Das Schweigen im Walde. Ganghofer Ludwig

Das Schweigen im Walde - Ganghofer Ludwig


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im Bogen über ein weites Almfeld gegen eine Waldfläche empor, in deren Mitte, durch aufsteigenden Rauch verkündet, das von mächtigen Fichten umschützte Jagdhaus stehen mußte. Der Fürst beugte sich aus dem Wagen, in Spannung nach dem Jägerheim ausspähend, das ihm die Fürsorge eines Freundes in dieser Bergeinsamkeit erworben und bereitet hatte. Als sich die Kutsche einem aus Steinen am Waldsaum erbauten Stalle näherte, hörte man unter den Bäumen eine erregte Männerstimme rufen: »Er kommt! Er kommt!«

      Der Fürst lächelte. Da waren wohl Vorbereitungen für einen feierlichen Empfang getroffen?

      Etwa hundert Schritte ging der Weg noch durch schattigen Hochwald, dann traten die Bäume auseinander, im Kreis das sanft geneigte, von heller Sonne überglänzte Weidefeld der Tillfußer Alm umschließend. Inmitten des Feldes lag eine steinerne Sennhütte mit rauchendem Schindeldach, und vor der Tür der Hütte stand mit gekreuzten Armen eine junge Sennerin, die dem anfahrenden Wagen neugierig entgegenguckte.

      Der Kutscher stieß den Lakai mit dem Ellbogen an und blinzelte gegen die Hütte hinunter. Da wurde der Hoheitsvolle überraschend menschlich und reckte neugierig den Hals; doch eines der Jägerhäuschen, die neben dem Wege standen, verdeckte ihm die Aussicht.

      Kleine Fähnchen mit den Tiroler Farben schmückten die Giebel der Jägerhütten, eine Flagge wehte auf dem Dach des größeren Fremdenhauses, und ein hoher, von grüner Fichtengirlande umschlungener Mast, auf dem zwischen der deutschen und österreichischen Fahne eine Flagge mit den Farben des fürstlichen Hauses flatterte, erhob sich vor dem Staketenzaun, der den Hofraum des großen, zweistöckigen Jagdhauses umschloß. Auf einem das Almfeld überblickenden Hügel ruhend und angelehnt an den bergwärts steigenden Fichtenwald, grüßte das schmucke, mit rötlichem Zirbenholz verschalte Gebäude freundlich seinem jungen Herrn entgegen, leuchtend in der Sonne, mit blinkenden Fenstern, halb versunken in einen gutgemeinten, aber nicht besonders zierlich geratenen Aufputz von Kränzen, Girlanden und Zweigen, an denen in dicken Büscheln die roten Tannenzapfen baumelten.

      Neben der Haustür hatten in schmucker Feiertagstracht fünf Jäger Aufstellung genommen, und vor ihnen, wie ein Korporal vor seinen Rekruten, stand der Förster, eine klobig stramme Gestalt mit breiten Schultern, ein derbes Gesicht mit rötlich gekraustem Vollbart und mit braunen Augen, gutmütig wie Kinderaugen; doch ein paar verdächtig angeschwollene Äderchen an Stirn und Schläfen ließen vermuten, daß der Förster zeitweilig an »gachen Hitzen« zu leiden hatte.

      Als die Kutsche in den Hofraum einfuhr, warf der Förster noch einen musternden Blick über die Jäger, dann schwang er den Hut und rief mit einer Stimme, die heiser gegen seine Aufregung kämpfte: »Unser neuer, hochverehrter Jagdherr, Seine Duhrlaucht Fürst Heinrich Ettingen-Bernegg, er lebe hoch!«

      Die Stimmen der Jäger fielen ein. Nur ein einziger von ihnen schwieg und blickte dem anfahrenden Wagen gleichgültig entgegen; als er den Fürsten sah, streckte sich seine Gestalt, und der Blick seiner Augen schärfte sich, als gäbe ihm der Anblick seines jungen Herrn zu denken.

      »Hoch! Hoch!« klangen die Stimmen der anderen. Dann kam noch ein unerwarteter Nachklang, drunten bei der Sennhütte, hell wie der Ton eines Silberglöckleins: »Hooooch!« Und diesem Ruf folgte ein Jauchzer, der hinaufkletterte bis in die höchste Stimmlage einer kräftigen Mädchenkehle.

      Die Jäger schmunzelten, während der Förster etwas aus der Fassung geriet, denn er schien nicht recht zu wissen, ob diese programmwidrige Zugabe zur Empfangsfeierlichkeit ernst oder spöttisch gemeint war. Aber der Fürst lächelte, und freundlich grüßend nickte er der Sennerin zu, die kichernd um die Ecke der Almhütte verschwand.

      Der Lakai war vom Bock gesprungen und hatte den Wagenschlag geöffnet.

      Fürst Ettingen stieg aus, und nun sah man erst, wie kräftig und schlank er gewachsen war. Der Jagdanzug aus schottischem Loden, mit hohen braunen Schnürschuhen, paßte kleidsam zu der jugendlichen Gestalt, aus der alle Schwäche und Ermüdung verflogen schien.

      Er bot dem Förster die Hand. »Ich danke Ihnen! Das ist ein lieber Empfang, den Sie mir bereitet haben.« Freundlich bestaunte er den etwas plump geratenen Schmuck des Hauses. »Und wie hübsch Ihnen das gelungen ist! Wirklich, Sie haben mir die Ankunft im Jagdhaus zu einer Freude gemacht.«

      Der Förster bekam ein Gesicht so rot wie ein Krebs, der im besten Kochen ist. »Is's wahr? Gfallt's Ihnen? No, Gott sei Dank! Da is mir a ganzer Stein von der Seel! Denn daß ich's gradweg raussag, auf d'Letzt hab ich schon selber a bissl gforchten, es gfallt Ihnen net. Unsereiner versteht sich schlecht auf solchene Deggerazionsgschichten. Plagt haben wir uns gnug, aber angstellt haben wir uns alle mitanand wie der Holzknecht, wann er a Grillenhäusl macht. Aber Gott sei Dank, weil's Ihnen nur gfallt!« Er nahm die Hand des Fürsten in den Schraubstock seiner Fäuste. »Und da sag ich halt jetzt Grüßgott und Weidmanns Heil, Herr Fürst! Jetzt lassen Sie's Ihnen recht gut gehn bei uns da heraußen! Wir haben uns schon verzählen lassen, wie schwer krank als S' gewesen sind. Ja, meiner Seel, a bißl gring schauen S' noch allweil aus am Leib – wie a Hirscherl, dös mit knapper Not über an schiechen Winter ummigrutscht is!«

      Der Lakai warf einen erschrockenen Blick auf seinen Herrn. Der aber betrachtete den Förster mit Wohlgefallen.

      »Passen S' nur auf, Duhrlaucht, unser Lüftl da heraußen, dös richt Ihnen schon wieder zamm aufn Glanz!«

      Der Fürst lächelte. »Ja, ich merke schon, ich werde mich wohlfühlen hier! Die Luft, in der Sie sich so kerngesund ausgewachsen haben, wird auch mir bekommen!« Er gab dem Lakai einen Wink, ins Haus zu treten. »Und nun will ich meine Jäger kennenlernen. Ich bitte, mein lieber – wie heißen Sie, Herr Förster?«

      »Kluibenschädl!«

      Der Fürst schien nicht zu verstehen. »Wie, bitte?«

      Verlegen schwieg der Förster, und sein rotes Gesicht wurde noch röter. Dann platzte er heraus: »Wenn Duhrlaucht nix dagegen haben, heiß ich halt amal Kluibenschädl! Da is nix dran z'ändern!«

      Der Fürst konnte nur schwer seinen höflichen Ernst bewahren. »Mein Ohr ist nicht gewöhnt an die hier üblichen Ausdrücke«, sagte er, »verzeihen Sie also, Herr Förster, wenn ich nicht gleich verstanden habe.«

      »Klui – ben – schädl!« buchstabierte mit etwas gereizter Deutlichkeit der Förster, dem die Adern an Stirn und Schläfen schwollen.

      »Jetzt hab ich verstanden!« Erheitert bot Ettingen dem Förster die Hand. »Aber wollen Sie nun die Güte haben, mir die Jäger vorzustellen?«

      Der Förster trat vor seine Leute hin. »Bitte, Duhrlaucht, die ersten zwei, dös sind der Kassian Birmoser und der Krispin Ruef, die zwei Jager von Leutasch draußen. Der dritte da, dös is der Silvester Beinössl, der Jager von Ehrwald drunt. Und die letzten, dös sind die zwei Tillfußer Jager, der Toni Mazegger und der Praxmaler-Pepperl.«

      Der Fürst hatte jedem Jäger die Hand gereicht und jeden mit prüfendem Blick betrachtet. Mazegger und Praxmaler schienen sein besonderes Interesse zu erwecken. Die beiden standen nebeneinander, wie unfreundlicher Schatten neben warmer, gesunder Helle. Mazegger, der jüngste von allen, mochte etwa dreiundzwanzig Jahre zählen. Auffällig unterschied sich seine Gestalt von dem derben, bäuerischen Typus der anderen. Fast glich er einem Städter, der sich mit gesuchter Echtheit in die malerische Tracht der Hochlandsjäger gekleidet hat. Das hagere, von dunklem Flaum umkräuselte Gesicht war sonnverbrannt wie die Gesichter der anderen, und trotzdem erschien es blaß und ohne Blut. Ein Zug von unwilliger Verschlossenheit lag um den scharfgezeichneten Mund, und unter dem Schatten, den die schwarzen, in dicken Büscheln vorfallenden Haare über die Stirne warfen, brannten die tiefliegenden Augen mit düsterem Feuer.

      »Sind Sie hier in der Gegend geboren?« fragte der Fürst, dem der südländische Typus des jungen Jägers auffiel.

      »Nein, Durchlaucht!« erwiderte Mazegger in einem Hochdeutsch von kaum merklicher Dialektfarbe. »Ich bin in der Nähe von Trient daheim.«

      »Und Ihre Eltern? Was sind die?«

      Dem Jäger schien die Frage seines Herrn nicht willkommen zu sein; er gab seine Antwort zögernd, während er den Hut zwischen den Händen zerknüllte. »Mein Vater war Lehrer. Als man bei uns im Dorf die deutsche Schule aufhob und die italienische


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