Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич

Der kleine Ritter - Генрик Сенкевич


Скачать книгу
von Witebsk, der Marschallstab anvertraut. Da es sich nur um die Bestimmung des Wahltermins und die Einsetzung des höheren Wahlkapitels handelte und die Intrigen der verschiedenen Parteien in diesen Angelegenheiten kein Feld für sich fanden, schien der Reichstag einen ruhigen Verlauf nehmen zu wollen. Nur im Anfang ging es durch die Wahlprüfungen ein wenig stürmischer her, denn als der Reichsbote Ketling die Rechtsgültigkeit der Wahl des Herrn Sekretärs von Biala und seines Kollegen, des Fürsten Boguslaw Radziwill, anzweifelte, schrie gleich eine kräftige Stimme aus der Mitte der Neutralen: »Verräter! Ausländischer Beamter!« Dieser Stimme schlossen sich andere an, auch einige Reichsboten kamen hinzu, und plötzlich zerfiel der Reichstag in zwei Parteien, von welchen die eine die Abgeordneten von Biala entfernen, die andere die Wahl als rechtsgültig anerkennen wollte. Man einigte sich endlich zu einem Beschluß, welcher die Angelegenheit zum Schweigen brachte und die Wahl anerkannte; nichtsdestoweniger war dies für den Fürst-Stallmeister ein empfindlicher Schlag, denn schon der Umstand, daß man prüfte, ob der Fürst würdig sei, in der Kammer zu sitzen, schon das allein, daß man der Öffentlichkeit alle seine Verrätereien aus der Zeit des schwedischen Krieges in Erinnerung brachte, überhäufte ihn mit neuer Schande in den Augen der Republik und untergrub von Grund aus all seine ehrgeizigen Pläne.

      Er rechnete nämlich darauf, daß, wenn die verschiedenen Parteien sich gegenseitig befehden würden, die Wahl leicht auf einen einheimischen Edelmann fallen könnte.

      Der Stolz aber und die Schmeichler sagten ihm, daß, wenn dieser Fall eintreten würde, dieser Einheimische kein anderer sein könne als der mit dem höchsten Genie Begabte, der Mächtigste, aus vornehmster Familie Stammende – mit anderen Worten, er selbst.

      Er hielt also, bis der Zeitpunkt gekommen war, die Dinge geheim, hatte aber seine Netze in Litauen ausgeworfen und fing jetzt gerade an, in Warschau Schlingen zu legen, als er plötzlich sah, daß man ihm gleich von Anfang an sein Werk zerstörte und ein so großes Loch in sein Netz gemacht hatte, daß die Fische leicht hindurchschlüpfen konnten. Er knirschte während der ganzen Zeit der Entscheidung mit den Zähnen, und da er an Ketling, der Reichsbote war, seine Rache nicht ausüben konnte, kündigte er seinen Leuten eine Belohnung an, wenn sie ihm jenen Zuhörer zeigen könnten, der zuerst nach dem Antrage Ketlings »Verräter« und »Fremdling« gerufen habe.

      Herr Sagloba war zu sehr bekannt, als daß sein Name lange hätte verborgen bleiben können. Übrigens machte er gar kein Geheimnis daraus, und der Fürst geriet noch mehr in Wut; aber er erschrak auch nicht wenig, als er hörte, daß ihm ein so populärer Mann gegenüberstehe, den man nicht so leicht über den Haufen rennen konnte.

      Auch Sagloba kannte seine Macht, denn als anfangs Drohungen laut wurden, sagte er einmal auf einer großen Adelsversammlung:

      »Ich weiß nicht, ob es jemand von Vorteil sein könnte, wenn mir ein Haar gekrümmt würde. Die Wahl steht bevor, und wenn hunderttausend Freundesdegen sich zusammentun, so könnte leicht ein Regen von Streichen kommen …«

      Diese Worte drangen auch zum Fürsten; er biß die Lippen zusammen und lächelte verächtlich; aber in der Seele dachte er doch, daß Sagloba recht habe. Am folgenden Tage waren seine Absichten gegen den alten Ritter offenbar schon andere, denn als eines Tages an der Tafel des Fürst-Truchseß jemand von ihm sprach, sagte Boguslaw:

      »Er will mir nicht wohl, dieser Edelmann, wie ich höre, aber ich habe ritterliche Männer so gern, daß ich, selbst wenn er fortfahren sollte, mir zu schaden, nicht aufhören könnte, ihm gut zu sein.«

      Und eine Woche später wiederholte er dasselbe Herrn Sagloba ins Gesicht, als sie sich bei dem Großhetman Sobieski begegneten.

      Herrn Sagloba schlug, wenngleich seine Züge ruhig und voll Mut blieben, das Herz in der Brust bei dem Anblick des Fürsten. Er war doch immer ein Herr von weitreichender Gewalt und ein Menschenfresser, den alle fürchteten. Dieser aber sprach zu ihm über die ganze Tafel hinweg:

      »Werter Herr Sagloba, ich habe schon erfahren, daß Ihr, obgleich Ihr nicht Reichsbote seid, mich unschuldigerweise aus dem Reichstag habt entfernen wollen. Aber ich verzeihe Euch das christlich und werde Euch, wenn es irgend nottut, meine Hilfe nicht versagen.«

      »Ich habe mich streng an die Konstitution gehalten,« antwortete Sagloba, »was ein Edelmann tun muß, quod attinet; was die Protektion betrifft, so ist in meinem Alter wohl die göttliche am nächsten, denn ich nähere mich den neunzig.«

      »Ein schönes Alter, wenn es so tugendhaft wie lang war, woran ich übrigens beileibe nicht zweifeln will.«

      »Ich habe dem Vaterland und meinem Herrn gedient und habe fremde Götter nie gesucht.«

      Der Fürst runzelte ein wenig die Stirn.

      »Ihr habt auch gegen mich gedient, ich weiß das, aber laßt nun Frieden sein zwischen uns. Alles sei vergessen, auch das, daß Ihr fremden häuslichen Haß gegen mich geschürt habt. Mit dem Feinde dort werde ich noch abrechnen, aber Euch strecke ich meine Hand entgegen und biete Euch meine Freundschaft an.«

      »Ich bin nur ein bescheidener Mann, solche Freundschaft ist für mich zu hoch. Ich müßte erst zu ihr heranklettern oder in die Höhe springen, und das fällt schwer in meinem Alter. Wenn Ew. Durchlaucht aber von einer Abrechnung mit Herrn Kmiziz, meinem Freunde, sprechen, so würde ich Euch von Herzen raten, diese Arithmetik aufzugeben.«

      »Ei, warum das?« fragte der Fürst.

      »Denn es gibt in der Arithmetik vier Spezies. Seht, wenn auch Herr Kmiziz ein recht schönes Vermögen hat, so ist es doch eine Fliege im Vergleich zu Ew. Durchlaucht; demnach wird Kmiziz mit Dividieren nicht einverstanden sein; mit dem Multiplizieren wird er sich selbst befassen; Subtrahieren wird er sich nichts lassen, er könnte höchstens etwas addieren, und ich weiß nicht, ob Ew. Durchlaucht danach begierig wären.«

      Obgleich Boguslaw im Wortgefecht nicht ungeübt war, so setzten ihn doch die Ausführungen Saglobas oder seine Kühnheit so sehr in Erstaunen, daß ihm die Zunge im Munde starr blieb. Die Anwesenden schüttelten sich vor Lachen, und Herr Sobieski sagte unter schallendem Gelächter:

      »Das ist ein alter Kämpe, er kann mit dem Säbel dreinhauen, aber er versteht auch mit der Schärfe der Zunge zu spielen. Es ist gescheiter, ihn in Frieden zu lassen.«

      Boguslaw, der einsah, daß er auf einen Unversöhnlichen gestoßen war, versuchte auch nicht mehr, Sagloba für sich zu gewinnen; er begann ein Gespräch mit einem anderen und warf nur von Zeit zu Zeit dem alten Ritter böse Blicke über den Tisch zu.

      Aber der Herr Hetman Sobieski war recht angeheitert und sprach weiter:

      »Ihr seid ein Meister, Herr Bruder, ein rechter Meister! Habt Ihr wohl schon Euresgleichen in dieser Republik gefunden?«

      »Mit dem Schwerte,« antwortete der geschmeichelte Sagloba, »kommt mir Wolodyjowski gleich; aber auch Kmiziz ist kein übler Schüler von mir.« Bei diesen Worten warf er einen schielenden Blick auf Boguslaw; aber dieser tat, als hörte er nichts, und sprach emsig weiter mit dem Nachbar.

      »Bah,« sagte der Hetman, »Wolodyjowski habe ich manchmal bei der Arbeit gesehen, und ich würde für ihn bürgen, wenn es sich auch um das Schicksal der ganzen Christenheit handelte. Schade, daß ein solcher Rittersmann wie vom Blitz getroffen ward.«

      »Was ist ihm geschehen?« fragte Sarbiewski, der Schwertträger von Tschiechanow.

      »Seine geliebte Braut ist ihm unterwegs in Tschenstochau gestorben,« antwortete Sagloba, »und das schlimmste ist, ich kann nirgends erfahren, wo er sich jetzt befindet.«

      »Beim Himmel,« rief darauf Herr Warschyzki, der Burgvogt von Krakau, »bin ich ihm doch, als ich nach Warschau kam, unterwegs begegnet! Er fuhr auch hierher und gestand mir, daß er die Welt und ihre Beschwerden satt habe und auf den Mons Regius2 gehe, um in Gebet und Andacht sein verhärmtes Leben zu beschließen.«

      Sagloba griff mit der Hand in die Reste seines Scheitels. »Kamaldulenser ist er geworden! So wahr ich lebe!« rief er in höchster Verzweiflung.

      Die Mitteilung des Burgvogts machte auf alle übrigen einen großen Eindruck. Sobieski, der tapfere Soldaten gern hatte und selbst am besten wußte, wie sehr das Vaterland solcher bedürfe,


Скачать книгу

<p>2</p>

Mons Regius = Anhöhe bei Warschau, auf welcher das Kloster der Kamaldulenser Mönche steht.