Das Schweigen im Walde. Ganghofer Ludwig
der gallige Ton des Jägers in ihm geweckt hatte. »Sie haben Trauriges erlebt. Das trägt sich schwer. Und deshalb verließen Sie Ihre Heimat?«
Eine Furche grub sich zwischen Mazeggers schwarze Brauen. »Nach dem Tod meines Vaters hab ich nicht weiterstudieren können und bin zu Verwandten gekommen, die draußen in der Leutasch wohnen. Ich hab verdienen müssen. Die zwei letzten Jahre, solang der Herr Herzog die Jagd noch hatte, hab ich Aushilfsdienste geleistet. Vor sechs Wochen, wie die Jagd an Durchlaucht übergegangen ist, bin ich von Graf Sternfeldt als Jäger angestellt worden.« Während er diese letzten Worte eintönig hersagte, musterten seine schwarzen Augen den Fürsten mit einem halb scheuen, halb feindseligen Blick, wie man einen Menschen betrachtet, von dem man in unbehaglicher Ahnung eine Gefahr befürchtet.
Ettingen schien dieses Widerstreben zu fühlen. Leichte Röte glitt ihm über die Stirn. Die Regung überwindend, sagte er freundlich: »Sie sollen es gut bei mir haben. Ich hoffe, Ihr Beruf macht Ihnen Freude und läßt Sie die Schule verschmerzen, die Sie aufgeben mußten.«
Mazegger schwieg. Und Förster Kluibenschädl sagte lachend: »Mir scheint eher, die Schul hat ihn aufgeben! 's Parieren is bei ihm net die stärkste Seiten. Aber er wird sich schon machen mit der Zeit.« Das war gewiß gut gemeint, aber aus Mazeggers Augen huschte ein zorniger Blick über das lachende Gesicht des Försters. »Ja, ja! Wenn er möcht, der Toni, könnt er sich zu eim tüchtigen Jager auswachsen. Wenigstens hätt er 's beste Beispiel an seim Tillfußer Kameraden. Unser Praxmaler-Pepperl is a Jager, allen Respekt!«
»Aber, aber, Herr Förster!« stotterte Praxmaler so stolz verlegen wie ein Kind, das der Lehrer vor der ganzen Schule lobt. Die Fußspitzen nach einwärts drehend, wand er die Schultern unter der Joppe und blinzelte verwirrt zu seinem Herrn auf.
Mit Wohlgefallen ruhten die Augen des Fürsten auf dem gesunden, anheimelnden Bild des Jägers, der ein paar Jahre älter als Mazegger sein mochte. Eine Gestalt wie aus Eisen gefügt, strotzend von Kraft und Jugend. Die nackten Knie waren durchrissen von Narben, die verrieten, daß Praxmaler beim Klettern über die Felsen um seine Haut nicht sehr besorgt war. Das runde, dunkelgebräunte Gesicht war an Kinn und Wangen rasiert, und auf der vollen Oberlippe, die bei stetem Lächeln die festen Zähne sehen ließ, saß ein zausiges Blondbärtchen. Das Hübscheste an diesem Gesicht waren die hellblauen Augen mit ihrem strahlenden Glanz. Das aschblonde, schimmerige Haar umhüllte den Kopf mit hundert winzigen Ringeln – »Kreuzerschneckerln« nennt sie ein Volkswort – , und das war anzusehen, als hätte man dem Praxmaler-Pepperl ein gekraustes Lammfell über die Ohren gestülpt.
Immer verlegener wurde der Jäger, je länger ihn der Fürst mit schweigendem Lächeln betrachtete. Und schließlich, als könnte er die stumme Musterung nicht länger ertragen, stotterte er: »Herr Fürst! Wenn S' morgen gleich an guten Gamsbock schießen möchten, ich weiß a paar sichere. Mögen S'! Ja?«
»Ich danke, lieber Praxmaler! Mit dem Jagen hat es noch Zeit. Vorerst muß ich ein paar Tage Ruhe haben. Aber wenn ich meinen ersten Pirschgang mache, sollen Sie mich führen! Ja? Bis dahin auf Wiedersehen! Und macht euch heut einen vergnügten Abend, laßt euch aus Küche und Keller geben, was euch schmeckt! Aber trinkt nicht mehr, als ihr vertragen könnt! Ein Jäger, der sich bekneipt? Das gefällt mir nicht.« Grüßend lüftete Ettingen den Hut und schritt, vom Förster begleitet, zur Tür des Jagdhauses. Während sie über die steinerne Treppe zum Flur hinaufstiegen, fragte er: »Haben Sie Familie, Herr Förster?«
Kluibenschädl machte ein erschrockenes Gesicht. »Familli? Ich? So an unguts Frauenzimmer im Haus? Na na! Da bleib ich lieber allein. Die Weiberleut! Auf die bin ich gar net gut zum Reden. Bloß hinschauen därf so a Frauenzimmer auf a gsunds Platzl, so schießt schon an Unkräutl in d' Höh, und a bravs Mannsbild stolpert drüber. Na na! Da mag ich nix wissen davon. Wenn S' gscheit sind, Duhrlaucht, machen Sie's grad so! Hüten S' Ihr liebe, kostbare Jugend vor die Weiberleut! Man hat net viel mehr davon als Wehdam und Ärger. Is schon wahr!« Der Förster lachte mit breitem Behagen.
Schweigend wandte der Fürst sich ab und blickte von der Schwelle hinaus über Wald und Berge.
»Hier, Duhrlaucht«, sagte Kluibenschädl, der im Flur des Jagdhauses die erste Tür öffnete, »da hat der Herr Kammerdiener sein Stüberl.«
Der Fürst nickte zerstreut und warf einen flüchtigen Blick in das kleine Zimmer.
»Und hier is die Gschirrkammer!« Der Förster öffnete die gegenüberliegende Tür; man sah in einen weißgetünchten Raum, der rings um die Wände bestellt war mit Schränken und Geschirrleisten. An der nächsten Tür ging Kluibenschädl vorüber, ohne die Klinke zu berühren. »Da schlaft die Jungfer Köchin. Und nebendran is die Holzleg. Dahinter is der Hausmagd ihr Kammerl. Und die ander Tür da – man merkt's schon am feinen Grücherl – die führt in die Kuchl. Die fürstlichen Zimmer – bitte, Duhrlaucht, sich gefälligst hinaufbemühen zu wollen – die liegen droben im ersten Stock.«
Sie stiegen über die Treppe hinauf, und der Förster öffnete die zunächstliegende Tür. Das wäre das Gastzimmer, in welchem Graf Sternfeldt drei Wochen gewohnt hätte, um den Betrieb der neuübernommenen Jagd zu ordnen und das Jagdhaus einzurichten. Es war eine freundliche Stube, in ihrer Ausstattung für den Geschmack eines Mannes berechnet, der keine Ansprüche macht.
Nun ging's zum Speisezimmer. Ein großer dreifenstriger Raum von heller, blinkender Frische. Die weiße Kalkmauer war rings um das Zimmer bis über die halbe Wandhöhe mit rötlichem Zirbenholz getäfelt. Aus dem gleichen Holz waren die Möbel angefertigt. Um zwei Ecken zog sich – die Einrichtung einer Bauernstube nachahmend – eine massive Holzbank, vor der zwei Kreuztische standen, mit rotgestickten Leinwanddecken belegt. Eine runde Bank umzog den weißen Tiroler Ofen, und in einer Wandecke war ein »Herrgottswinkelchen« geschaffen, dessen Kruzifix mit grünen Latschenzweigen und blühenden Alpenrosen geschmückt war. An der Wand, die über der Täfelung frei blieb, hingen zwischen Gemskrickeln und Hirschgeweihen zwölf Aquarelle, die in kräftigen Farben die Jagd des ganzen Jahres von Monat zu Monat schilderten.
»Wie hübsch und gemütlich!« Die Hände in die Mufftaschen der Jagdbluse vergrabend, ließ sich der Fürst auf die Ofenbank nieder. »Hier muß ich mich behaglich fühlen.« Heiter begann er mit dem Förster zu plaudern, bis ihr Gespräch durch den Lakai unterbrochen wurde, welcher fragen kam, für welche Stunde Durchlaucht das Diner befehle. Der Fürst sah nach der Uhr. »In zwei Stunden, gegen halb acht. Ich will mich noch in der Umgebung des Jagdhauses umsehen. Für jetzt nur eine Tasse Tee!«
Eine Weile plauderte er noch mit dem Förster, dann ließ er sich hinüberführen in die »Fürstenzimmer«, wie Kluibenschädl mit unterstrichenem Respekt betonte.
Da gab es für den Fürsten eine Überraschung, die ihm Freude machte. In seinem Stadtpalais befand sich ein kleines Jagdzimmer, in dem er sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte. Die Einrichtung dieses Zimmers fand er fast bis in das kleinste Detail hier nachgebildet, als sollte ihm der schmucke Raum zum Willkommen sagen: Fühle dich hier zu Hause von der ersten Stunde an!
Das war der gleiche Holzplafond, in hellem und dunklem Braun gehalten, die gleiche Ledertapete mit eingepreßten Tierbildern, der gleiche Waffenschrank – sogar die beiden Jagdstücke von Snyders, die im Stadtpalais den kostbaren Wandschmuck seines Lieblingszimmers bildeten, fand er hier durch zwei treffliche Kopien ersetzt. Auch der gleiche Diwan und die gleichen, mit Seehundsfell bezogenen Lehnstühle. Nur zwei Möbelstücke des Stadtzimmers waren hier durch andere vertreten: statt des Spieltisches ein Schreibtisch, und statt eines Schrankes, der eine Sammlung Ridingerscher Holzschnitte und alter Stiche nach berühmten Jagdbildern enthielt, stand hier eine kleine Bibliothek mit ein paar hundert Bänden.
Und noch etwas war anders als in der Stadt: die Luft, die würzig hereinströmte durch die zwei offenen Fenster, und der Ausblick, den sie boten. In der Stadt lag vor den Fenstern die graue Häuserwand der von Kohlendunst überschleierten Straße, hier zeigte das eine Fenster das Almfeld mit der Sennhütte und darüber den von blauem Schattenduft umwobenen Felskoloß der »Hochwand«, das andere den grünen Wald und über seinen goldig umleuchteten Wipfeln die Spitzen und Wände sonnbeglänzter Berge.
An dieses Fenster war der Fürst getreten. Er sah hinaus über Wald und Berge und preßte die Fäuste auf seine Brust, die sich wölbte unter einem trinkenden