Ini: Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Julius von Voss

Ini: Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert - Julius von Voss


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hoch genug, Sizilien vom silberfarbnen Meere umgürtet, zu übersehen. Palermo, Messina und Sirakus waren kaum als Punkte bemerklich, die Orangen- und Pinienhaine zogen sich in blauen Streifen an den Gebirgen hin, die Thäler waren in ein heitres Gelb verschmolzen. Der Liebenden Busen wallte hoch auf in dem frohen Anschaun, und nur die nahe Trennung störte ihre erhabenen Gespräche über den erhabenen Gegenstand.

      Fürchte nichts, sagte Ini, ich komme gewiß nach Sizilien zurück. Es wird meine erste Bitte an die Mutter sein, meine Erziehung hier zu vollenden. Ich schreibe dir, was sie beschließt, und du kömmst mir dann wieder entgegen.

      Die Reise ging schnell, da die Thiere munter die Flügel regten und man sich in einer stillen Luftregion befand, wo sie keinem Widerstand entgegen zu kämpfen hatten. Nach einigen Stunden lag die Bläue des Meeres unter ihnen und eine grüne Linie an seinem mittäglichen Rande bezeichnete Afrika. Der Grad ist bereits überschritten, sagte Inis Erzieherin, es ist Zeit, daß du an die Rückkehr denkst, Guido. Diesem waren die Stunden wie Minuten entwichen, er flehte um eine Zugabe von Frist. Man muß den Vertrag halten, antwortete Jene, auch merkte der Knabe, den Guido von der Luftpost zu Palermo mitgenommen hatte, an, die Adler dürften ermüden.

      Guido stieg in den kleinen Kahn, vor welchen der Knabe die zwei Adler gelegt hatte, die nun rückwärts gelenkt wurden. Tausend Lebewohl rief er Ini nach, die ihren thränenden Blick zu ihm wandte. Bald sah sie von der kleinen Kugel nur einen hellen Punkt, den sie so lange als möglich mit dem Sehrohre verfolgte.

      Guido war sehr traurig als er wieder in seiner Wohnung anlangte. Nur die Hoffnung, bald einer Nachricht von Ini entgegen sehen zu dürfen, richtete sein Gemüth auf.

      Man hatte um diese Zeit die Mittel, sich aus der Ferne zu unterhalten, bedeutend vervielfacht. Telegraphen standen durch ganz Europa, in allen Linien von namhaften Orten, aufgerichtet, und Jedermann konnte sich ihrer gegen eine mäßige Zahlung bedienen. Die vervollkommnete Akkustik diente hier aber mehr dem Gehör, als früherhin die wenig umfassenden Zeichen dem Auge. Es gab Sprachtrompeten, welche bei Tag und Nacht, und fast bei jeder Witterung, auf eine Meile deutlich hörbar tönten und durch welche man von Station zu Station melden ließ, was man wollte. Ueber Meere leisteten dagegen die allgemein gewordenen Taubensendungen Hülfe. Ini hatte deshalb von dem Manne, der die Taubenpost zu Palermo hielt, sechs dieser gefiederten Boten mit sich genommen, um sie mit kleinen Briefchen am Halse zurückfliegen zu lassen. In diesem Orte waren deren ebenfalls aus Neu-Karthago, der jetzigen Hauptstadt von Afrika vorhanden, deren sich Guido bedienen konnte.

      Jeden Tag eilte er zu dem Manne und blickte aus seinem Thürmchen nach Süden. Manche Taube kam geflattert, eins oder mehrere Papiere am zarten Hals, doch lautete die Aufschrift an andere Personen. Endlich nach einer Woche schwebte es weiß daher und die röthlichen Füßchen einer niedlichen Turteltaube setzten sich auf den Schlag nieder. Das zahme Thier ließ sich willig ergreifen. An Guido, stand auf dem Briefchen. Hurtig ward es abgenommen und geöffnet.

      Ini schrieb, wie sie von ihrer Mutter mit froher Zärtlichkeit aufgenommen sei, und diese Mutter, die ganz still auf einem Landhause bei Neu-Karthago lebe, auch ihre Liebe im reichen Maaße verdiene. Sie setzte hinzu wie sie nicht begreife, daß diese Mutter, bei einem so warmen Herzen, ihre Erziehung der Fremden habe übertragen können, und wie hier ein Grund vorhanden sei, bedeutende Geheimnisse zu vermuthen, um deren Aufschluß sie vergebens gefleht habe. Noch folgten begeisterte Schilderungen der vorzüglichen Eigenschaften dieser edlen Frau.

      Guido, wie unendlich ihn der Empfang des Schreibens erfreute, ward tief bestürzt, daß darin von keiner Wiederkunft die Rede war. Er fürchtete, Mutterliebe werde die Tochter nicht wieder scheiden lassen, und Inis Herz – von dem er doch täglich mehr für sich hoffte – von ihm wenden.

      Nach einigen Tagen langte ein zweiter Brief an. Hier schrieb ihm Ini, sie käme nach Sizilien zurück. Schwerer, als sie es geglaubt hätte, würde die Bitte darum ihr geworden sein, weil sie die Mutter einen Mangel an Anhänglichkeit hätte argwohnen lassen können, doch sei diese ihren Wünschen mit der Erklärung entgegen gekommen, Athania werde mit ihr auf ungewisse Zeit den vorigen Aufenthalt nehmen. Ini klagte noch mit schmerzlichem Gefühl über die nahe Trennung von einer Mutter, die so gut und weise sei. Sie setzte hinzu, daß sie – sonderbar – der verschleierten Mutter Antlitz nimmer schauen dürfe.

      Guido war hoch entzückt über den einen Punkt, wenn ihn schon der andere nicht ganz ohne Unruhe ließ, denn die Liebenden wollen nichts als sich geliebt wissen, sogar eine Mutter nicht.

      Nach einigen Tagen meldete ein Täubchen die Rückkunft auf Morgen an. Wie flog Guido zur Adlerpost, die Kouriergondel zu dingen. Wie froh schwang er sich zur Höhe!

      Man lenkte bei diesen Luftfahrten nach Karten und Kompaß, konnte also den Strich nicht verfehlen, um so mehr als beides in sehr verbesserter Art vorhanden war. Denn man bildete die Karten in erhabener Arbeit, so daß sie auf das Genaueste die Berge, Städte, Felder u. s. w. darstellten. Alle Verhältnisse der Länge, Breite, Höhe waren richtig, wenn schon in bequemer Verkleinerung, und so, daß sie dem gewöhnlichen Auge nicht erkennbar wurden. Dann bediente man sich aber der jetzt so treflichen Mikroskope, unter welchen alles deutlich ward. Der Kompaß war mit Uhren, Zeitmessern und andern Vorrichtungen dergestalt verbunden, daß man, zumal auch die Längenfindung entdeckt war, in jedem Augenblicke den Punkt angegeben hatte, in welchem man sich befand. Es konnte mithin unserm Guido nicht fehlen, seinem Mädchen in der Luftregion zu begegnen.

      Auch das Sehrohr entdeckte sie ihm schon auf weiter als zwei Grad’ und er ward zu seinem hohen Vergnügen bald inne, daß auch ihr schönes Auge an dem nemlichen Instrumente lag, nach ihn auszusehen. So lächelten und liebäugelten sie einander schon zu, wenn gleich mehr als zwanzig Meilen entfernt. Bis auf einige Meilen genaht, leisteten ihnen die akkustischen Werkzeuge Hülfe, sich zu begrüßen und sich süße Dinge zu sagen. Herrliche Erfindungen für Liebende.

      Endlich war das ätherische Häuschen erreicht, in welchem die gefeierte Schönheit saß. Guido konnte die Zeit nicht erwarten, aus seiner Gondel auf das Dach zu springen. Er war zu eilig, versah es, und – fiel.

      In einer Höhe von viertausend Schuh fiel Guido nieder. Allein sämtliche Luftpassagiere waren gewohnt, eine Hauptbedeckung von einem dünnen Zeuge, mit kleinen Stäben aufgesteift, zu tragen, die sich bei einem etwanigen Unfall, durch die natürliche Wirkung der Luft, breit entwickelte. So erfolgte dann nichts weiter, als ein jähes Niedersinken von etwa hundert Schuhen Tiefe, dann hing man gesichert am Fallschirm und schwebte langsam der Erde zu. Der Postknabe flog mit seinen Adlern schnell niederwärts, fischte den Jüngling auf, brachte ihn wieder an Inis Fahrzeug, wo er diesmal vorsichtiger einstieg, nur den Schaden hatte ausgelacht zu werden, und – was für den Liebenden freilich wichtig genug ist, eine Minute verloren zu haben.

      Guido und Ini hatten einander unendlich viel zu sagen, wenn schon die Weisheit es unendlich wenig genannt haben dürfte. Noch eifriger betrachteten sie einander: Der ganze Prozeß der Beiden legte es, wie wir schon oft genug berührten, auf Verschönerung an. Verschönt nun Liebe an sich, ist sie die beste Lehrmeisterin in jeder Kunst, fachen zugleich Trennung, Sehnsucht und Entzücken beim Wiedersehn sie um so höher an, so konnte es nicht fehlen, daß diese wenigen Tage sie ihren Zielen um etwas näher geführt hatten.

      Nicht lange darauf kam der Kaiser nach Palermo. Er ließ sich den Jüngling vorstellen und bezeugte seine Zufriedenheit mit dem vortheilhaften Bericht, welchen sein Erzieher über ihn abstattete. Dann gebot er diesem, sogleich eine Reise mit Guido anzutreten. Wenn diese vollendet wäre, sollten sie nach Rom kommen, und würde dann der Jüngling, bei einer neuen Prüfung, bestehen, verhieß Jener, sollte er zu einem wichtigen Staatsamte berufen werden.

      So standen also die Sachen. Morgen sollte Guido scheiden. Ini empfahl ihm nichts wärmer, als das Ideal nimmer zu vergessen, welches sie ihm nun auch einhändigte. Sind die drei Jahre um, sprach sie, und wir haben Beide erreicht, was wir wollten, dann liegt es schon in der ganzen Natur dieser Schönheit, daß wir uns besitzen müssen. Und nun scheide mit einem männlichen Lebewohl.

      Daß es nicht sehr männlich war, und die ermannende Rathgeberin selbst im Geheim der Fassung entrathete, ist zu vermuthen. Bei dem Allen ließ die hohe Wehmuth des Abschiedes auf lange Dauer wieder einen neuen Zug von Schönheit zurück.

      Guido sollte nicht immer durch die Höhen reisen, weil


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