Briefe an Ludwig Tieck 4. Various

Briefe an Ludwig Tieck 4 - Various


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Gottlob! ein Jeder Mensch ist, wie der erste, im Paradies geboren, in seinem Paradies, seine Natur. Ja mit einem jeden Menschen wird ein Gottessohn gebohren, obgleich nur der eine erschienen ist, und das Antliz Gottes in allen verzerrt wird. Der Herbst leistet nie, was der Frühling verspricht, der Mann nie, was das Kind hoffen ließ. – Der Mann will begreifen, nur das Kind kennt den Glauben. – Ja, was ist alle Religion anderes, als der Kinderglaube der Geschichte?

      Und so, lieber Tieck! sind mir die Träume meiner Kindheit näher gerückt, und ich glaube an die Natur, und an das Leben, und forsche nach diesem Glauben, und wie er mirs gebiethet, und ich kann Dir kaum sagen, wie innerlich glücklich ich mich fühle in einer Beschäftigung, die wenig von der gewöhnlichen der Physiker sich unterscheidet. Seit ich wieder zu Hause bin, war ich sehr fleißig. Es ist als mahnten mich die Jahre, als triebe mich ein unsichtbarer Geist, der mir keine Ruhe läßt – Es ist ganz das Gefühl, was mir in den schönen Tagen der Freundschaft, der Liebe, der Begeisterung in Dresden belebte.

      Und so habe ich nun manches, und nur von mir gesprochen. – Ueber Deinen Phantasus, über Deinen William Lovell möchte ich mit Dir sprechen – und überhaupt, das muß nun ehestens geschehen, denn ich halte es nicht länger aus, und habe noch nie eine solche Sehnsucht gefühlt mit Dir zusammen zu seyn. Meine Frau grüßt – und ich hoffe, daß Deine Frau mich noch so liebt wie in frühern Zeiten – Hanne schreibt Dir bald, und sagt mir, daß ich noch einmahl das Malchen, Dorothee und Agnes herzlich grüßen soll.

DeinSteffens.

      VI

Breslau, 20t. Januar 1816.Hochzuverehrender, Wohlgebohrner,Sehr berühmter Herr!

      Es ist mir der angenehme Auftrag geworden, Ew. Wohlgebohrnen zu benachrichtigen, wie die hiesige philosophische Facultät, bei Gelegenheit des Friedens- und Krönungsfestes am 18t. Januar h. a., theils um die Veneration öffentlich kund zu thun, mit welcher sie, wie ganz Deutschland, die hohen Verdienste Ew. Wohlgebohren um die Wissenschaft und um die Poesie, zu schäzen wissen, theils und vorzüglich, um sich selber zu ehren, durch die genauere Verbindung mit einem so berühmten und von Gott hochbegabten Manne, einstimmig beschloß Ew. Wohlgeboren durch ein Ehrendiplom die höchste Würde in der Weltweißheit mitzutheilen, daß Dieselben durch den Redner der Universität, Herrn Consistorialrath Wachler, an dem feierlichen Tage als artium liberalium Magister nec non philosophiae Doctor öffentlich sind proclamirt worden, und daß Sie diese Anzeige als eine vorläufige zu betrachten haben, da möglicherweise, das Ehrendiploma später, als die öffentliche Zeitung, die die Creation publicirt, in Ihre Hände kommen könnte. Wir wünschen nichts mehr, als daß dieser Beweis unserer Hochachtung und Anerkennung Ihrer Verdienste von Ihnen eben so gern möge angenommen werden, als gerne wir ihn dem berühmten und hochbegabten Manne geben.

      Mit ausgezeichneter Hochachtung

Ew. Wohlgebohrenganz ergebensterH. Steffens.Nachschrift

      Lieber Tieck! es war mir unmöglich Dir die Doctorpromotion anders als feyerlich bekannt zu machen. Es sollte uns aber sehr lieb sein, wenn Dir dieser kleine Beweis, daß Du unter uns viele Verehrer hast, nicht ganz unangenehm wäre. —

      Wir hoffen täglich auf die Möglichkeit nach Berlin zu reisen. Für Hanne wäre das etwas sehr Erwünschtes. Sie würde unter ihren Verwandten, in einem frischen Leben recht eigentlich aufleben. Vor allem wäre es uns deßwegen äußerst angenehm, weil wir dann, wie sich von selbst versteht, mehrere Tage in Zibingen zubrächten. Wie sehr ich mich darnach sehne, kann ich Dir nicht sagen. – Die geschriebenen Worte können uns, nach so langer Trennung unmöglich näher bringen. In Halle kamen wir uns gar nicht nahe. – Zwei trauliche Stunden sind mehr werth als alles. Es müßte wunderlich sein, wenn wir die alte Zeit nicht wiederfänden, wenn Du sie nicht auch in mir erkennen solltest. Etwas dümmer zwar bin ich wohl, wie das die Leute mit den Jahren immer werden.

      Hanne grüßt und erwartet einen Brief. Deine Familie befindet sich doch wohl? Grüß Deine Frau und Deine Hausgenossen recht herzlich.

Steffens.

      VII

Breslau, d. 3. Jan. 1818.Lieber Tieck!

      Ich kann Dir leider nur einen sehr kurzen Brief, und Du wirst mir in der That entschuldigen, daß ich überhaupt im Briefschreiben so träge bin. Ich habe diesen Winter ungeheuer viel zu thun. Ich liefere zur Ostermesse zwei Bände, den 3ten Theil meines mineralogischen Handbuchs und die Carricaturen, außerdem lese ich täglich 3 Stunden. Wenn ich des Morgens um 5 Uhr aufgestanden bin, muß ich ununterbrochen bis 4 Uhr Nachmittags arbeiten, nach dem Essen habe ich bis um 7 Uhr Stunden, und dann bin ich so erschöpft, daß in der That ein Brief eine große Anstrengung ist. Ich muß arbeiten, theils weil der Gegenstand der Carricaturen meine ganze Seele in Bewegung setzt, theils, weil ich Geld verdienen muß. – Jetzt bin ich ein paar Tage auf dem Lande gewesen bei einem Freund, komme eben zurück, habe noch eine Vorlesung und schicke die verlangten Bücher mit einem sehr guten Freund, den ich vorzüglich lieb habe, und der Deine Bekanntschaft zu machen wünscht. Es ist Major v. Kanitz, der schon Deiner Familie bekannt ist.

      Was Reinegys betrifft, so ist das Buch aus einer hiesigen Leihbibliothek, und ich denke, daß Du mir es wohl nach Verlauf eines Monates wieder zuschicken kannst. Was ich noch von ihm weiß ist nur, daß ich mich erinnere, von Dr. Mackensen gehört zu haben, daß er mit Beireis in geheimer Verbindung war, und daß Mackensen im Leipziger gelehrten Anzeiger Beireis aufforderte, Aufschlüsse über ihm zu geben. Wenn ich das Blatt aufzutreiben vermag, werde ich Dir’s schicken. Auch erzählte er mir, daß Reinegys mit dem Schauspieler Reinicke verwandt wäre.

      Die Schriften überschickt Kanngießer Dir und bittet Dich, sie als ein Geschenk anzunehmen. Er hat uns verlassen und ist jezt Professor in Greifswalde.

      An Koreff kann ich leider nicht eher schreiben, als nach Hardenbergs Zurückkunft. Er ist jezt, wie Du weißt, in den Rheinprovinzen, ohne allen Zweifel um sich seiner Gesundheit wegen von allen Geschäften loszureißen.

      Meiner Reise nach München wegen, lieber Tieck, kannst Du unbesorgt sein, denn es wird gewiß nichts daraus. – Indessen thust Du uns beiden – Schelling und mir – irre ich mich nicht, sehr unrecht. – Schelling ist in den letzten Jahren eben auf einer Stufe gelangt, die äußerlich schwankend, unsicher, ja widersprechend erscheinen müßte; aber redlich ist er im höchsten Grade, und eine tiefe vornehme Natur, fleißig, tiefforschend wie wenige, und wird uns mit dem, was er still sinnend geschauet hat, überraschen. Ich aber bin, bei scheinbarer äußerer Beweglichkeit, leider nur zu unveränderlich, ja ich wollte Gott danken, wenn ich leichter mich in fremde Individualität zu versezen vermöchte.

      Lieber Tieck! wie herrlich würde es sein, wenn ich jezt wieder so schöne Tage mit Dir zu verleben vermöchte, wie im Frühling! – Noch immer erscheinen mir die wenigen Tage als die schönsten seit langen Jahren und mit den herrlichsten meines Lebens vergleichbar. – Daß Du mit meinem Buch sowohl zufrieden bist, freuet mich ungemein. Hoffentlich soll das Zweite Deinen Beifall auch erhalten. – Wenigstens denke ich recht oft an Dich, indem ich schreibe, und Du kannst es immer als einen weitläufigen Brief ansehen. Denn über alle Erscheinungen der Gegenwart weiß ich keinen, dessen Ansichten ich so unbedingt huldige, gar keinen, dessen Beifall mir wichtiger wäre.

      Ich muß leider schließen. Grüße Deine Frau, die Gräfin Henriette, Dorothea und Agnes recht herzlich. Hanne grüßt.

Steffens.

      Ein glückliches Neujahr.

      VIII

Breslau, d. 3. Sept. 1819.Lieber Tieck

      Indem ein tüchtiger und braver junger Mann, Doctor Müller, der als Professor der griechisch-römischen Archäologie nach Göttingen geht, vorher sich aber einige Wochen in Dresden aufhalten will, verreist, dachte ich Dir recht Vieles zu schreiben. Was soll ich aber machen? Die Zeit läuft so schnell, daß sie den Athem verliert, sie stolpert über ihre eigne unnüze Thaten, die sie immer wegwerfen muß, wenn sie kaum fertig sind, daher kann sie kaum zu Worte, viel weniger zu Gedanken kommen. – Und ich werde nur mit gehezt, weil ich mir mit der albernen


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