Briefe an Ludwig Tieck 4. Various

Briefe an Ludwig Tieck 4 - Various


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p>Briefe an Ludwig Tieck (4/4) / Vierter Band

      Schopenhauer, Johanna

      Geb. im Juli 1770 zu Danzig, gest. am 18. April 1838 in Jena.

      Gabriele, 3 Bde. (1820.) – Die Tante, 3 Bde. (1823.) – Sidonia (1828.) – Erzählungen, 11 Bde. (1825–32.) – Reise durch England und Schottland (1813.) – Reise durch das südliche Frankreich, 2 Bde. (1817.) – Kunsthistorische Werke &c.

      Sämmtliche Schriften, 24 Bde. (1830–31.)

      Sie war, seitdem sie sich in Weimar niedergelassen, und so lange sie dort „ein Haus machte“ – ein für ihre Verhältnisse vielleicht zu gastfreies! – so recht eigentlich die Providenz aller Fremden, welche ihr nur irgend würdig erschienen, darin aufgenommen zu werden. Goethe, da er noch des Abends ausging, ließ sich’s gar gern bei ihr gefallen; entlud sich auch häufig des Andranges von Gästen, indem er den Strom der Geselligkeit aus seinen Räumen nach denen der theuren Freundin zu leiten verstand. Es dürften wohl wenig Mitlebende so tief und innig eingeweiht gewesen sein in alle Geheimnisse des „Hauses am Plan“ wie Frau Johanna. Nur ihren Vertrautesten erschloß in ungestörter Plauderstunde die hochbegabte Genossin großer Tage ihr sonst festverwahrtes Schatzkästlein weimarischer Reminiscenzen. Es ist sehr zu bedauern, daß sie hinüberging, ohne den oftmals gehegten, oftmals wieder aufgegebenen Vorsatz ausgeführt zu haben, den sie mit den Worten bezeichnete: „Was ich zu erzählen wüßte, weiß kein Anderer zu erzählen… aber ich hab’ eine heilige Scheu!“

      Gerade diese „heilige Scheu“ würde ihrer Feder ohne Anstoß über manche gefährliche Stelle geholfen haben.

      Leider sind einzelne ihrer zutraulichsten Mittheilungen durch den Mund ihrer Tochter Adele an deren Jugendfreundin übergegangen, und letztere hat sie wieder ihrem, unzählige Bücher anfertigenden, Herrn Gemahl gegeben; und so war ein Schandbüchlein entstanden, von welchem die Schopenhauer verzweiflungsvoll klagte: „Es ist mir entsetzlich, daß in diesem Libell Dinge stehen, die der Verfasser nur durch mich – wenigstens mittelbar – erfahren haben kann!“

      Doch ließ es sich nicht ändern.

      I

Weimar, d. 2ten Dec. 1823.

      Ich wage mich mit einer Bitte an Sie, verehrter Freund, deren Gewährung ich mit Gewisheit von Ihnen hoffe, besonders da ich sie Ihnen so bequem als möglich zu machen gedenke. Ich kenne Ihre große Bekanntschaft mit dem englischen Theater, in der Ihnen in Deutschland Niemand und vielleicht auch in England Keiner gleich kommt, und bitte Sie daher, mir die Titel von etwa ein Duzend englischer Lustspiele aus dem vorigen Jahrhundert aufzuschreiben, die Schröder noch nicht benuzt hat, und die gehörig modernisirt und umgearbeitet vielleicht den Stoff zu deutschen Lustspielen liefern könnten, wenn eine geschickte Hand sich darüber machte. In diesem Jahrhundert ist glaube ich nichts bedeutendes erschienen, die Engländer wie die Deutschen, ergözen sich meistentheils an Nachahmungen französischer Melodrams, doch wären Ihnen auch einige neuere für diesen Zweck paßende Stücke bekannt, so bitte ich ebenfalls ihre Titel mir mitzutheilen.

      Ihnen will ich es nicht verhehlen, daß ich selbst Lust und Trieb in mir fühle, mich auch einmal in diesem Fach zu versuchen, doch würde ich, aus Gründen, die Sie selbst fühlen, dieses nie unter meinem Namen thun, daher bitte ich Sie gegen Niemand etwas von diesem Vorsatz, nicht einmal von meinem jetzigen Anliegen an Sie, zu erwähnen. Ich glaube, daß das englische Theater noch viele Schätze bietet, die gut benuzt endlich dazu beitragen könnten, die französischen kleinen Lustspiele, die für Deutsche doch nie ganz paßen, von der Bühne, wenn nicht zu verdrängen, doch wenigstens ihre jetzige Alleinherrschaft zu beschränken. Ob ich das dazu nöthige Geschick habe, kann freilich nur die Zeit lehren, aber ich habe Lust, den Versuch zu wagen, besonders da ich bei meiner jetzigen Kränklichkeit einer erheiternden und leichtern, weniger anstrengenden Arbeit bedarf.

      Ich weis, lieber Herr Doktor, Sie schreiben ungern Briefe, ich entsage also schon im Voraus der Freude, diese Zeilen von Ihnen beantwortet zu sehen. Ich bitte Sie nur die Namen der Stücke, die Sie für meinen Zweck tauglich halten, ohne weiteres aufzuschreiben und unter meiner Adreße mir zu senden. Ich habe eben in etwa vierzehn Tagen eine Gelegenheit, sie ohne Nebenkosten aus England kommen zu laßen.

      Um Sie nicht zu ermüden, entsage ich jetzt sogar der Lust, noch länger mit Ihnen zu plaudern, und unterschreibe mich blos als

IhreSie innig verehrendeJohanna Schopenhauer.

      II

Weimar, d. 28. März 1826.

      Lieber Herr Hofrath! Eine Schauspielerin, Madame Zischke, bittet mich, ihr Zutritt zu Ihnen zu verschaffen. Sie wissen selbst, daß ich dieses nicht ohne einige Bedenklichkeit thun kann, aber ich glaube doch diese in diesem Fall überwinden zu müssen, da diese Frau nichts weiter wünscht, als fürs erste von Ihnen die Erlaubniß zu erhalten, auf dem Dresdner Theater einige Debüt-Rollen zu spielen, und dann erst in Unterhandlungen wegen einer Anstellung in einem Fache zu treten, das bei Ihnen so gut als unbesetzt sein soll, ein Fach der komischen und humoristischen Mütter, alten Jungfern, und dergleichen mehr. Sie ist noch jung, kaum über die ersten dreißig hinaus, und nichts weniger als häßlich, und es ist beinahe unbegreiflich, wie sie von Jugend auf sich gerade dieses Fach hat wählen können, aber es war ihre Neigung, die sie dazu antrieb, sie gesteht selbst, durch das Spielen älterer Rollen sich für die jugendlichen gänzlich verdorben zu haben, doch spielt sie auch Anstands-Rollen, wenn es verlangt wird. Ich habe sie mit vielem Wohlgefallen die Rolle der Landräthin in Kotzebues Stricknadeln, und die des alten Fräuleins in den Misverständnissen von Steigentesch spielen gesehen, und Adele, auf deren Urtheil ich mich ziemlich verlasse, behauptet, daß sie die Rolle der Oberförsterin in den Jägern mit Natur, Gefühl, und im Ganzen sehr befriedigend von ihr gesehen habe.

      Madame Zischke hat vor mehreren Jahren die Rolle der Landräthin hier als Gastrolle gegeben, und machte damit einigermaßen furore. Dieses bewog die Direktion beim Abgange der alten Beck sie zu veranlaßen, ihr Engagement in Hamburg aufzugeben, und im vergangnen Herbst hieher zu kommen; doch unser Repertoire ist jetzt auf eine Weise geordnet, die ihr beinahe keine Gelegenheit erlaubt sich zeigen zu können. Man zwang sie, als Bertha im verbannten Amor aufzutreten, die sie selbst gesteht, schlecht gespielt zu haben, weil sie ganz außer dem Bereich ihres Talentes liegt; sie misfiel dem Publikum, und wurde demselben sogar lächerlich, weil sie sich Bewegungen und Manieren angewöhnt hat, die wohl für eine alte aber durchaus nicht für eine junge Frau passend sind, und da man ihr weiter keine Gelegenheit gab, sich beßer zeigen zu können, so wurde sie durchweg als eine schlechte Schauspielerin angesehen, und die Direktion nahm dieses wahr, um ihr anzudeuten, daß im September ihr Engagement abgelaufen sei, und daß man dann ferner ihrer nicht mehr bedürfe. Dieses ist alles was ich von ihr weiß, sie hat mich gebeten, Sie auf sie aufmerksam zu machen, indem sie fürchtet, Ihnen völlig unbekannt zu sein, da es ihr bis jetzt noch nicht gelungen ist, sich in der Welt einen Namen zu machen, und ich mochte ihr diese Bitte um so weniger abschlagen, da ich dadurch Gelegenheit gewinne, Sie auch an mich zu erinnern.

      Von Ihnen höre und lese ich nichts als Erfreuliches und Gutes und freue mich herzlich darüber, von mir könnte ich Ihnen weniger dieser Art melden. Ich kam im vergangnen Herbst mit heftigen rheumatischen Schmerzen im Knie und der Hüfte aus Wiesbaden zurück, die den halben Winter hindurch anhielten, von denen ich aber gänzlich befreit bin. Meine Adele hatte das Unglück, auf dem Wege von Jena nach Weimar einen gefährlichen Sturz aus dem Wagen zu thun, indem die Pferde mit ihr durchgiengen, und an deßen Folgen sie mehrere Wochen lang gelitten hat. Jetzt ist auch sie ganz wieder hergestellt, und ich sehe mit unbeschreiblicher Sehnsucht dem Frühlinge entgegen, während indessen alle Dächer noch mit Schnee bedeckt sind, und es kälter bei uns ist, als es um Weihnachten war. Ein großer Verlust für mich ist das Theater, das ich fast gar nicht mehr besuche. Unser neues Schauspielhaus ist so feucht, so kalt, es pfeift ein so schneidender Zugwind durch die Logen, sobald der Vorhang sich hebt, daß es für mich völlig unrathsam ist, hinzugehen. Doch wäre auch dieses alles nicht der Fall, so würde ich dennoch zu Hause bleiben, denn ich glaube kaum, daß irgend ein Publikum in der Welt so mager abgespeiset wird als das Weimarische. Unser Intendant, Herr Stromeier, ist ein trefflicher Sänger, aber ich möchte wohl darauf wetten, daß er kaum im Stande ist, ein Buch zu lesen, viel weniger es zu verstehen; ihm zur Seite steht Frau v. Heigendorf-Jagemann, die mit 50 Jahren noch immer die erste Sängerin und die jugendlichste


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