Ini: Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Julius von Voss
ihr frohes Auge Lügen strafte. Mit verstelltem Unwillen entgegnete sie: ich glaube, du willst mir gar mit Liebe nahn!
Guido rief: ich bin mir keinen Willen bewußt. Dem Zuge deiner Schönheit folge ich unterwürfig.
Ini sann einen Augenblick mit hochgerötheter Wange nach. Dann sagte sie lächelnd: den Worten soll ich Liebe glauben? Beweise sie durch die That und ich will mich fragen, ob ich sie hören darf.
Entzückt von dem holden Strahl einer aus weiten Fernen schimmernden Hoffnung, flehte Guido mit Ungestüm, ihm die That zu nennen, wodurch er seine Liebe zu bewähren hätte?
Tritt näher, sagte Ini, nimm Platz, dort auf den Sessel von Elfenbein, daß ich dein Haupt von der Seite erblicke.
Guido gehorsamte still.
Ini zog ein ander Seidenzeug auf ihren kunstreichen Webestuhl, und in wenigen Minuten hatte sie Guidos Abbild darin gewirkt. Hier, rief sie, des sichtbaren Guido Umriß, wie er zeugt von dem unsichtbaren, die Urkunde seines geheimen Lebens, der Tag seiner innen waltenden Nacht.
Guido blickte hin. Die höchste Wahrheit hatte die Bildnerin getroffen. O webe mir dein Bild, flehte er wehmüthig, mit Entzücken will ich es von hinnen tragen.
Das steht weit hinaus, erwiederte sie. Doch will ich nun ein zweites Gewebe fertigen.
Sie ging wieder an die Arbeit, während der Jüngling sich mit trunknen Blicken an der hohen Gestalt weidete, und bisweilen ärgerlich auf sein Konterfei sah. Denn es wollte ihm nicht gefallen, ob er schon nicht wußte, warum.
Nach einer Viertelstunde hatte Ini geendet. Sie zeigte ihm ein neues Seitenbild, das Guido in den Zustand der höchsten Verwunderung brachte. Er sah seine Grundzüge wieder, aber in einer bezaubernd schönen Idealität. Höher strebte des Schädels Mitte empor, regelmäßig wölbte sich das Hinterhaupt, weit drang die reine Wellenlinie der Stirn hervor, eine unbeschreibliche Veredlung wohnte in dem ganzen Profil, liebliche Anmuth um den Mund, in dem klarer, tiefer, strahlender gewordenen Auge, redete der volle, Ehrfurcht gebietende Ausdruck jugendlicher Weisheit, der in früheren Zeiten nicht lebend anzutreffen war, den auch die Künstler, welche einst den Apollon vom Belvedere oder den Antinous fertigten, noch nicht dargestellt hatten. Indessen konnte ihn die Entwicklung der Menschheit erst spät hervorbringen.
Guido blickte bald verlegen auf das Kunstwerk, bald auf die hochsinnige Meisterin. Ich sehe mich hier in ein Gedicht verklärt, hub er an, was willst du mir deuten?
Kein Gedicht, entgegnete das Mädchen, erreichbare Wahrheit. Du hast mir süßen Schmerz der Liebe geklagt. Gestalte dich nach diesem Bilde um, ich gebe dir zwei bis drei Jahre Zeit, hast du dann diese Schönheit dir anerzogen, soll meine Gegenliebe dein Lohn sein.
Wie soll ich das anfangen! rief der Befremdete. Bin ich Herr über meine Gestalt?
Du bist es.
Bin ich ein Schöpfer?
Wenn dein Lieben wahr ist! Ich sage dir nichts mehr. Dem Geist deiner Liebe hast du das Geheimniß zu entwinden. Doch nicht allein sollst du umwandeln. Ich werde mir auch ein Ideal meiner Gestalt entwerfen.
Eitles Mühn! wie könnte deine Phantasie einen schöneren Traum erschaffen als die Wirklichkeit!
Schmeichelei, oder, wenn es dir so scheint, Unvollkommenheit in deinem Urtheil. Es wird sich stärken, dein Tadel erwachen, und das Streben, mich vor dem Tadel zu retten, mir wohlthun. Der Augenblick wo einem Mädchen zum Erstenmale Liebe bekannt wird, giebt neue Aussichten in die Welt höherer Anmuth. Nach einem Jahre sollst du mein Ideal sehen. Ehe nicht. Bis dahin begnüge dich auch, an mich zu denken.
Wie, ich soll dich in dem langen Zeitraume nicht erblicken?
„Die erste Prüfung! Auch eine nothwendig ungestörte Frist!“
Unbegreifliche! – Und dennoch erwacht mir die Hoffnung, ich werde den hohen Sinn deiner Worte faßen lernen.
„Frage den Geist der Liebe, sein Orakel tönt in deiner Brust. Und nun nichts weiter. Lebe wohl!“
Ehrerbietig entfernte sich Guido, irrte umher in den lieblichen Thalen, bis Nachtviolen die Orangenblüthe überdufteten und der Vollmondschein durch die Oelbäume und Mandelsträuche des blumigen Hügels winkte.
Wie auch der Sturm heiliger Empfindungen in ihm wogte, immer ward die Frage laut.
Und der Liebe Geist antwortete ihm leise: So du der Seele Schönheit pflegst, wird sie sich in der Gestalt verkünden.
Guido kniete nieder vor der Gottheit in seiner eigenen Brust und flehte innig um Lehre.
Wer so innig fleht, wird erhört. Aus dunkeln Nachtgewölken enthüllte sich mit jedem Tage die Misterie reiner, bis die Pfade ihm von tausend Morgensternen erhellt schienen.
Er machte sich mit den Schriften neuer gerühmter Weisen bekannt. Im ein und zwanzigsten Jahrhundert gab es Wenige, die es zu dem Namen bringen konnten, denn die Weisheit galt keine Seltenheit mehr. Auch sahe man nur wenige Bücher, in der allgemeinen Sprache von Europa, vor hundert Jahren eingeführt, als man hier endlich die Thorheit beseitigte, ein und dasselbe Ding auf so verschiedene Arten zu nennen, und dem, der bedeutendes Wissen umfangen will, das halbe Leben im Studium der Mundarten abzufordern. Es gab dagegen unermeßliche Büchersammlungen in den alten Sprachen, aber sie galten meistens Denkmäler vorzeitlicher Irrthümer. Die wenigen, welche in den Tagen höher gediehener Bildung noch den Namen Weisen errangen, waren Männer, die mit rüstiger Kraft, aus den Schätzen der Vergangenheit, das Beste, das Allgemeingültige sonderten, was sich denn auf wenige Blätter bringen ließ, nun aber auch die Mitwelt desto leichter in Stand setzte, die Höhe des vorhandenen Wissens schnell zu erfliegen und mit starken Schritten weiter zu dringen.
Auch die Geschichte des Menschengeschlechts hatten tiefe Forscher so bearbeitet, daß die Erscheinungen sich immer deutlicher in ihrem Ursprung erklärten und daß daraus, sowohl die Kräfte als der Zweck des Lebens deutlicher wurden.
Guido erbeutete nach und nach reiche Summen von Wissen, eine schon durch die Mathemathik gestärkte Denkkraft, eine durch die Liebe entzündete Phantasie, nehmen leicht auf, bewahren dauernd und fühlen mit jedem Tage mehr, wie des Genius Fittig sich regt.
Bei diesem Geschäft, das er mit heiligem Eifer trieb, kamen Empfindungen über ihn, deren Hoheit und Würde er nie geträumt hatte. Stark fühlte er alles Große, edle That sprach ihn an, daß er lebhaft sich in den Zustand dessen denken mußte, der sie verrichtet hatte, mit tief liebender Ehrfurcht füllte ihn die Religion, er schwärmte für alle Schönheit der Natur, um so mehr, als er Inis Verwandtschaft darin zu erkennen wähnte.
So floh denn das Jahr eilig dahin, und hatte sich Guido schon bei seinem Anfang durch die Wunder der Liebe verändert gefunden, so schien er sich jetzt gar nicht mehr das Wesen von Ehedem zu sein. Trat er seit einem halben Jahre an den Spiegel, meinte er auch schon, hie und da hätten sich seine Formen umgewandelt. Doch war er mit sich selbst nicht einig, ob er hier an Wahrheit oder Täuschung glauben sollte.
Das Jahr war endlich um, und er eilte mit hochklopfendem Busen zu Ini. Wie gespannt ist das junge Herz, wenn es nach einer so langen Abwesenheit dem Gegenstand heiliger Liebe wieder nahen darf.
Ini saß eben im Garten und rührte die Zephirharmonika. Es war dies ein Instrument, mit vielen langen Harfensaiten bespannt, die hoch in die Luft reichten. Zu jedem Ton gehörten hundert gleich gestimmte Saiten, hintereinander an wiederhallende Laden gefügt und vorne mit einer Blende versehn. Unten befand sich ein Tastenwerk, wodurch jedesmal, nachdem man schwache oder starke Töne hervorrufen wollte, die Blende, weniger oder mehr entfernt ward. Nun berührten die aufgefangenen Luftströme die Saiten und man vernahm jene reizende ätherische Schwingungen, welche früherhin schon an den sogenannten Aeolsharfen bezauberten, nur daß damals noch Niemand Herr der Melodien zu werden verstand.
Guido trat in das Gartenthor, leicht aus Porphir gearbeitet, und nahm seinen Weg durch einen, von hohen blühenden Rosensträuchen beschatteten, Gang, an dessen Ende die Zephirharmonika auf einem frei emporragenden, nur mit niedrigen Lilien und Anemonen bepflanzten Hügel stand. Die Töne wehten ihm her durch die balsamhauchende Abendluft, ehe er noch das Instrument sah. Er wähnte, sie stiegen von glücklicheren Sternen nieder. Endlich erblickte er Ini.