Der kleine Ritter. Генрик Сенкевич
Arme.
Und sie drückten sich so herzlich, daß Ketling den Wolodyjowski und Wolodyjowski den Ketling in die Höhe hob.
»Man hat mir befohlen, mich krank zu stellen,« sagte der Schotte, »den Sterbenden zu spielen; aber bei deinem Anblick konnte ich es nicht aushalten. Ich bin gesund wie der Fisch im Wasser, und mir ist nichts zugestoßen. Es handelte sich darum, dich aus dem Kloster zu bringen … Verzeih', Michael, diese Kriegslist kam von Herzen!«
»In die wilden Felder mit uns!« riefen die Ritter wieder und schlugen mit den rauhen Händen an die Säbel, daß ein dröhnender Lärm im Zimmer entstand.
Aber Herr Michael war sehr erstaunt. Eine Zeitlang schwieg er, dann ließ er seine Blicke über alle schweifen, faßte besonders Sagloba ins Auge und sagte endlich:
»O, ihr Verräter! Ich habe geglaubt, Ketling sei tödlich verwundet.«
»Wie, Michael!« rief Sagloba, »ärgert's dich, daß Ketling gesund ist? Gönnst du ihm die Gesundheit nicht oder wünschest du ihm den Tod? Ist dein Herz so verhärtet worden, daß du lieber alle auf der Bahre sähest, Ketling und Herrn Urlik und Herrn Ruschtschyz und diese Jungen hier, ja, auch Skrzetuski und mich, auch mich, der ich dich wie einen Sohn liebe?!«
Hier schloß Sagloba sein Auge und rief noch kläglicher:
»Was soll uns das Leben, werte Herren, wenn es keine Dankbarkeit in der Welt gibt, und solche Verhärtung des Herzens.«
»Bei Gott,« antwortete Wolodyjowski, »ich wünsche Euch nichts Übles, aber meinen Schmerz habt Ihr nicht zu ehren verstanden.«
»Er gönnt uns das Leben nicht,« wiederholte Sagloba.
»Lasset das.«
»Er sagt, daß wir seinen Schmerz nicht ehren, und was für Tränenströme haben wir vergossen über sein unglückliches Geschick, werte Herren. Nicht wahr, Gott rufe ich zum Zeugen an, daß wir am liebsten deinen Schmerz auf Schwertern umhergetragen hätten, denn so sollten Freunde immer handeln. Da du aber das Wort gegeben hast, einen Monat bei uns zu bleiben, so liebe uns wenigstens noch diesen Monat, Michael!«
»Ich werde euch bis in den Tod lieben,« erwiderte Wolodyjowski.
Da wurde das Gespräch durch die Ankunft eines neuen Gastes unterbrochen; die Ritter, mit Wolodyjowski beschäftigt, hatten nicht gehört, wie dieser Gast vorgefahren war, und bemerkten ihn erst jetzt an der Tür. Es war ein Mann von ungewöhnlicher Größe, von prächtiger Gestalt und schönem Körperbau, mit dem Gesicht eines römischen Cäsaren, voll Macht, zudem voll königlicher Güte und Freundlichkeit. Er sah durchaus anders aus als all diese Soldaten, bedeutend größer stand er neben ihnen, wie der König der Vögel, der Adler, neben dem Habicht, dem Blaufuß und dem Falken.
»Der Herr Großhetman!« rief Ketling aus und sprang als Wirt ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.
»Herr Sobieski!« wiederholten die anderen. Alle Häupter neigten sich in ehrfurchtsvollem Gruße.
Außer Wolodyjowski wußten alle, daß der Hetman kommen würde, denn er hatte es Ketling versprochen; und doch machte seine Ankunft einen so mächtigen Eindruck, daß eine Zeit hindurch niemand den Mund zu öffnen wagte. Es war auch eine besondere Gnade, aber Sobieski liebte die Soldaten über alles und besonders diejenigen, welche schon zu wiederholten Malen mit ihm den tatarischen Horden den Nacken gepeitscht hatten; er betrachtete sie wie seine Familie, und darum beschloß er, Wolodyjowski zu begrüßen, ihn zu trösten und endlich durch die Bezeigung der außergewöhnlichen Gunst in seinen Reihen zu erhalten.
Er streckte daher, nachdem er Ketling begrüßt hatte, gleich die Hände dem kleinen Ritter entgegen, und als dieser sich näherte und seine Knie umfaßte, drückte er ihm mit seinen Händen das Haupt.
»Nun, alter Kriegsmann,« sagte er, »nun, Gottes Hand hat dich zu Boden gedrückt, aber sie wird dich wieder erheben und trösten … Gott sei mit dir! Du bleibst wohl bei uns?«
Ein Schluchzen erschütterte Michaels Brust.
»Ich bleibe!« sagte er unter Tränen.
»Das ist gut; wir können solcher wie du nicht genug haben! Und jetzt, alter Kriegskamerad, laß uns der Zeiten gedenken, da wir in den russischen Steppen im Zelt beim Mahle saßen. Hier unter euch ist gut weilen. Frisch, Wirt, frisch!«
»Vivat, Joannes dux!« riefen alle Stimmen.
Die Mahlzeit begann und dauerte lange. Am folgenden Tage schickte der Hetman für Wolodyjowski einen spanischen Apfelschimmel von großem Werte.
3. Kapitel
Ketling und Wolodyjowski versprachen einander, sobald es dazu kommen sollte, wieder Steigbügel an Steigbügel zu reiten, an einem Feuer zu lagern, und auf einer Reiterdecke zu schlafen. Und doch trennte sie der Zufall schon eine Woche nach dem ersten Wiedersehen. Aus Kurland kam ein Bote mit der Meldung, daß jener Haßling, der den jungen Schotten adoptiert und ihn mit Vermögen beschenkt hatte, plötzlich erkrankt sei und den angenommenen Sohn baldigst zu sehen begehre. Der junge Ritter besann sich nicht lange; er stieg zu Pferde und ritt davon.
Vor der Abreise bat er Sagloba und Wolodyjowski, sie möchten sein Haus als das ihrige betrachten und so lange darin wohnen, als es ihnen angenehm wäre.
»Vielleicht kommen die Skrzetuskis,« sagte er. »Wenn die Wahl beginnt, so kommt er wenigstens mit Sicherheit; aber wenn sie auch mit Kind und Kegel kämen, es fände sich für die ganze Familie Raum. Ich habe keinen Verwandten, und wenn ich auch Geschwister hätte, sie ständen mir nicht näher als ihr.«
Sagloba besonders war erfreut über diese Einladung, denn er fühlte sich in Ketlings Hause sehr behaglich; aber auch Michael kam sie zurecht.
Die Skrzetuskis kamen zwar nicht, statt dessen aber kündigte eine Schwester Wolodyjowskis ihre Ankunft an, die Gattin des Herrn Truchseß Makowiezki. Ihr Abgesandter war an den Hof des Hetman gekommen, um Nachfrage zu halten, ob jemand von den Hofleuten etwas von dem kleinen Ritter wisse; natürlich wies man ihn sogleich an das Ketlingsche Haus.
Wolodyjowski freute sich sehr, denn es waren lange Jahre darüber hingegangen, daß er die Frau Truchseß nicht gesehen, und da er erfuhr, daß sie bei dem Mangel einer besseren Herberge in einem elenden Häuschen auf der Fischerei abgestiegen war, eilte er bald hin, um sie in das Haus Ketlings zu laden.
Es war schon Dämmerung, als er bei ihr eintrat, aber er kannte sie sogleich, obgleich zwei andere Frauen sich mit ihr im Zimmer befanden, denn die Frau Truchseß war von kleinem Wuchse und rund wie ein Knäuel Wolle. Sie erkannte ihn ebenfalls. Sie sanken sich in die Arme und konnten lange keine Worte finden; er fühlte ihre warmen Tränen auf seinem Antlitz und sie die seinigen. Während der ganzen Zeit standen die anderen beiden Frauen kerzengerade da und sahen der Begrüßung zu.
Zuerst gewann Frau Makowiezka3 die Sprache wieder und begann mit dünner, ein wenig piepsender Stimme:
»Wie viele Jahre, wie viele Jahre! Gott helfe dir, mein teurer Bruder! Sobald die Nachricht von deinem Unglück kam, machte ich mich sofort auf den Weg zu dir, und mein Mann hielt mich nicht zurück, denn von Budschiak4 droht ein Gewitter … Man spricht auch von den Tataren von Bialogrod. Und sicher werden die Wege wieder von Heerscharen wimmeln, denn man sieht ungeheure Herden von Vögeln in der Luft, und das pflegt vor jedem Einfall zu sein. Gott tröste dich, geliebter, teurer, goldener Bruder! Mein Mann soll zur Wahl hierher kommen, er hat mir gesagt: »Nimm die Mädchen und fahre voraus. Michael,« sagt er, »wirst du in seiner Trauer trösten; vor den Tataren,« sagt er, »müßten wir auch so die Häupter irgendwo schützen, denn das ganze Land wird in Flammen stehen, und so fügt sich eins zum anderen. Eile nach Warschau,« sagt er, »nimm eine gute Herberge, solange es noch Zeit ist, damit wir ein vernünftiges Unterkommen haben. Er ist mit den Leuten aus dem Kreise auf Kundschaft ausgezogen. Mannschaften sind nicht im Lande, bei uns ist das immer so.« Mein geliebter Michael, komm ans Fenster, damit ich dir ins Gesicht sehen kann. Die Wangen sind eingefallen; aber im Leid kann es nicht anders sein. Mein Mann hatte leicht sagen: Suche dir eine Herberge. Hier gibt es nirgend etwas, wir sind ganz allein hier in dieser Hütte, ich habe
3
Die weiblichen Eigennamen haben im Polnischen immer die Endung a, die männlichen i oder y.
4
Budschiak, der südliche Teil Bessarabiens.