfundvierzigtausend Thaler liegen sollen so todt, als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt. Dem Herrn Baron ist's gleich, ob er einmal gewinnt ein Paar tausend Thaler oder nicht, aber unser Einem ist es nicht gleich. Ich kann in diesem Augenblick machen ein solides Geschäft und ein sicheres, und mein Geld ist versteckt, ich muß mir entgehen lassen einen baaren Gewinn von viertausend Thalern.«
Der Freiherr hörte aufmerksam zu, der Händler fuhr mit größerm Muthe fort: »Herr Baron, Sie kennen mich seit Jahren als einen ehrlichen Mann, Sie wissen auch, daß ich nicht ohne Mittel bin; ich will Ihnen einen Vorschlag thun: Leihen Sie mir zehntausend Thaler Pfandbriefe auf drei Monat; ich gebe Ihnen für das Capital einen Wechsel auf mich selbst, welcher ist wie baar Geld. Es sind zu gewinnen viertausend Thaler bei dem Geschäft; was gewonnen wird, das theile ich mit dem Herrn Baron statt der Zinsen zu gleichen Theilen. Sie sollen kein Risico haben, und wir machen das Geschäft zusammen. Wenn verloren wird, trage ich's allein und zahle in drei Monaten dem gnädigen Herrn die zehntausend Thaler zurück.«
Diese Worte des Händlers, so wenig aufregend sie wahrscheinlich in das Ohr des Lesers dringen, klangen dem Freiherrn wie ein Alarmsignal beim unbehaglichen Bivouac. Eine heftige Spannung, eine wilde Freude arbeitete in ihm. Kaum hatte er Ruhe genug, zu sagen: »Vor Allem muß ich wissen, von welcher Art das Geschäft ist, das Sie mit meinem Gelde machen wollen.«
Der Geldmann setzte das auseinander. Es war ihm der Antrag gemacht, eine große Quantität Holz zu kaufen. Das Holz lag auf einem Flößplatz im obern Theile der Provinz. Der Händler holte die Berechnung der Holzmasse, der Transportkosten bis zur Hauptstadt und des Werthes, den das Holz in der Hauptstadt haben würde, aus seiner Tasche und bewies dem Freiherrn, daß dabei in sechs bis acht Wochen ein sicherer Gewinn von bedeutender Größe zu machen sei.
Der Freiherr sah mit Aufmerksamkeit die Menge der Zahlen durch; wenn die Berechnung richtig war, so war der Gewinn sonnenklar; er that aber doch die bedächtige Frage: »Wie kommt es, daß der Eigenthümer des Holzes das Geschäft nicht selbst macht, und daß er sich einen so sichern Gewinn entgehen läßt?«
Der Händler zuckte die Achseln. »Wer ein Geschäft macht, kann nicht immer fragen, warum läßt der Andere die Waare so billig? Wer in Verlegenheit ist, kann nicht warten zwei bis drei Monat, das Eis liegt auf dem Fluß, der Mann braucht das Geld binnen hier und zwei Tagen.«
»Sind Sie sicher, daß das Eigenthumsrecht des Verkäufers unbestreitbar ist?« frug der Freiherr.
»Der Mann ist mir sicher,« sagte der Händler; »wenn ich ihm das Geld bis morgen Abend schaffe, ist das Holz mein.«
Dem Edelmann war es peinlich, die Verlegenheit eines Andern zu benutzen, so sehr sich auch sein Herz nach dem Gewinn sehnte. Er sagte mit Würde: »Ich halte es für unpassend, auf den Verlust eines Andern zu rechnen.«
»Warum soll er haben Verlust?« rief Ehrenthal eifrig. »Er ist Speculant, jetzt braucht er Geld; vielleicht will er machen ein größeres Geschäft; so muß er den Vortheil am kleinern überlassen einem Andern. Er hat sich erboten, gegen Zehntausend baar den ganzen Vorrath zu übergeben. Es ist nicht meine Sache, zu fragen, ob er mehr gewinnen kann mit meinem Gelde, als ich gewinnen kann durch sein Holz.«
Was Herr Ehrenthal sagte, war richtig; er verschwieg nur Einiges. Der Verkäufer des Holzes war ein unglücklicher Speculant, der, von seinen Gläubigern gedrängt, eine Auspfändung fürchtete und die unbescheidenen Hoffnungen derselben dadurch beendigen wollte, daß er seine Vorräthe an einen Fremden schnell und heimlich verkaufte und mit der erhaltenen Summe unsichtbar wurde. Vielleicht wußte Herr Ehrenthal das; vielleicht ahnte auch der Freiherr, daß es bei einem so leichten Gewinn eine Bewandniß haben müsse, wenigstens sagte sein Kopfschütteln, daß ihm die Sache keineswegs ganz klar war. Und doch hatte er wenig zu wagen und nichts zu