Briefe an Ludwig Tieck 4. Various
Du bist jezt in Dresden und gebe Gott, Du bliebst noch ein Jahr da, dann hoffe ich gewiß hinzukommen. – Der Ueberbringer aber ist ein junger Mensch, der mich recht beschämt hat, denn vor 5 Jahren war er noch ein hoffnungsvoller Primaner. In der Zeit wohne ich in derselben Stube, sitze auf dieselben Stühle, ja schnaube die Nase in dieselben Schnupftücher und weiß recht gut, wie ich alle Jahre dümmer geworden bin und mehr und mehr verlernt habe, und in der Zeit ist der junge Mann – immer unter meinen Augen – nur ein Jahr in Berlin, immer gelehrter, immer kenntnißreicher geworden, und die Kenntnisse und die Gelehrsamkeit sind am Ende bis ins Unermeßliche angeschwollen, daß ein Professor in Göttingen hat aus ihm werden können, was mir ganz ungeheuer vorkömmt. So ein Göttinger Professor kömmt mir wie ein alter Rector vor, ich fühle mich gegen ihn wie ein Junge, der seine Lection nicht weiß. – Du wirst Deine Freude haben an dem jungen Mann, der so Vieles in so kurzer Zeit gethan und gelernt hat.
Ich bitte Dich, Gräfin Henriette, Deine Frau und Kinder zu grüßen, ich lebe in der That in der Hoffnung, Dich und den guten Waagen in Dresden zu sehen.
Und die Berliner haben noch nichts für Dich gethan? Es sieht dem Volke ähnlich.
IX
Ich habe mit vieler Freude erfahren, daß Du jezt in Dresden lebst. Ich denke mirs immer viel leichter dahin zu kommen, als nach Ziebingen, auch würde ein gemeinschaftlicher Aufenthalt mit Deiner Familie, Hanne, Waagen und Hartmann, mich auf eine täuschende Weise in glücklichere Zeiten zurückversezten. Schon diesen Herbst dachte ich nach Dresden zu reisen, aber man läßt mich in Berlin so lange warten, daß ich in große Verlegenheit versezt bin. – Der Grund nun, warum ich diesen Brief schreibe, ist der: Du bist von Max eingeladen Theil zu nehmen an einer kleinen Sammlung Erzählungen u. s. w., die Hagen mit mir ausgeben will. Von mir wird etwas, was Dir vielleicht bekannt ist, über dorische Sagen, was in Büschings Wochenschrift steht – Sagen von Rübezahl, die ich für den Kronprinzen zusammenschrieb – und die Geschichte von der Trauung um Mitternacht erscheinen. Es ist Max viel darum zu thun, Dein Name auf den Titelblatt zu haben, und ich zweifle gar nicht daran, daß Du irgend etwas liegen hast, was Du dazu benutzen kannst. Da ich in diesem Augenblick den Max nöthig habe, der mich aus einer großen Verlegenheit reißen muß, habe ich ihm versprochen, Dich zu bitten, und Du siehst also ein, daß ich die Bitte gewissermaßen in meinem Namen wage. Er wollte die kleine Sammlung zu Weihnachten herausgeben und damit dieses möglich wird, müßte er freilich das Manuscript bald haben. Wolltest Du mir durch ein paar Zeilen wissen lassen, was wir erwarten dürfen und wann? – Er bezahlt gewiß so gut, wie irgend ein anderer.
Grüß die Gräfin Henriette angelegentlichst, ferner Frau, Kinder und Waagens.
X
Was sagst Du dazu, daß Du nun, in wenigen Tagen drey Briefe von mir erhältst? Max, durch welchen Du diesen Brief erhältst, wünscht nehmlich, daß Dein Beitrag zu unserer kleinen gemeinschaftlichen Unternehmung, nicht zu karg ausfallen mag – wie viel, wird er Dir selbst schreiben. Er glaubte, daß eine Bitte von mir einigen Einfluß haben möchte und ich wage es, dasselbe zu glauben. Du wirst aus allen sehen, daß meine Lage mich gegen ihm in einer Stellung gesetzt, die mir die Erfüllung der Bitte wichtig macht und ich bin so unverschämt, Deine Freundschaft in Anspruch zu nehmen. Grüß alle.
XI
In großer Eile empfehle ich Dir den Ueberbringer – den Schauspieler Löwe5 den jüngern aus Prag – nicht zu verwechseln mit dem carricaturmäßigen ältern Bruder. – Er ist in der That ein liebenswürdiger Mensch und Du wirst, irre ich nicht, auch den Künstler, wenigstens gewiß sein schönes Streben und seine Bescheidenheit ehren. Er wünscht Dich lesen zu hören. – In der That nicht aus müßiger Neugierde. Ich habe ihm zwar nur wenig gesehen, aber er hat für mich etwas außerordentlich einnehmendes.
Noch hoffe ich Dich im Herbst zu sehen. Grüß alle.
XII
Ich befürchte fast, daß Du böse bist – und zwar mit Recht. – Was konnte mich dazu bringen, einen solchen elenden Sudler mit seinen Marktschreiereien zu empfehlen? – Ich würde mich sehr freuen, wenn Du diese Zeilen nicht verstündest. – Es wäre ein Zeichen, daß der Mensch den Brief nicht abgegeben hätte.
Dieser soll Dich dafür wieder mit mir versöhnen. Ich bin überzeugt, daß Du diesen meinen Landsmann, Hrn. Nilsen, sehr lieb gewinnen wirst. Ich kenne wenige Menschen, die mir in kurzer Zeit so lieb wurden. Er ist ein Freund von Möller – ohne seinen anachoretischen Starrsinn zu theilen – wie von Dahl, und obgleich Kaufmann ein sehr vielseitig gebildeter Mann mit einer seltenen Empfänglichkeit und er versteht einem, was immer seltener wird.
Ich gebe ihm ein Exemplar meiner Anthropologie mit. – Ich soll ein Schellingianer seyn, behaupten die Leute und die Recensenten haben schon den Titel gesehen und geschimpft. Ich möchte wohl wissen, ob Du mich auch so nennen willst. Ueberhaupt meine übrige Schriften gebe ich Dir preis. – Dieses möchte ich eben in Deinen Augen gerettet wissen.
Daß ich nicht nach Dresden kommen kann, ist mir unbeschreiblich fatal.
Ganz vertraulich kann ich Dir sagen, daß die philos. Facultät hier Dich dem Ministerio zu einer Professur der englischen, italienischen, spanischen u. s. w. Literatur vorgeschlagen hat. – Noch haben wir keine Antwort. Ich würde mich über alle Maßen freuen, wenn nicht eine doppelte Besorgniß da wäre. – Erstens, daß das Ministerium kaum einen großen Gehalt bestimmt hat, und zweitens – daß Du selbst in diesem Falle die Stelle nicht annimmst. Habe ich mich in beiden geirrt – wer wäre glücklicher als ich. – Grüß Gräfin Henriette, Malchen, Dorothea, Agnes von mir und Hanne recht herzlich.
XIII
Ich schreibe Dir wieder ein paar Zeilen durch einen Freund. Es ist der Dr. Loebell, der Dich schon aus Heidelberg kennt. Es ist ein sehr gescheuter Mensch und wirklich gründlicher Geschichtsforscher. Ueber mein Leben und Verhältniß kann er Dir Vieles mittheilen, denn er gehört seit 8 Jahren zu meinem vertrautesten Umgang. Er ist genöthigt Preußen zu verlassen und eine, freilich äußerlich günstige Lage als Redacteur des Conversationsblattes anzunehmen, um leben zu können. Obgleich man ihm, als ein kenntnißreichen und vielfältig gebildeten Mann kennt und schäzt, kann er dennoch keine Anstellung hier erwarten, nicht etwa wegen demagogischer Gesinnung, vielmehr umgekehrt, weil das demagogische Consistorium hier, während Untersuchungen gegen ihre Umtriebe, Cabinetsordre die dem Minister eine unerhört willkührliche Gewalt giebt, sich jagen, allein alle Stellen vergiebt und das Ministerium trozt. – Eine Verwirrung die einen verrückt machen kann.
Von Berlin ist keine Antwort auf unsern Antrag Dich hier anzustellen gekommen. Loebell weiß von Allem und kann Dich über alle hiesige Verhältnisse völlig orientiren. So auch über die Lage des Theaters. Vertrauen verdient er durchaus.
Grüß die Gräfin Henriette, Deine Frau, Dorothea, Agnes. – Könnte ich Euch nur besuchen! Vier Monathe dauert das unglückliche Rectorat noch.
XIV
Du nimmst mir nicht übel, lieber Tieck! daß ich Dir einen jungen Mann auf seiner Durchreise nach Göttingen zu empfehlen wage. Ich werde es gewiß sehr selten thun und habe es bis jetzt immer ausgeschlagen. Dieser junge Mensch, Hermann Frank, ist aber in der That brav, gescheut und weiß recht viel und sein Vater hat
5
Ludwig Löwe, der damals auf seiner ersten Kunstreise begriffen war.